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Schützen für Toleranz und Diversität

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Von: Martin Hüttenbrink

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Saalblick mit gelben Stimmkärtchen
204 Mitglieder und Gäste kamen zur richtungsweisenden Versammlung ins Bürgerhaus: Bis auf zwei Enthaltungen votierten alle Stimmberechtigten für die neue Satzung der Johannes-Bruderschaft mit ihren rund 1600 Mitglieder. Das Ergebnis wurde mit Applaus quittiert. © Heine

„Damit stelle ich fest, dass die neue Satzung angenommen ist“ – es war 23.05 Uhr am Freitag, als Brudermeister Thomas Gehrke den wichtigsten Tagesordnungspunkt der Generalversammlung abschließen konnte. Mit lediglich zwei Enthaltungen haben Wickedes Johannes-Schützen ihre neue Satzung beschlossen, öffnen sich damit auf Basis ihres Wertekanons auch aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen.

Wickede – Historisch war die Generalversammlung allemal. Zum einen schlossen Wickedes Schützen als letzte Besucher im „alten Bürgerhaus“ die Tür ab – ab jetzt ist das Gebäude für den Umbau geschlossen. Zum Zweiten war es am Freitag wohl die längste Sitzung in der Geschichte der Bruderschaft, die zum Dritten mit ihrem Satzungsbeschluss „die Weichen für die nächsten Generationen gestellt“ habe, wie Brudermeister Thomas Gehrke feststellte.

Im Kern der Satzungsänderung insbesondere die Abwendung vom alten Passus, demzufolge König oder Königin sich einen Partner des anderen Geschlechts zu nehmen haben und auch für den Hofstaat diese gemischtgeschlechtliche Auflage festgelegt war.

Die neue Satzung formuliert hier Kann-Bestimmungen, womit einerseits die Öffnung zu gleichgeschlechtlicher Paarbildung gegeben ist, andererseits der Vorstand der Bruderschaft weiterhin die Möglichkeit behält, bei Verlauf und Gestaltung des Schützenfestes und anderer Veranstaltungen steuernd einzugreifen.

Wichtig zudem: Mit der Satzungsänderung ist längst nicht nur die Geschlechterfrage angesprochen, sondern auch die individuelle Gestaltungsfreiheit einer neuen Regentschaft. Hier ist dann auch nur König oder Königin möglich, ebenso ist die Bildung eines Hofstaates kein Muss mehr.

Ohnehin hielt Brudermeister Thomas Gehrke fest, dass der breit angelegte Entscheidungsprozess über rund ein halbes Jahr am Ende nicht nur eine einfache Satzungsänderung mit sich gebracht habe. Das Ergebnis des mit großem Engagement angetretenen Arbeitskreises sei am Ende „viel umfassender“ ausgefallen und habe der Bruderschaft eher schone „eine Neufassung der Satzung“ an die Hand gegeben.

2. Brudermeister Alexander Heine, der den Arbeitskreis über die Monate intensiv begleitete, wies zudem darauf hin, dass es nicht nur um die Öffnung zu gesellschaftlicher Vielfalt, Toleranz und Diversität gehe, sondern dass Formulierungen in der alten Satzung von 2002 „faktisch nicht mehr richtig“, christliche Bezüge „antiquiert“ und neue digitale Instrumente in keiner Weise dargestellt waren.

Weiter gemeinnützig

Um die Änderungen wasserdicht zu machen, hatte die Bruderschaft neben dem 17-köpfigen Arbeitskreis und seinen vier Sitzungen auch Notar, Steuerberater, Finanzamt und Amtsgericht zurate gezogen. Damit habe man nun nicht zuletzt „Brief und Siegel, dass wir mit dieser Satzung gemeinnützig bleiben können“.

Manfred Burs, zwar seit Jahren weggezogen, aber dennoch seit vier Jahrzehnten in der Bruderschaft, 20 davon seinerzeit als Vorstandsmitglied, berichtete mit seinen 68 Jahren als ältestes Mitglied des Arbeitskreises von dessen Überlegungen.

Zwei wichtige Themen seien für ihn in den Mittelpunkt gerückt: Die „Erklärungsbedürftigkeit der Begriffe Glaube und Sitte“ und zum anderen die Notwendigkeit des Vereins, nach Corona die Menschen wieder für das öffentliche Leben und für die Schützengemeinschaft zu gewinnen. „Wir müssen offensiv um Neumitglieder werben und inhaltlich überzeugen – durch Veranstaltungen und mit unserer Satzung“.

Den Begriff „Sitte“ – „die Masse empfindet das als erklärungsbedürftig“, berichtete Burs von den Diskussionen im Arbeitskreis. Gefasst seien hiermit Werte wie die Achtung voreinander, ein freundlicher Umgang, Großzügigkeit, all jene Verhaltensnormen für ein gutes Miteinander also, die nicht gesetzlich fixiert seien.

Dies und damit „die gelebten Werte der Bruderschaft“ gelte es mit der neu formulierten Satzung ebenso darzustellen, wie man beim Schützenfest den Mitgliedern bewusst Möglichkeiten gegeben habe, „andere Formen der Darstellung zu wählen“, gleichzeitig aber auch „die Leitpfosten gesetzt habe, damit der geschäftsführende Vorstand eingreifen kann“.

Eine Satzung gegen jede Form von Ausgrenzung, Diskriminierung und Extremismus sei „eine starke Aussage und eine starke Vorgabe“. Im Naziregime etwa „wäre so etwas nicht in die Satzung gekommen“. In anderen Ländern würden solche Sätze auch heute nicht formulieren. Die Satzung sei deshalb „ein starkes Zeichen nach außen und eine Einladung an alle, die mit uns diese Gemeinschaft neu bilden wollen“.

Kein Gendern

Das Gendern übrigens hatte der Arbeitskreis ganz bewusst außen vor gelassen. Ein herzlicher Dank ging an Präses Pastor Thomas Metten. Er war bei allen Sitzungen dabei, hat sich zudem die Zeit genommen, auch im privaten Gespräch für die Satzungsänderung zu werben.

Der bei der Sitzung verhinderte Geistliche warb gleichwohl mit einer Videobotschaft für die neue Satzung. Mit Blick auf Toleranz und Diversität erklärte der Geistliche, auch die Kirche habe sich ehedem gegen gleichgeschlechtliche Paare gestellt, sich mittlerweile aber geöffnet. „Gott nimmt sich aller Menschen an“, sagte Metten. „Diesem christlichen Grundsatz sehen wir uns auch als Bruderschaft verpflichtet“.

Für jeden aufrechten Demokraten

Bei der Diskussion wandte sich Mitglied Wolfgang Wix sowohl gegen die Umwandlungen von katholischen zu ökumenischen Gottesdiensten als auch gegen den Abschied von der Geschlechterauflage. Er nehme zur Kenntnis, „dass die Akzentuierung auf katholisch nicht mehr gewahrt ist. Entweder sind wir katholisch oder christlich oder evangelisch“.

Er sei „dafür, dass die Messe am Sonntag und am Montag bleibt wie seit 200 Jahren und die Geschlechterdiversität nicht zum Thema gemacht wird“, erklärte Wix am Mikro und formulierte dies auch als Antrag.

Mitglied Meinolf Heide zweifelte die Vorgehensweise der Versammlung an, weil weitere Änderungsvorschläge zur Satzung nicht noch einmal allen 1600 Mitgliedern zugegangen seien. 2. Brudermeister Alexander Heine verwies hierzu auf die Information von Seiten des Rechtsgelehrten, demnach mit zunächst erfolgender Abstimmung über alle Zusatzanträge in der Sitzung schließlich auch die neue Satzung verabschiedet werden könne.

Pastor Christian Klein würdigte die neue Satzung als „Glaubensbekenntnis, das nicht nur für jede Schützenbruderschaft, sondern auch für jeden aufrechten Demokraten“ Gültigkeit habe. Er bestätigte Präses Pastor Thomas Metten: „Jesus Christus ist für alle am Kreuz gestorben – und das gilt auch unter der Vogelstange“.

Gerd Kemper beantragte schließlich die Abstimmung: „Da steht alles drin, was eine moderne Schützenbruderschaft heute braucht“.

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