Und nun 16 und ein halbes Jahr später: Ich sehe Claqueure, die als deutsche Fans verkleidet so etwas wie Stimmung machen sollen. Eine ausgelassene, verbrüdernde (oder verschwesternde) Atmosphäre mit Fans aus aller Herren Länder auf Fanmeilen – das wird es in Katar wohl nicht geben. Mit Katar ist die nächste Stufe des Turbo-Kapitalismus im Fußball gezündet – und die vorerst letzte meiner Entfremdung mit der schönsten Nebensache der Welt. Ich nehme es als Zynismus pur wahr, dort spielen zu lassen, wo es viele tote Bauarbeiter gegeben hat, Menschenrechte, die man als selbstverständlich erachtet, weil Homosexualität unter Strafe steht, nichts gelten und Frauen unterdrückt werden. Da fällt es schon schwer, so etwas wie Vorfreude zu entwickeln.
Die Initiative gibt es in Hamm - als Werbung für den Amateursport
Und dass die durch und durch korrupte FIFA mit ihrem unerträglichen Präsidenten an der Spitze mich gegenüber meinem Gewissen vor dem moralischen Dilemma stellt, ob ich die Spiele schauen will oder nicht, sagt schon alles aus, in welche Position der Weltverband den Fußball gebracht hat.
Deshalb wusste ich vor einem Monat nicht einmal, wer die deutschen Gruppengegner sind. Bei früheren Weltmeisterschaften habe ich mir alle Stadien in den WM-Ländern stundenlang in den Sonderheften angeschaut – auch der Glitzer und die Gigantomanie dieser WM sorgen dafür, dass mir im Moment das Drumherum komplett egal ist und ich nie wissen werde, wie die Stadien heißen ...
Und dennoch werde ich Spiele schauen, nicht so viele wie bei vorherigen Titelkämpfen, aber trotzdem auch aus Interesse am Spiel und daran, wie das absurde Theater inszeniert wird. Und wer weiß, ob es mich ab der K.-o.-Runde nicht doch packt...?
Aber vielleicht reicht es mir auch schnell und ich schaue nach, wann in der Regionalliga West der SV Lippstadt, Wuppertal oder Preußen Münster in der Meisterschaft während der WM spielen, um die Winterkälte und den feuchten Rasen zu spüren, mit einem Bier in der Hand.