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Bombenfunde: Warum die Gefahr durch die explosiven Altlasten noch steigen könnte

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Von: Benjamin Stroka

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In NRW gibt es in jedem Jahr hunderte Bombenfunde. Gefährlich sind sie immer. Experten befürchten, dass die Gefahr in den nächsten Jahren noch steigen kann.

Düsseldorf – Fliegerbomben, Granaten, Minen oder Munition – auch fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs schlummern viele explosive Überbleibsel aus den Kriegsjahren im Boden. Allein in Nordrhein-Westfalen werden fast täglich sogenannte Kampfmittel aus dem Zweiten Weltkrieg entdeckt und geräumt. Nach Angaben des NRW-Innenministeriums waren es allein 2021 mehr als 26.000 Stück, darunter 278 Bomben, mit einem Gewicht von 50 Kilogramm oder mehr.

Gerade bei größeren Bombenfunden führt das häufig zu aufwendigen Evakuierungen. Nicht selten müssen tausende Menschen in Sicherheit gebracht werden. Die Experten des Kampfmittelräumdienstes rücken an, um die Bomben zu entschärfen. In manchen Fällen ist eine Bombenentschärfung nicht möglich, dann müssen die Blindgänger sogar kontrolliert gesprengt werden. Denn obwohl die Kampfmittel schon seit fast 80 Jahren im Boden liegen, sind sie in vielen Fällen auch heute noch extrem gefährlich. Doch nicht nur das: Experten vermuten, dass von den Kampfmitteln in den kommenden Jahren sogar eine noch höhere Gefahr ausgehen wird.

Bombenfunde in NRW: Korrosion von Zündern sorgt für steigende Gefahr

„Wir befürchten, dass die Zünder durch Korrosionsprozesse im Laufe der Zeit empfindlicher werden und sich schneller auslösen können“, sagte Robert Mollitor, Leiter des Munitionsbergungsdienstes Mecklenburg-Vorpommern, im Dezember 2022 der Deutschen Presse-Agentur.

Auch die Bezirksregierung Düsseldorf, die gemeinsam mit der Bezirksregierung Arnsberg für die Räumung von Kampfmitteln in Nordrhein-Westfalen zuständig ist, sieht das ähnlich. „Korrosion kann bei Kampfmitteln zu einer Gefahrenerhöhung führen. Gleiches gilt für andere stoffliche Veränderungen der Explosivstoffe und Alterungsprozesse der verwendeten Materialien“, erklärt Beatrix Van Vlodrop, Pressesprecherin der Bezirksregierung Düsseldorf, gegenüber 24RHEIN.

Warum gibt es immer noch so viele Bombenfunde in NRW

Obwohl der Zweite Weltkrieg 1945, und damit vor fast 80 Jahren beendet wurde, werden auch heute immer noch tonnenweise Kampfmittel von damals im Boden gefunden. Experten gehen davon aus, dass allein über NRW rund 675.000 Tonnen Sprengstoff der Alliierten abgeworfen wurden. Davon könnten bis zu 15 Prozent nicht detoniert sein. Diese sogenannten Blindgänger werden auch heute noch regelmäßig bei Bauarbeiten oder Sondierungen entdeckt. Wie viele solcher Fliegerbomben noch im Boden liegen, kann niemand seriös abschätzen. Aber Bombenfunde werden die Menschen in Nordrhein-Westfalen wohl noch viele Jahre begleiten.

Kampfmittelfunde: Bei manchen führt die kleinste Bewegung zur Detonation

Julian Lux hat beruflich fast täglich mit verschiedensten Kampfmitteln zu tun. Als „Fachtechnisches Aufsichtspersonal in der Kampfmittelbeseitigung“ ist er oft direkt an der Freilegung oder Bergung von Bomben, Granaten und anderen Sprengkörpern beteiligt. Auch er sieht die Gefahr durch Korrosion gegeben. „Korrosion von Zündern ist grundsätzlich immer ein Problem und macht die Handhabung mit den Kampfmitteln häufig ungleich schwieriger“, sagt Lux im Gespräch mit 24RHEIN.

Der Kampfmittelexperte geht aber noch mehr ins Detail und betont, dass man nicht verallgemeinern sollte: „Man kann nicht pauschal sagen, dass Zünder heute automatisch in einem deutlich schlechteren Zustand sind, als beispielsweise vor zehn oder 20 Jahren. Wenn heute ein Kampfmittel gefunden wird, wissen wir nicht, in welchem Zustand es noch vor einigen Jahren im Boden war. Denn viel hängt von der Bodenbeschaffenheit ab.“

So gebe es Bomben, die im Morast gefunden werden und dort so gut konserviert wurden, „dass sie selbst heute noch aussehen, wie neu“, sagt Lux. „An anderer Stelle finden wir Kampfmittel in einem so schlechten Zustand, dass schon die kleinste Bewegung oder Erschütterung zur Detonation oder zum Austritt von Stoffen wie Phosphor führen kann.“

Eine entschärfte Fliegerbombe und die Zünder.
Die Entschärfung von Fliegerbomben könnte in Zukunft durch Korrosion an den Zündern erschwert werden (Symbolbild). © Uli Deck/dpa

Bombenfunde: Korrosion von Zündern kann öfter zur Sprengung führen

Ein weiteres Problem, das durch die Korrosion auftreten kann: In einigen Fällen hat der Zahn der Zeit so sehr an den Zündern genagt, dass eine Bombenentschärfung zu riskant ist. „Ist der Zündmechanismus, beziehungsweise die Sicherung, beispielsweise durch Korrosion beschädigt, ist eine Entschärfung vor Ort manchmal nicht möglich und eine Sprengung notwendig“, erklärt Bezirksregierungssprecherin Van Vlodrop.

Sollte die Korrosion in Zukunft öfter dafür sorgen, dass Blindgänger nicht mehr entschärft, sondern stattdessen gesprengt werden müssen, hätte das zumeist aber keine Auswirkungen auf den Evakuierungsbereich oder den Bereich, in dem der Aufenthalt im Freien verboten ist. „Die Größe dieser Bereiche ist im Wesentlichen abhängig von der konkreten Lage der Bombe und der Sprengstoffmasse“,

Bombenfunde aus dem Zweiten Weltkrieg: Einfach abwarten funktioniert nicht

Große Bombenentschärfungen in NRW 2022

Im vergangenen Jahr kam es durchschnittlich mehrmals pro Woche zu Bombenentschärfungen in Nordrhein-Westfalen. Allein in Köln wurden auf Baustellen oder bei Sondierungen 30 Fliegerbomben gefunden. In Dortmund waren es 2022 sogar mehr als 40. Die größte Evakuierung in Köln gab es bei einem Bombenfund am 31. März 2022 im Stadtteil Bayenthal. Damals mussten 7400 Menschen ihre Wohnungen und Häuser verlassen.

In Düsseldorf gab es im Sommer sogar eine noch deutlich größere Evakuierung. Bei einem Bombenfund in Düsseldorf-Pempelfort waren am 12. August rund 17.000 Menschen von der Evakuierung betroffen. Manchmal haben Fliegerbomben sogar noch Auswirkungen auf andere Städte. So gab es am 13. Oktober eine Bombensprengung in Oberhausen. Weil der Blindgänger aber so nah an der Stadtgrenze zu Duisburg lag, mussten auch dort rund 1600 Menschen ihre Wohnungen und Häuser verlassen.

Was die Korrosion von Zündern für Bombenfunde in den kommenden Jahren konkret bedeutet, lässt sich nur schwer abschätzen. Klar ist: Die Gefahr, die von den Bomben ausgeht, sinkt auf keinen Fall, kann in einigen Fällen sogar noch steigen. Einfach abwarten ist aber trotzdem keine Option, wie Robert Mollitor erläutert. „Sprengstoff wie TNT ist chemisch stabil. Zu sagen, wir warten noch 100 Jahre, dann löst er sich auf – diese Hoffnung gibt es nicht. Der Sprengstoff ist genauso aktiv und reißt heute ein genauso großes Loch wie damals.“ (bs)

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