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„Wichtiges Ereignis“ in Sicht: Ukrainische Offensiven als „Anfang vom Ende des Kriegs“

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Von: Felix Durach

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Ukrainische Soldaten halten ihre Position nahe der umkämpften Stadt Bachmut. (Archivbild)
Ukrainische Soldaten halten ihre Position nahe der umkämpften Stadt Bachmut. (Archivbild) © SERGEY SHESTAK/AFP

Im Ukraine-Krieg steht ein ukrainischer Gegenstoß bevor. Doch das Ziel der Offensive ist unklar. Experten spekulieren über mögliche Angriffspunkte.

Kiew – Nach monatelangen Abnutzungskämpfen entlang der Front steht eine Gegenoffensive der ukrainischen Armee offenbar kurz bevor. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj deutete einen bevorstehenden Angriff am Montagabend erneut an. „Wir bereiten uns auf wichtige Ereignisse vor“, schrieb der Staatschef nach einem Treffen mit Polens Präsident Andrzej Duda auf Twitter. Selenskyj deutet die geplanten Offensivaktionen bewusst nur vage an. Russlands Truppen sollen wissen, dass etwas auf sie zukommt. Doch wo schlagen die ukrainischen Truppen zuerst zu?

Ukrainische Gegenoffensive im Krieg: Kiew muss „Desinformationsoperation“ wiederholen

Das Überraschungsmoment und die Unberechenbarkeit ihrer Angriffe zählen zu den großen Stärken der ukrainischen Armee. Das konnte man auch beim Start der letzten Gegenoffensive im September 2022 beobachten. Während westliche Beobachter – und offenbar auch die russischen Truppen – mit einem Angriff auf Cherson im Süden gerechnet hatte, schlug die Ukraine stattdessen im Norden zu. Die vom Angriff überraschte russische Armee ergriff fast schon chaotisch die Flucht und die ukrainischen Truppen konnten die Invasoren fast vollständig aus der Region Charkiw zurückdrängen. 

„Ich erwarte, dass sie eine ähnliche Desinformationsoperation wiederholen“, schätzte Mark Voyger vom Center for European Policy Analysis (CEPA) die aktuelle Lage im Gespräch mit dem Portal Newsweek ein. „Sie müssen erfolgreich wiederholen, was sie im Herbst getan haben; das ist entscheidend.“ Entlang der Frontlinien haben die ukrainischen Generäle mehrere Optionen.

Süden oder Osten? Wo startet die ukrainische Gegenoffensive?

Eher unwahrscheinlich ist Voyger zufolge ein ukrainischer Vorstoß in Richtung Donbas. In dem Gebiet, das Teile der Regionen Donezk und Luhansk umfasst, bauen prorussische Separatisten bereits seit Jahren Verteidigungs- und Befestigungsstrukturen auf. „Wenn die Ukrainer versuchen würden, in diesem Gebiet eine große Offensive zu starten, gehe ich davon aus, dass die Verteidigungslinien dort substanzieller sind als die im Süden“, begründet Voyger seine Einschätzung.

Ukraine-Krieg: Melitopol als mögliches Ziel – wagt Kiew den Vorstoße im Süden?

In den südlichen Regionen könnten die ukrainischen Streitkräfte einen Vorstoß entlang der Schwarzmeerküste anstreben. Russische Truppen hatten die Gebiete östlich des Flusses Dnjepr in den ersten Kriegsmonaten erobert. Dabei wurde unter anderem die Metropole Mariupol weitestgehend zerstört. Ein erstes Zwischenziel für Kiew könnte im Frühling die Rückeroberung der Stadt Melitopol sein. Die Rückeroberung der Achse Cherson-Melitopol-Mariupol galt bereits im vergangenen Sommer als erklärtes Ziel Kiews. Auf dem eher flachen Gelände in den Regionen Cherson und Saporischschja könnte das ukrainische Militär zudem die Vorteile der westlichen Kampfpanzer besser ausspielen.

Sollte die Gegenoffensive von der Stadt Saporischschja aus nach Süden in Richtung Melitopoil erfolgen, könnten die ukrainische Armee die russischen Truppen dabei in der Region Cherson einkesseln und von den Truppen im Osten abschneiden. Einfach wären diese Angriffe jedoch nicht, da die ukrainischen Streitkräfte zunächst den Fluss Dnjepr überqueren müssten. Alex Kokcharov, Risikoanalyst mit Fokus auf Russland und die Ukraine, sprach gegenüber Newsweek von „Operationen mit hohem Risiko”. Einfache Optionen gäbe es in der aktuellen Phase des Krieges nicht.

Ukrainische Gegenoffensive: Experte hält Gegenstoß bei Bachmut für unwahrscheinlich

Der Chef der Privatarmee Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hatte zuletzt öffentlich sogar vor einem ukrainischen Gegenstoß in Bachmut gewarnt. Russische Truppen hatten über Monate hinweg versucht, die Stadt einzunehmen – bisher ohne Erfolg. Auch wenn Kiew sich bisher gegen einen Rückzug entschieden hat, hätte eine Gegenoffensive dort wohl wenig Aussicht auf Erfolg. „Ich bin auch skeptisch, dass die Ukrainer versuchen würden, Gegenoffensiven in stark urbanisierten Gebieten in Donezk, Horliwka oder Bachmut durchzuführen, weil dies ein sehr kostspieliger Häuserkampf wäre“, schätzt Kokcharov die Frontsituation in der Region ein.

Video: Ukrainischer Kommandeur bestätigt baldige Gegenoffensive

Ukrainische Gegenoffensive steht bevor: Könnten „der Anfang vom Ende dieses Krieges sein“

Welche Pläne Präsident Selenskyj und seine Generäle für die Gegenoffensive tatsächlich bevorzugen, bleibt aktuell Spekulation. Die letzte ukrainische Offensive hat aber gezeigt, dass Kiew sich nicht immer für den offensichtlichen Weg entscheidet. Klar scheint jedoch, dass der nächste ukrainische Vorstoß gut überlegt sein muss. Der australische Militär-Experte und General a.D. Mick Ryan erklärte in einem Beitrag auf Twitter, dass die Gegenoffensive in der aktuellen Phase den weiteren Kriegsverlauf stark beeinflussen könnte.

„Die Ukraine will in diesem Krieg die Initiative zurückgewinnen“, schrieb Ryan. Durch militärische Erfolge könnte man die Moral der russischen Truppe weiter schwächen und zeitgleich die Moral der eigenen Soldaten und Zivilisten deutlich anheben. Nach der Einschätzung des Experten dürfte die Ukraine mit einer erfolgreichen Offensive auch ein Signal an die westlichen Partner senden und diese zu weiteren Waffenlieferungen bewegen.

„Die in den nächsten Monaten gestarteten Offensiven werden herzzerreißend blutig sein und möglicherweise nicht der letzte Schlag sein, der die russische Armee in der Ukraine zerstört“, schrieb Ryan zum Abschluss seines Beitrags. „Aber wenn der Westen die Nerven behält und die Ukrainer ihre Kampfkraft unbeirrt gegen die Russen einsetzen und große Teile ihres Landes zurückerobern kann, könnten die Offensiven der Anfang vom Ende dieses Krieges sein.“ (fd)

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