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DRK bietet Autisten eine Herberge

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Von: Martin Hüttenbrink

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Sieben Menschen nebeneinander
Sie blicken auf einen gelungenen Start in eine funktionierende Kooperation zwischen DRK und dem Verein „Zuhause-Gut“ zurück: (v.l.) DRK-Vorsitzender Martin Vollmer, Vereinsvorsitzende Leonie Knapp, Aaron und Oliver, Fachkraft Ilona Fischer, 2. Vereinsvorsitzende Andrea Schulte und Rotkreuzleiterin Barbara Richwy. © Martin Hüttenbrink

Ein in der Region bisher einzigartiges Betreuungsmodell für junge erwachsene Autisten hat jetzt der Wickeder Verein „Zuhause-Gut“ etabliert. Im DRK hat der Verein den idealen Partner für sein Projekt gefunden.

Wickede – Es ist die Vorstufe zu einem zentralen Projekt des Vereins „Zuhause-Gut“. Den Vorstand freut daher ganz besonders, wie gut das aktuelle Angebot funktioniert, für das Wickedes Deutsches Rotes Kreuz (DRK) dem Verein eine perfekte Herberge bietet. Seit April gibt es im DRK-Heim an der Oststraße jetzt eine Betreuung für junge erwachsene Autisten, ein Novum, das so in der Region noch nicht geboten wird.

Autismus hat viele Formen. Eine typische Erscheinung: Äußere Reize prasseln ungefiltert auf die Wahrnehmung ein, können nicht kanalisiert werden – der Autist ist der Flut der auf ihn einstürzenden Reize hilflos ausgeliefert. Heftige seelische und körperliche Reaktionen sind die Folge. Wenn Autisten mit einer solchen Ausprägung eine Einrichtung wie z.B. eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung besuchen, in der Personen mit den verschiedensten Handicaps aufeinandertreffen, drohen aufgrund der Reizüberflutung akute Krisenzustände.

Deshalb hat der Verein Zuhause-Gut ein Angebot entwickelt, bei dem die Autisten in der beginnenden Berufsphase ihren Fähigkeiten und Bedürfnissen gemäß beschäftigt werden. Bei diesem Programm erhält der Wickeder Verein tatkräftige Unterstützung vom DRK in Wickede, das sein Vereinsheim an der Oststraße zur Verfügung stellt. In den Räumen des Jugendrotkreuz (JRK) arbeitet eine Fachkraft an fünf Wochentagen bis zu acht Stunden täglich mit jungen Erwachsenen, die aufgrund der Ausprägung ihres Autismus nicht fähig sind, z.B. eine Werkstatt für Menschen mit Behinderung zu besuchen.

Das Angebot wird ganz bewusst besonders reizarm gestaltet. Bei der Betreuung durch die qualifizierte Kraft werden die jungen Leute behutsam an Handlungsabläufe herangeführt, um Fertigkeiten einzuüben, Kompetenzen zu trainieren und im Rahmen der Möglichkeiten ihre Selbstständigkeit zu fördern.

Im DRK fand Wickedes Autisten-Verein einen bestens geeigneten Partner für das Angebot. Dabei hatte man bei der Herbergssuche zunächst den Bürgermeister nach geeigneten Räumlichkeiten gefragt. Dieser wiederum hatte seinerzeit die Frage in die Gruppen-App der CDU gestellt. Das war DRK-Chef Martin Vollmer aufgefallen, der sofort überlegte, inwiefern das Rote Kreuz hier Unterstützung leisten könnte.

JRK sofort mit dabei

In den Gruppenräumen des JRK erkannte er eine Chance, zumal die Jugendarbeit noch immer unter der Corona-Delle leidet und nicht auf Hochbetrieb läuft. Bei den Beratungen stimmten auch die JRK-Verantwortlichen zu. Mit der JRK-Arbeit ebenso wie mit anderen Aktivitäten im DRK-Heim lässt sich das Angebot für Autisten gut vereinbaren. So etwa der laufende Erste-Hilfe-Unterricht, der zwar im Obergeschoss stattfindet, dennoch aber von den Autisten sehr wohl wahrgenommen wird.

Kommunikation klappt

Für die Koordination sorgt unter anderem die große Tafel im JRK-Raum: Wenn z.B. Barbara Richwy als Ausbilderin auf Veranstaltungen wie eben Erste-Hilfe-Kurse hinweisen will, vermerkt sie dies auf der Tafel. Die Leitung der Autisten-Gruppe kann dann entscheiden, ob sich die zu erwartenden Reize mit dem Betreuungsprogramm vertragen oder ob man zum jeweiligen Zeitpunkt lieber einen Gang in die Natur macht, zum Einkaufstraining in ein Geschäft geht, sich im DRK-Werkraum an kleinen handwerklichen Tätigkeiten versucht oder mit Hilfe der JRK-Spielgeräte auf dem Hof motorische Übungen unternimmt.

Kleine Unwägbarkeiten bleiben natürlich – wie beispielsweise ein spontaner DRK-Einsatz, der ungeplante Unruhe ins Haus bringen kann. Das Leben ist eben nicht immer vorhersehbar, es gibt immer wieder überraschende Entwicklungen. Ziel ist es nur, diese so gering wie möglich zu halten.

Ilona Fischer ist eine der Fachkräfte, die das Betreuungsprogramm leiten. Bei einem Treffen, zu dem sie mit den Autisten sogar Waffeln für die Besucher backte, zog sie gemeinsam mit dem Zuhause-Gut-Vorstand und den DRK-Verantwortlichen nach den ersten rund acht Monaten eine kleine Bilanz.

Neu in der Region

„Das könnte gar nicht besser laufen“, freuten sich alle Seiten über das Projekt, das es in dieser Form im Kreis Soest und in der Region sonst nicht gibt. Interessant ist das Programm nicht nur in Bezug auf autismusgerechte und sinnvolle Tagesgestaltung für die jungen Erwachsenen. Vielmehr stellt das Angebot im DRK-Heim auch einen Baustein des großen Projektes dar, mit dem der Verein Zuhause-Gut eine Heimat zum Wohnen, Leben und Arbeiten für erwachsene Autisten schaffen möchte. Es ist eine Antwort auf die existenzielle Frage, was mit den Autisten wird, wenn sich ihre Eltern irgendwann nicht mehr um sie kümmern können.

Wenn der Verein Zuhause-Gut für dieses Ziel auch noch diverse Schritte bis hin zum eigentlichen Bau zu nehmen hat, zeigt sich mit dem Tagesangebot im DRK-Heim immerhin bereits jetzt, wie ein auf die jungen Erwachsenen zugeschnittenes Betreuungsprogramm funktionieren kann. Somit sammelt der Verein schon wichtige Erfahrungswerte für das angestrebte Vorhaben, eine Einrichtung zum Leben, Wohnen und Arbeiten zu schaffen.

Die Anlage, die der Verein „Zuhause-Gut“ zum Wohnen, Leben und Arbeiten für erwachsene Autisten bauen möchte, soll 24 Menschen eine Heimat bieten. Zu den Tagesangeboten soll das Haus aber auch für weitere autistische Männer und Frauen aus der Umgebung zugänglich sein, die dann zur Übernachtung wieder heimfahren.

Das Wohnprojekt mit Tagesstruktur soll somit tagsüber auch für Externe eine Anlaufstelle sein. Im Gegenzug sollen hier nicht zuletzt autistische Mieter einen Platz erhalten können, die tagsüber das Haus verlassen, weil sie anderweitig beschäftigt werden.

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