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Azubi glaubt trotz Fleischlos-Trend an Zukunft der Schweinezucht – „falsches Image“

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Von: Leon Malte Cilsik

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Der 20-jährige Niels Post macht eine Ausbildung zum Landwirt mit dem Schwerpunkt auf der Schweinezucht.
Der 20-jährige Niels Post macht eine Ausbildung zum Landwirt mit dem Schwerpunkt auf der Schweinezucht. © Malte Cilsik

Die Schweinezahlen sind in NRW seit Jahren rückläufig, ihre Preise nicht mehr rentabel. Wer wird also heute noch Schweinezüchter? Ein Azubi wählt diesen Weg bewusst.

Werl – Deutsche Schweinezüchter stehen vor einer ungewissen Zukunft: Steigende Futter-, Energie- und Arbeitskosten machen das Geschäft nicht mehr rentabel, die Schweinezahlen sinken seit Jahren. Erschwerend kommt die immer weiter um sich greifende Afrikanische Schweinepest hinzu.

Wer sieht in solchen Zeiten seine noch Zukunft in dieser Branche? wa.de hat mit einem Auszubildenden in Nordrhein-Westfalen gesprochen.

Veganer, Schweinepest und Kostendruck: Wer wird heute noch Schweinezüchter?

Um mehr als eine Million Tiere ist die Zahl der gehaltenen Schweine in NRW innerhalb von fünf Jahren zurückgegangen. Waren es Daten von IT.NRW zufolge im Mai 2017 noch mehr als 7,2 Millionen Schweine, belief sich die Zahl im Mai 2022 „nur“ noch auf rund 6 Millionen.

Parallel dazu sank die Zahl der Betriebe mit Schweinehaltung von 7420 auf 6030. Im Regierungsbezirk Münster – eigentlich eine Hochburg für die Veredlungswirtschaft – gaben seit 2017 mehr als 15 Prozent der Schweinezüchter ihr Geschäft auf.

Gründe für den Schweine-Schwund

Auf Anfrage von wa.de erklärte Jan-Malte Wichern, Pressesprecher der Landwirtschaftskammer NRW, die wesentlichen Gründe für die sinkenden Schweinezahlen. „Die Schweinepreise sind seit über zwei Jahren nicht kostendeckend. Zwar stiegen die Notierungen im vergangenen Jahr deutlich, allerdings verteuerte sich die Produktion durch teures Futter, hohe Energie- und Arbeitskosten erheblich“, erklärt Wichern. Noch dazu schränkte der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest 2020 die gängige Vermarktung von Ohren, Pfoten und Köpfen nach Asien erheblich ein, was zu sinkenden Erlösen führte. So verkündeten beispielsweise im Sommer 2022 mehrere Discounter und Supermärkte sinkende Fleischpreise. „Im Durchschnitt fehlen rund 20 Euro pro Schwein“, so Wichern. Zu viel für viele Betriebe, die noch dazu immer weniger Abnehmer finden – der Fleischverzehr sinkt insbesondere beim Schweinefleisch seit Jahren. Doch selbst wer sich davon nicht abschrecken lässt, bekomme keine genauen Informationen über die Anforderungen an eine zukünftige Schweinehaltung: „Das verunsichert viele Landwirte. Notwendige Investitionen werden nicht getätigt oder der Betrieb läuft aus“, sagt Wichern.

Die Branche scheint es aktuell schwer zu haben. Dennoch glaubt etwa Niels Post an ihre Zukunft. Der 20-Jährige befindet sich aktuell im dritten Lehrjahr seiner Ausbildung zum Landwirt mit dem Schwerpunkt auf der Schweinezucht. Derzeit arbeitet er auf dem Kartoffelhof-Peukmann in Werl im Kreis Soest, welcher sich neben dem Getreide- und Kartoffelanbau auch der konventionellen Schweinemast und Ferkelaufzucht widmet.

Wer wird heute noch Schweinezüchter? Ein Interview mit einem Azubi

Im Gespräch mit wa.de spricht der Azubi darüber, was ihn zu einer Ausbildung in der Landwirtschaft bewegt hat, wieso die Übernahme des elterlichen Sauenbetriebs trotz aller gegenwärtigen Probleme sein Ziel bleibt und warum Bio nichts für ihn ist.

Wieso haben Sie sich vor gut zwei Jahren für eine Ausbildung in der Landwirtschaft und speziell den Schwerpunkt Schweinehaltung entschieden? Auch damals haben sich viele Probleme der Branche bereits angedeutet.

Die grobe Richtung stand für mich schon früh fest. Mein Vater hat einen Sauenbetrieb mit 100 Zuchtsauen. Ursprünglich wollte ich mal in einen großen Betrieb im Osten gehen – aber die persönlichere Ausbildung hier vor Ort hat mich zum Bleiben bewegt. Mein erstes Lehrjahr habe ich dann auf einem Hof mit 330 Zuchtsauen absolviert.

Warum nur im ersten Lehrjahr?

In der Landwirtschaft ist es üblich, jedes Lehrjahr in einem anderen Betrieb zu verbringen, um so möglichst viele verschiedene Eindrücke zu sammeln. So habe ich auch gemerkt, dass mir der Umgang mit Schweinen viel mehr Spaß macht als der mit Milchvieh in meinem zweiten Lehrjahr. Daher fand ich es super, in meinem dritten Ausbildungsjahr die Schweinezucht und -mast kombinieren zu können. Noch dazu interessiere ich mich sehr für den Kartoffelanbau.

Veganer, Schweinepest und Kostendruck: Perspektiven der Schweinehaltung

Welche Perspektiven rechnen Sie sich in der Branche angesichts sinkender Schweinezahlen und Betriebe aus?

Ich versuche nicht ohne Grund, mich mit meiner Ausbildung so breit wie möglich aufzustellen und mir so Alternativen offen zu halten. Nichtsdestotrotz ist die Übernahme des elterlichen Betriebs mein großes Ziel. Auch wenn die Zahl der Betriebe aktuell rückläufig ist, glaube ich, dass diese Entwicklung irgendwann umschlagen wird. Es wird immer Menschen geben, die Fleisch essen – wenn auch vielleicht nicht mehr jeden Tag. Und es sollte auch im Hinblick auf das Klima unser Ziel sein, diesen Bedarf auch zukünftig weiter regional zu decken und nicht über Importe aus dem Ausland.

Viele Schweinezüchter klagen über politische Unsicherheiten und mangelnde Planungssicherheit.

Ich kann ihren Frust gut nachvollziehen, ich selbst würde aktuell auch keinen siebenstelligen Betrag für einen neuen Schweinestall investieren. Denn man weiß schlicht nicht, wie man bauen soll. Es gibt keinerlei Zusagen oder Garantien, dass nach den heutigen Standards die Produktion auch in 20 Jahren noch möglich sein wird. Es gibt keinen Bestandsschutz und damit keine Planungssicherheit. Ein solches Risiko möchte doch niemand eingehen.

Rund 30 Ferkel befinden sich gemeinsam in einer Box.
Rund 30 Ferkel befinden sich gemeinsam in einer Box. © Malte Cilsik

Zukunft der Schweinehaltung: Tierwohl ja, aber nicht zu jedem Preis

Da Sie das Thema Haltungsstandards schon ansprechen. Welchen Stellenwert genießt das Tierwohl bei Ihnen und Ihrer Ausbildung in der konventionellen Landwirtschaft?

Ich bin – wie wohl jeder Bauer – auf keinen Fall gegen Tierwohl. Nur muss das auch vom Verbraucher gezahlt werden. Mehr Platz, Auslauf und Beschäftigungsmöglichkeiten steigern unsere Produktionskosten erheblich – und diese sind jetzt schon viel zu hoch. Noch dazu kommen auch hier wieder gesetzliche Hürden. Beispielsweise ist nicht überall ein Auslauf am Stall erlaubt – aus Emissionsschutzgründen. Trotzdem steht für mich fest, dass wenn ich einen Stall baue, dieser ein Tierwohlstall mit Auslauf sein wird. Ich möchte die höchstmöglichen Standards in der konventionellen Haltung einhalten – insofern ich dann auch weiterhin davon leben kann.

Ist Bio-Landwirtschaft für Sie ein Thema?

Nein, für mich wäre das nichts. In der Ausbildung wird die Bio-Haltung thematisiert – und das ist auch gut so. Allerdings hat mir das auch gezeigt, wie viel aufwändiger das Ganze ist und dass es auch seine Nachteile hat.

Welche zum Beispiel?

Beispielsweise können wir in der konventionellen Haltung schneller reagieren, wenn eine Sau nicht genug Milch für ihre Ferkel hat. Wir können die Ferkel frei auf die Muttertiere verteilen und bei Bedarf auch mit Milchersatz zufüttern. Das geht bei der Bio-Haltung zwar teilweise auch, gestaltet sich aber in vielen Fällen komplizierter. Im Zweifel hängen die Leben der Ferkel davon ab. Generell finde ich, dass die konventionelle Schweinehaltung oft zu Unrecht in Verruf steht. Viele Reportagen und Berichte zeigen die schwarzen Schafe unserer Branche – ein vorbildlich geführter Betrieb wäre keine gute Geschichte. Daher halte ich ein pauschales Urteil für falsch. Es geht den Tieren in den allermeisten Ställen nicht schlecht.

Angehender Schweinezüchter hat kein Problem mit Veganern

Solche Meinungen vertreten wohl besonders oft Vegetarier und Veganer. Wie stehen Sie diesen Menschen gegenüber? Laut der Landwirtschaftskammer bedeutet ein Kilo weniger Fleischverzehr pro Kopf umgerechnet rund 300.000 Mastplätze weniger Bedarf...

Persönlich habe ich überhaupt kein Problem mit Menschen, die kein Fleisch essen. Meine eigene Schwester ist Vegetarierin. Wie ich bereits gesagt habe, bin ich der festen Überzeugung, dass es immer eine Nachfrage für Schweinefleisch geben wird. Womit ich aber ein Problem habe, sind intolerante Einstellungen gegenüber Menschen, die Fleischessen im Allgemeinen und uns Landwirte im Speziellen. Ich selbst wurde schon mehrfach angefeindet. Das halte ich in der berechtigten Debatte um mehr Tierwohl und Klimaschutz nicht für zielführend.

Als Auszubildender im dritten Lehrjahr: Würden Sie heute noch jungen Menschen empfehlen, eine Ausbildung in der Landwirtschaft zu beginnen – speziell mit dem Fokus auf Schweinehaltung?

Mit einer Ausbildung in der Landwirtschaft kann man viel machen. Ich würde allerdings jedem empfehlen, sich dabei so breit wie möglich aufzustellen. Alles andere wäre wohl naiv. Wenn man aber Spaß hat am Umgang mit Tieren hat, sollte man sich diesen nicht verderben lassen und das machen, worauf man Lust hat.

Veganer, Schweinepest und Kostendruck: Azubis für die Landwirtschaft gewinnen

Das Thema Fachkräftemangel ist in aller Munde: Wie können auch zukünftig Menschen für die Landwirtschaft und Tierhaltung begeistert werden?

Noch gibt es an meiner Berufsschule keine leeren Klassen. Auch nicht mit dem Schwerpunkt Schwein. Allerdings kenne ich schon jetzt Betriebe, denen Auszubildende fehlen. Ich glaube, auch hier liegen die Gründe weniger bei den Ausbildungsinhalten an sich als vielmehr an der fehlenden Planungssicherheit und dem falschen Image. Das gilt speziell für die Schweinehaltung. Wenn den jungen Leuten ein realistisches Bild unserer Arbeit und klarere Zukunftsperspektiven geboten werden würden, wäre die Branche auch für Quereinsteiger interessanter. Davon bin ich fest überzeugt.

Landwirtschaftskammer bestätigt den Eindruck, Bauernverband reagiert

Dass es sich bei dem Eindruck von Niels Post nicht um einen Einzelfall handelt, bestätigt die Landwirtschaftskammer NRW. „An den Fachschulen Münster und Borken, welche hinsichtlich Schweinemast und Ferkelerzeugung intensivste Gebiete sind, gibt es nach wie vor jeweils eine gut gefüllte Klasse mit dem Schwerpunkt Schwein. Hier ist also noch kein Einbruch erkennbar“, sagt Pressesprecher Jan Malte Wichern. Da sich dies angesichts bundesweiter Trends jedoch schon bald ändern könnte, bereite der Deutsche Bauernverband aktuell eine neue Ausbildungsverordnung vor. Diese solle noch mehr eigene Schwerpunkte etwa in erneuerbaren Energien oder der Direktvermarktung ermöglichen. Generell empfiehlt die Landwirtschaftskammer immer, die breite Ausbildung zum Landwirt dem spezialisierten Beruf des Tierwirts (vor allem in östlichen Bundesländern verbreitet) vorzuziehen. „Die beruflichen Möglichkeiten sind einfach viel größer“, sagt Wichern.

Die Schattenseiten der hohen Besatzdichten bei der konventionellen Schweinehaltung zeigen Nachrichten wie diese: Bei einem verheerenden Großbrand im Münsterland kamen im Februar 700 Schweine um.

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