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Nazi-Straßenpaten: Brief an die Anlieger

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Von: Martin Hüttenbrink

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Pfosten mit zwei Straßenschildern
wickede cut Straßennamen ham_vwd6a2f46683f3d10fe293677563157287c(1).jpg © Hüttenbrink, Martin

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Dem Antrag der Wickeder Grünen, nach Nazi-Autoren benannte Straßen in Ziegenhude und oberem Hövel umzubenennen, folgen nun konkrete Schritte. Im Rahmen der Diskussion soll auch die Meinung der Anlieger gehört werden. Das Rathaus hat inzwischen 201 Anlieger angeschrieben und bittet bis Ende März um ihre Meinung.

Wickede – Es geht um fünf Straßen und Wege, die im alten Hövel nach Karl Wagenfeld und in der Ziegenhude nach Maria Kahle, Georg Nellius, Heinrich Luhmann und Christine Koch benannt wurden. Den angeschriebenen Anwohnern ab 16 Jahren gibt das Rathaus in seinem Anschreiben Informationen zu jedem der damaligen Kulturschaffenden mit an die Hand.

Die Gemeinde habe die Straßen damals nach regionalen Heimatdichtern benennen wollen. Erst spätere Forschungen hätten dann deren Verstrickung in der Nazi-Zeit ergeben. Bei den Vorwürfen handele es sich nicht nur um Duckmäusertum und beruflich bedingten Opportunismus. Vielmehr hätten sich die Straßenpaten im Rahmen der Forschung als aktive Unterstützer des Naziregimes erwiesen.

Das Schreiben der Kommune geht im weiteren Verlauf auf die Forschungsergebnisse zu den einzelnen Straßenpaten ein und regt gegenüber den Anliegern an, sich im Gespräch mit Familie und Umfeld eine eigene Meinung zu bilden. Im Brief fügt die Gemeinde ein Antwortformular bei.

Mit dem können die Anlieger ankreuzen, ob sie „eine Neubenennung meiner Wohnstraße aufgrund der mir jetzt vorliegenden Informationen über den bisherigen Namensgeber“ möchten. Zudem können die Anwohner einen Vorschlag für einen neuen Namen unterbreiten.

Die Meinungsäußerungen von der Wagenfeldstraße im oberen Hövel und aus der Ziegenhude mit den weiteren diskutierten Straßennamen fließen in die Beratungen ein. Zunächst werde er sich zum Thema mit den Fraktionsspitzen verständigen, erläutert Bürgermeister Martin Michalzik zum weiteren Prozedere. Anschließend soll für die Sitzung des Gemeinderates im April oder im Juni eine Entscheidung vorbereitet werden.

Im Falle einer Umbenennung hatte die Gemeinde bereits darauf verwiesen, dass für dann notwendige neue Papiere keine Kosten erhoben werden.

„Neger, Kaffern und Hottentotten“

Laut der Ausführungen im gemeindlichen Brief sind von Karl Wagenfeld eindeutig rassistische Positionen dokumentiert: „Neger, Kaffern und Hottentotten sind Halbtiere, Menschen in ,Krüppel- und Idiotenanstalten’, in Fürsorgeheimen und Strafanstalten sind körperlich und geistig Minderwertige.

Maria Kahle gelte als glühende Propagandistin des Dritten Reiches, die gegen Andersdenkende und Juden gehetzt habe, die schon 1923 Hitler in einem Gedicht gerühmt und einen „Deutschen Gott“, der lieber Untergang als Unterwerfung schenken solle, gepredigt habe.

Georg Nellius nimmt in einem Zitat für sich in Anspruch, dass er bereits ab 1923 infolge seines „ausgeprägt vaterländisch-deutschen Chorschaffens als ausgesprochener Gegenpol der bis zur NS-Machtergreifung tonangebenden jüdischen oder angejüdelten Komponisten galt“. Er gilt als überzeugter Propagandakomponist.

Heinrich Luhmann sorgte als Leiter der sogenannten Lesebuchkommission für Westfalen u.a. für die Überprüfung der Lehrmaterialien und Schulbibliotheken auf „entartete“ Literatur. Seinen Romane und Erzählungen würden gutachterlich „ausgeprägt antisemitische und rassistische Tendenzen“ transportieren. Er hatte unter den Nazis Positionen wie die des Regierungs- und Schulrat in Arnsberg inne.

Christine Koch ist möglicherweise noch diejenige der diskutierten Autoren mit dem geringsten Agitationspotenzial. Aber auch sie wird zu den entschiedenen Parteigängern für das NS-Regime gezählt – unter anderem mit einem Zitat, das angesichts aktueller Kriege besonders bitter klinge: „...und Mütter geben klaglos ihre Söhne, und Frauen ihre Männer in den Krieg. Nach innen nur fließt still die Abschiedsträne, im Auge leuchtet hell der Glaube an den Sieg.“

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