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Afghanistan: Seehofer nennt intern gewaltige Geflüchteten-Zahl - Experte erhebt Vorwürfe gegen Politiker

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Von: Michelle Brey

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Horst Seehofer spricht auf einer Pressekonferenz.
Horst Seehofer erwartet etliche afghanische Flüchtlinge. Am Montag nannte er konkrete Zahlen. © Jens Schicke/imago

Verzweifelt wollen viele Afghanen das Land nach der Machtübernahme der Taliban verlassen. Horst Seehofer erwartet etliche Flüchtlinge - und nennt konkrete Zahlen.

Kabul - Es waren schockierende Bilder, die am Montag vom Flughafen in Kabul um die Welt gingen. Aus Todesangst vor den Taliban versuchten Menschen verzweifelt, in die startenden US-Transporter zu gelangen und klammerten sich an den Maschinen fest. Lokalen Medien zufolge starben Menschen, weil sie von Flugzeugen überrollt wurden.

Einen Tag zuvor (15. August) hatte die Taliban nach einem zehntägigen Eroberungsfeldzug durch Afghanistan* die Hauptstadt Kabul erreicht und eingenommen. Die afghanische Regierung gestand ihre Niederlage ein. Die Flucht in andere Länder ist auch der Plan etlicher Afghanen. Innenminister Horst Seehofer (CSU) rechnet dabei mit großen Zahlen Geflüchteter - Experten beschwichtigen hingegen.

Nach Machtübernahme durch die Taliban: Seehofer rechnet mit 300.000 bis fünf Millionen Flüchtlingen

Schätzungen des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) zufolge wurden seit Anfang des Jahres 2021 etwa 500.000 Menschen innerhalb des Landes vertrieben - mehr als 390.000 alleine seit Mai. Nun, so sagte Seehofer der Augsburger Allgemeinen am Montag, müsse man „damit rechnen, dass sich Menschen in Bewegung setzen, auch in Richtung Europa“.

Konkrete Zahlen nannte der CSU*-Politiker am Montag bei einer Unterrichtung der Bundestags-Fraktionschefs, wie die Deutsche Presse-Agentur berichtete. So rechnet Seehofer damit, dass 300.000 bis fünf Millionen weitere Afghanen die Flucht ergreifen. Einen Zeitraum nannte er demnach nicht. Auch Spiegel-Journalist Matthias Gebauer hatte über die Aussage Seehofers auf Twitter berichtet. In der Vergangenheit haben Flüchtlinge aus Afghanistan Zuflucht in Nachbarländern wie dem Iran und Pakistan gefunden. Ein weiteres wichtiges Transit- und Zielland ist die Türkei.

Menschen aus Afghanistan flüchten - auch Richtung Deutschland? Politiker positionieren sich

Die Frage, ob auch Deutschland afghanische Flüchtlinge aufnimmt, wird indes hierzulande heiß diskutiert. Während Baden-Württemberg um Ministerpräsident Winfried Kretschmann vorpreschte, sprach sich Unionskanzlerkandidat Armin Laschet gegen eine Aufnahme-Zusage aus. 2015 dürfe sich nicht wiederholen, warnte er. Darauf pochte auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder*. Man wolle „keine zweite Situation wie im Jahr 2015 erleben“, sagte er. Damals waren Hunderttausende Menschen aus dem Nahen Osten nach Deutschland geflohen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel* (CDU) kündigte an, den afghanischen Nachbarstaaten schnell Hilfe anzubieten, um Fluchtbewegungen nach Europa unter Kontrolle zu halten. „Hier geht es vor allen Dingen darum, dass wir den Nachbarstaaten helfen, in die afghanische Flüchtlinge gegebenenfalls kommen“, sagte Merkel am Montagabend bei einer Pressekonferenz zur Krisenlage in Afghanistan.

Zuvor hatte die Kanzlerin am Vormittag in der Sitzung des CDU-Vorstands vor einer neuen Flüchtlingskrise gewarnt: „Viele Menschen werden versuchen, das Land zu verlassen.“ Am Abend machte sie deutlich, dass die Bundesregierung nicht vorhabe, eine größere Zahl von Flüchtlingen in Deutschland aufzunehmen. Hauptziel sei es, „denen, die uns direkt geholfen haben, eine Perspektive zu bieten“. Mit Blick auf die zu erwartende Fluchtbewegung sagte sie, man müsse „schauen, dass sie eine sichere Bleibe in der Umgebung von Afghanistan haben“.

Flüchtlingsbewegung nach Europa? - „Mit der Realität nicht viel zu tun“

Eine Flüchtlingsbewegung nach Europa sei laut Shabia Mantoo, Sprecherin des UNHCR, ohnehin unwahrscheinlich. Dem Spiegel sagte sie: „Die Erzählung von einer großen Flüchtlingsbewegung nach Europa hat mit der Realität nicht viel zu tun.“ Seit Jahrzehnten seien Menschen aus Afghanistan geflohen und „bisher zu 90 Prozent in Iran und Pakistan geblieben“. Für eine schlagartige Änderung der bisherigen Gegebenheiten spreche ihrer Ansicht nach nicht viel. Nicht zuletzt wird eine Flucht aus dem Land durch die Kontrollen der Taliban immer schwieriger.

Auch der Migrationsforscher Steffen Angenendt von der Stiftung Wissenschaft und Politik hält Warnungen vor Flüchtlingszahlen in Deutschland in einer Größenordnung wie 2015 und 2016 für überzogen. Es sei unlauter, wenn Politiker mit Warnungen vor einer Wiederholung des Jahres 2015 Ängste schürten, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ich gehe davon aus, dass die Zahl afghanischer Flüchtlinge in der EU in den kommenden Monaten weiter wachsen wird, dass wir aber bei weitem nicht die Zahlen von 2015 und 2016 erreichen werden.“ In den beiden Jahren kamen mehr als 1,1 Millionen Asylsuchende nach Deutschland, viele von ihnen Syrer. (mbr/dpa) *Merkur.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA

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