„Eine höchst unangenehme Angelegenheit für alle Beteiligten“, befindet Franz Josef Großkettler-Schulte, Jagdpächter in dem Gebiet, in dem sich das Rind herumtreibt. Unangenehm für die Jäger wie für die Landwirte. Er selber ist beides, „und damals wurde ich auch direkt gefragt, ob das Rind mir gehöre.“ Sein Kollege Friedhelm Pieper, ebenfalls Jäger und Landwirt, der des Tieres auch schon einige Mal ansichtig wurde und dem sogar einige Beweisfotos gelangen, erzählt: „Der Erste, der es sah, hielt es zunächst für das größte Wildschwein der Welt.“
Unangenehm für die Bauern ist es, weil das Schwergewicht das Getreide platt trampele und dabei große Schäden verursache, wenn es mal aus dem Wald kommt, „denn das ist ja ein ganz anderes Gewicht als bei einem Reh“, so Großkettler-Schulte. „Und für uns als Jäger schränkt es unsere Möglichkeiten massiv ein. Denn das Rind vertreibt die Wildtiere. Es ist so trocken im Wald, es knackt bei jedem Schritt. Die Wildtiere wissen ja nicht, dass das Rind für sie keine Gefahr darstellt.“ Im Gegenteil, streng genommen schützt das Rind die anderen Tiere sogar unbewusst – vor den Jägern: „Allein im April habe ich vier Wildschweine erlegt. Seit dem Auftauchen des Rindes kein einziges mehr. Die Bejagung geht derzeit gegen null.“
Mit schöner Regelmäßigkeit sehe er das Rind von seinem Abendsitz aus auf einer Breite von rund eineinhalb Kilometern Übergang zum Feld aus dem Wald kommen und wieder verschwinden. Dafür aber auch keine anderen Tiere, „das ist schon frustrierend, wenn man da ein paar Stunden ganz umsonst auf dem Hochsitz verbracht hat“. Es seien immer nur kurze Augenblicke, zu kurz, um es bei der Gelegenheit einzufangen, „man kann ja nicht hingehen, ihm einen Strick um den Hals legen und es abführen“. Letztlich sind Rinder, die ihres Fleisches wegen gezüchtet werden, lange nicht so zutraulich wie menschenbezogene Milchkühe, „sie lassen sich auch nicht treiben. Sie drehen sich um und schauen dich an.“
Bei den anderen sei das mit zwei Maßnahmen gelungen. Die einen trotteten brav in große Fangkäfige, doch Wimberns Geisterkuh ist zu scheu und zu vorsichtig, um sich dort hineinzubegeben. Andere wurden durch Schüsse mit Betäubungsgewehren vorübergehend ins Reich der Träume geschickt und wachten in ihrem Stall wieder auf. Solche Schüsse seien aber nur aus einer gewissen Nähe möglich, zu nah bei solch einem scheuen Tier, schon gar nicht vom Hochsitz aus. „Und außerdem darf man sich das nicht so vorstellen, dass das Tier direkt umkippt. Die Wirkung tritt erst später ein, bis dahin ist das Tier in den Wald geflüchtet, und aufgrund der hügeligen Topografie wäre es dort kaum noch zu finden.“ Irgendwann würde es dann wieder aufwachen und sein Treiben fortsetzen.
Und ein wenig Cowboy spielen und das Tier mit dem Lasso einfangen, mit dem Gedanken habe er zwar gespielt, so Pieper, „aber wenn es Gas gibt, reißt es mir eher den Arm aus, als dass ich es halten könnte. Das war ja jetzt auch so viel unterwegs, das ist mittlerweile richtig gut trainiert.“
Aktuell sei das Futterangebot in diesem Raum sehr üppig, neben Gras labt es sich am Weizen, auch im Mais sei es schon gesichtet worden. Noch dürfte das Tier keinen nennenswerten Grund sehen, seinen Standort zu verlagern. Das kann sich jedoch im Herbst ändern. Und spätestens dann, wenn es zur Vergrößerung seines Aktionsradius’ beginnt, Straßen zu queren, wird es zu einer massiven Gefahr für die Autofahrer.
Denn wer in eine Kuh fährt, die ihm dann mit voller Wucht auf die Windschutzscheibe prallt, dem dürfte es danach noch schlechter gehen als der Kuh. Großkettler-Schulte: „Wäre ich der Eigentümer der Kuh, könnte ich gar nicht mehr ruhig schlafen. Ich kann mich noch gut an den schweren Unfall vor acht Jahren mit entlaufenen Pferden auf der Lendringser Straße erinnern.“
Im Dezember 2014 waren einige Pferde ausgebüchst, eine Autofahrerin konnte ihnen nicht mehr ausweichen. Wie durch ein Wunder gab es keine Todesopfer – zumindest auf menschlicher Seite. Ganz anders bei den Pferden, zwei von ihnen wurden bei der Kollision über den Wagen geschleudert, rissen das Dach des Wagens auf, landeten auf der Straße und verendeten dort. Die Autofahrerin aus Arnsberg sowie eine weitere aus Ense, die mit ihrem Auto über die toten Tiere fuhr und mit dem Auto der ersten Frau zusammenprallte, erlitten Schocks, beide Autos waren danach nur noch Schrott.
Großkettler-Schulte: „Und ob eine Versicherung nach so langer Zeit, in der das Rind nun frei herumgelaufen ist, dann noch für einen solchen Schaden aufkommt, ist fraglich. Von daher gehe ich nicht davon aus, dass es an Altersschwäche sterben wird.“
Jetzt könnte man einwenden, die Jäger könnten das arme Tier doch einfach erschießen, bevor es zur Gefahr für Menschen wird. Doch Jäger dürfen ihre Waffen nur zur „befugten Jagdausübung“ nutzen – das Erlegen renitenten Hornviehs dagegen bedarf einer behördlichen Ausnahmegenehmigung, zum Beispiel durch die Polizei.