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Verteilung, Ungleichheit, Klimawandel: Die EZB hat zu lange über das Falsche geredet

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Von: Prof. Dr. Friedrich Heinemann

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Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung © ZEW/N. Bruckmann/M. Litzka

Die EZB hat in den vergangenen Jahren in ihrer Kommunikation einen überraschenden Schwenk vollzogen. Statt sich auf ihr Mandat der Preisstabilität zu beschränken, haben sich die Währungshüter immer häufiger zu anderen Themen wie Staatsverschuldung oder Klimawandel geäußert, schreibt Prof. Friedrich Heinemann unter Berufung auf eine aktuelle Analyse des ZEW. Das mag zwar „schick und verlockend sein“, sei aber nicht die Aufgabe einer unabhängigen Notenbank, schreibt der Ökonom im Gastbeitrag.

Die EZB ringt um ihre Glaubwürdigkeit. Lange hat Europas Zentralbank den im vergangenen Jahr beginnenden Inflationsschub als vorübergehendes Problem abgetan. Während die amerikanische Fed die Inflation schon durch Zinserhöhungen bekämpfte, publizierten die EZB-Ökonomen immer noch zuversichtliche Inflationsprognosen, die sich im Rückblick als Wunschdenken erwiesen haben. Eine erste Zinserhöhung war im EZB-Rat erst im Juli konsensfähig und das, obwohl die Inflationsrate zu diesem Zeitpunkt bereits 8,6 Prozent erreicht hatte.

Stimme der Ökonomen

Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?

In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.

Eine solche Zögerlichkeit trotz sehr klarer Verfehlung des Zwei-Prozent-Inflationsziels erzeugt Misstrauen. Eine Zentralbank, die einerseits innerhalb von Tagen massive Stützungsmaßnahmen beschließen kann, braucht umgekehrt Monate, um gegen eine zu hohe Inflation vorzugehen. Das nährt die Skepsis, ob die EZB sich wirklich noch der Preisstabilität als oberstem Ziel verpflichtet fühlt.

Erschwerend kommt hinzu, dass die EZB dieses Misstrauen auch mit ihrer Kommunikation über die letzten Jahre verstärkt hat. EZB-Vertreter reden immer öfter über alles Mögliche andere als das, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Dies belegt eine aktuelle Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), die mit Unterstützung der Strube Stiftung erarbeitet wurde. Die Studie hat 3.800 Reden, die seit Euro-Einführung gehalten wurden, mit Methoden der automatisierten Textanalyse untersucht. Mit dieser Methode wurde ausgezählt, wie oft welche Themen in den EZB-Reden vorkamen und wie sich die Themengewichte über die Zeit verändert haben.

ZEW-Analyse: Nach der Euro-Einführung ging es bei der EZB zunächst um Preisstabilität

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass das Thema Inflation und Preisstabilität seit den Jahren der Finanzkrise Konkurrenz bekommen hat. In den den ersten zehn Jahren des Euro haben die Vertreter der Zentralbank sich in ihren Reden noch sehr stark auf ihr ureigenes Thema konzentriert. Fast in jedem Beitrag ging es vor allem um Fragen der Preisstabilität. Die Jahre von Finanz- und Schuldenkrise brachten hier eine erste markante Veränderung. Seit 2008 ist das Ziel der Finanzstabilität prominent in den Reden vertreten. Seit 2010 – also mit Ausbruch der Krise um das insolvente Griechenland – befassen sich die Vertreter des EZB-Rats dann auch vermehrt mit Fragen der Staatsverschuldung und der Anleihemärkte.

Shooting Star Klimawandel

Man mag argumentieren, dass all diese genannten Themen noch nahe am Kerngeschäft einer Zentralbank liegen. Dies gilt hingegen kaum für weitere Themen, zu denen sich EZB-Vertreter gerade in den letzten Jahren immer häufiger äußern. So gibt es inzwischen sogar Beiträge, die sich mit Fragen der Ungleichheit und Verteilung befassen. Ein regelrechter „Shooting Star“ in den Reden der europäischen Geldpolitiker ist aber seit 2017 das Thema Klimawandel. Hier wurde 2021 ein vorläufiger Gipfel erreicht. In diesem Jahr, das den Beginn der hohen Inflation markiert, haben EZB-Vertreter nahezu in jeder zweiten Rede Fragen des Klimawandels angesprochen. Damit wurde kurzzeitig fast die Häufigkeit der Preisstabilitäts-Themen erreicht.

Im Direktorium der EZB ist dieses Ergrünen der Kommunikation mit Präsidentin Christine Lagarde verbunden. Sie führt das Feld aller Ratsmitglieder im Hinblick auf die Prominenz des Klima-Themas in ihren Reden an. Der Kontrast zu ihrem Vorgänger ist groß, hat doch Mario Draghi den Komplex Klima nahezu vollständig ignoriert. Aufschlussreiche Einblicke bietet die ZEW-Studie auch zu Unterschieden zwischen den Vertretern verschiedener Ländergruppen. So reden Südeuropäer im EZB-Rat insgesamt deutlich seltener über die Preisstabilität als ihre Kollegen und Kolleginnen aus dem Norden der Eurozone.

EZB: Zeitenwende unter Christine Lagarde

Im Hinblick auf die derzeit außer Kontrolle geratene Inflation und die gefährdete Reputation der EZB sind all diese Resultate brisant. Sie deuten darauf hin, dass Europas Zentralbank unter Christine Lagarde sich immer mehr als Institution mit einem allgemeinpolitischen Auftrag sieht. Die EZB spricht über Finanzstabilität und rettet Banken. Sie redet über Anleihemärkte und Risikoaufschläge und sichert hohe Staatsschulden durch ihre Wertpapierkäufe ab. Und sie reflektiert öffentlich fast so oft über das Klima wie über die Inflation. Die ungewollte Botschaft dieser zunehmend diffusen Thematik an Sparer und Finanzmärkte ist klar: Preisstabilität ist nicht mehr der Dreh- und Angelpunkt im Denken und Handeln der EZB-Spitze.

Mit diesem Blickwinkel muss man konstatieren, dass sich die EZB-Kommunikation bis 2021 auf einem Irrweg befunden hat, der dem gesetzlichen Auftrag der EZB widerspricht. Denn im Grunde haben EZB-Vertreter immer öfter genau über die falschen Themen gesprochen. Dies hat gerade in den kritischen Jahren 2020/21 den Eindruck verstärkt, dass es dieser Institution an Wachsamkeit für die Bewahrung der Geldwertstabilität gemangelt hat.

EZB: Hohe Inflation drängt Klimathema zurück

Aktuell scheint die EZB diese Fehler zu korrigieren. Die ZEW-Studie zeigt, dass schon Anfang 2022 die Prominenz des Klimathemas wieder rückläufig war. Stattdessen liegt die Preisstabilität endlich wieder auf dem unangefochtenen ersten Platz und damit dort, wo sie hingehört. Man kann Christine Lagarde und ihren Kollegen und Kolleginnen nur raten, diesen Kurs in der Kommunikation von jetzt an konsequent beizubehalten. Es mag schick und verlockend für Zentralbanker sein, sich mit klugen Gedanken an allen möglichen gesellschaftspolitischen Diskursen zu beteiligen. Nur ist das eben nicht die Aufgabe einer unabhängigen Zentralbank ohne demokratische Legitimation. Und es kann sogar Schaden anrichten, weil eine erfolgreiche Geldpolitik auf eine hohe Reputation in der Stabilitätsorientierung und die richtigen Signale in der Kommunikation angewiesen ist.

Zum Autor: Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg.

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