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Wickeder Mädchen auf dem Weg zur Pfarrerin

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Von: Martin Hüttenbrink

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Frau in einer Kirche
Von der inspirierenden Jugendarbeit in Wickede auf bestem Weg zur Pfarrerin in Berlin: Anna-Franziska Pich © Kirchengemeinde

Ein Wickeder Mädchen auf dem Weg zur Pfarrerin: 2024 möchte Franziska Pich dieses Ziel erreichen. Im Interview gibt sie Einblicke in ihren bisherigen Werdegang.

Wickede – Die Wickederin erblickte am vorletzten Tag des Jahres 1992 im Marienkrankenhaus Wimbern das Licht der Welt. Melanchthonschule, Städtische Realschule Werl, dann Ausbildung zur staatlich geprüften Sozialhelferin am Placida-Viel-Berufskolleg Menden, die Fachoberschulreife am Berufskolleg in Arnsberg, anschließend die Fachoberschulreife mit Bewerbung zum Studium, jetzt bereits der Master im Vikariat mit dem klaren Ziel der Ordination als Pfarrerin 2024.

Frau Pich, Sie haben sich schon als Jugendliche in der Kirchengemeinde engagiert, arbeiten mittlerweile in Berlin. Was sind die wichtigen Stationen bisher, was machen sie aktuell?

Seit meiner Konfirmation bin ich der Kirche eng verbunden. Damals bin ich wöchentlich zum Konfirmand*innenunterricht in der Ev. Kirchengemeinde Wickede bei Pfarrer Klein gegangen. Die Kirche war immer ein Ort, an dem wir als Jugendliche über alles sprechen konnten, was uns bewegt hat. Pfarrer Klein hat uns als Gruppe eine große Offenheit und ein starkes Interesse entgegengebracht. Und wir durften mitbestimmen, zum Beispiel über die neuen Lampen in der Christuskirche!

Wie hat Sie das beeinflusst?

Die Verbundenheit in der Gemeinschaft und die Erfahrung, dass in der Gemeinde alle willkommen sind, hat mich nachhaltig begeistert. Nach der Konfirmand*innenzeit war ich lange als Jugendleiterin in der Gemeinde tätig, habe auch selber eine Gruppe für Kinder initiiert und wir waren auf Freizeit – das hat einfach Spaß gemacht.

War das eine Entscheidungshilfe für Ihre persönliche Zukunft?

Für mich war sehr schnell klar, dass ich mein Ehrenamt zum Beruf machen möchte. So habe ich 2013 das Studium der Gemeindepädagogik und Diakonie an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe in Bochum aufgenommen. Parallel dazu habe ich Soziale Arbeit studiert.

Mein Praxissemester habe ich bei Pfarrer Sinn im Diakoniepfarramt des damaligen Kirchenkreises Arnsberg absolviert. Hier hatte ich die Möglichkeit die kirchlichen Strukturen weiter kennenzulernen und mich mit meinen Ideen einzubringen. Darauf folgte ein Forschungsauftrag zu den Ressourcen und Herausforderungen der Ehrenamtsarbeit in der Arbeit mit Geflüchteten im Evangelischen Kirchenkreis Arnsberg.

Dazu habe ich eine Stellenkonzeption entworfen und war als Synodalbeauftragte für die Arbeit mit Geflüchteten im Evangelischen Kirchenkreis Arnsberg tätig. 2018 habe ich mein Studium und meine Ausbildung zur Diakonin abgeschlossen und wurde im April in der Auferstehungskirche in Arnsberg in das Amt der Diakonin eingesegnet.

Dann folgte ein Ortswechsel?

Ja. Seit vier Jahren lebe ich nun zusammen mit meiner Familie in Berlin. Hier war ich zunächst als Diakonin und Gemeindepädagogin für die Arbeit mit Familien, Kindern und Jugendlichen in zwei Gemeinden des Kirchenkreises Berlin Süd-Ost tätig und verantwortlich.

Dort haben Sie Ihre Ausbildung fortgesetzt?

Im Sommer 2021 habe ich den Masterstudiengang „Ev. Religions- und Gemeindepädagogik“ an der Evangelischen Hochschule Berlin erfolgreich abgeschlossen und bin nun als Vikarin – Pfarrerin in Ausbildung – der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) in den Gemeinden Berlin-Wartenberg und -Malchow tätig. Mein Vikariat dauert knapp 2,5 Jahre und im Frühjahr 2024 folgt dann die Ordination.

Ein eher ungewöhnlicher Weg, oder?

Sicherlich ist das nicht der „klassische Weg“ ins Pfarramt – lediglich zwei Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland, die EKBO und Evangelische Kirche in Mitteldeutschland, haben diesen Weg ins Pfarramt für Gemeindepädagog*innen mit Masterabschluss geöffnet.

Im Gegensatz zur Theologie ist die Gemeindepädagogik noch recht neu: Seit den 1970er Jahren wird der Begriff für jegliches evangelisches Bildungshandeln wie die Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und Senior*innen usw. verwendet. Sie ist eine eigenständige Profession, die Theologie und Pädagogik miteinander verbindet und sich an den Lebenswelten und Bedürfnissen der Menschen orientiert.

Gemeindepädagogik stammt aus einer Zeit, in der Kirche mit Austritten und Pfarrer*innenmangel zu kämpfen hatte und nach neuen Perspektiven suchte. Ähnliches erleben wir auch heute. Meines Erachtens ist die Gemeindepädagogik deswegen auch heute eine große Chance für Kirche: Sie bringt Menschen und Gemeinde neu in Kontakt.

Die Flüchtlingsarbeit war Thema eines Projektes für den damaligen Kirchenkreis. Inwieweit spielt dieses Thema in Ihre gegenwärtige Aufgabe hinein?

Die Arbeit mit Geflüchteten und Menschen auf der Flucht ist mir nach wie vor eine Herzensangelegenheit und nun wieder hochaktuell. Die Themen Flucht, Verfolgung und Fremdsein liegen in den Wurzeln des Christentums und ebenso in der deutschen Geschichte.

Daher ist es immer auch ein gegenwärtiges Thema, das eines sensiblen Umgangs bedarf. Ich erlebe es so, dass der Krieg in der Ukraine bei Menschen mit eigenen Fluchterfahrungen alte Wunden aufreißt und sie wieder mit der eigenen Geschichte konfrontiert. Besonders das Erleben der Gleichzeitigkeit von Krieg und Frieden ist eine große Herausforderung.

Sie haben selbst vielfache ehrenamtliche Erfahrungen. Wie wichtig ist das Ehrenamt, wo braucht es Förderung, wo stößt es an seine Grenzen?

Die Ehrenamtlichen sind der Schatz der Kirche. Wie wichtig das Ehrenamt in der Kirche ist, wird vor allem daran ersichtlich, dass in der Evangelischen Kirche alle Leitungsgremien mit Ehrenamtlichen besetzt sind, die ganz verschiedene Perspektiven und Hintergründe mitbringen. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Kirche und darin liegt eine große Kraft! Und gleichzeitig kennen wir das ja alle: Kleiner Finger, ganzer Arm.

Wer nur mal etwas aushelfen will, steht gleich zur nächsten Presbyteriums-Wahl zur Verfügung. So sollte es nur sein, wenn alle Beteiligten das wirklich wollen. Ein Ehrenamt kann genauso erfüllend wie kräfteraubend sein. Da ich selber lange ehrenamtlich tätig war, weiß ich wie schwer es ist, die Balance zwischen diesen beiden Polen zu halten. Hier braucht es eine achtsame und professionelle Begleitung durch Hauptamtliche sowie einen wertschätzenden Umgang.

Rund 20 Mio. evangelische Gläubige zählt Deutschland. Tendenz abnehmend. Was sind Ihre persönlichen Rezepte, um der Abwanderung entgegen zu wirken?

Dass Menschen austreten und gleichzeitig die Mitgliederzahlen sinken, ist nichts Neues für Kirche. Mich beschäftigt eher die Frage, wofür es denn heutzutage noch nützlich ist, in der Kirche zu sein? Ja, manchmal ist es hilfreich getauft zu sein, wenn man sich bei einem kirchlichen Träger bewirbt. Aber das halte ich für überholt und langfristig auch nicht zukunftsfähig – die Konfession sagt nichts über die fachliche Kompetenz.

Umso wichtiger finde ich es, sich von den Zahlen zu lösen und auf die Menschen zu schauen und sie als diese wahrzunehmen. Wenn die Kirche eine Kirche für Menschen sein will, dann heißt es konkret, dass sie sich für die verschiedensten Lebensformen und Lebenswelten von Menschen öffnet und ihnen Raum dafür gibt – eben auch digital.

Darüber hinaus hängt nach meinem Empfinden viel an Transparenz und Kommunikation. Zum Beispiel wissen viele Menschen nicht, wofür die Kirchensteuer eigentlich wirklich ist oder dass Pfarrer*innen nicht nur sonntags arbeiten. Wir Christ*innen haben eine großartige Botschaft – aber es fällt uns schwer, sie so zu transportieren, dass Menschen sie verstehen. Es geht also auch um Sprache und Haltung!

Ebenso halte ich es für unabdingbar, dass Kirche zu ihren Fehlern steht und sie offen kommuniziert. Wir alle machen Fehler und die Kirche hat das Heil nicht für sich gepachtet, nur weil sie Kirche ist. Genau so wichtig ist, dass Kirche als gesellschaftliche Akteurin wahrgenommen wird – viele soziale Einrichtungen, die für das Zusammenleben in der Gesellschaft wichtig sind, liegen in kirchlicher Trägerschaft. Außerdem hat Jesus auch mit zwölf Menschen angefangen… da liegen wir mit 20 Mio. ja noch deutlich drüber!

Von Wickede nach Berlin: Hat das Aufwachsen im ländlichen Raum diesen Weg eher gehemmt oder eher gefördert?

Ob das Aufwachsen im ländlichen Raum meinen Weg eher gehemmt oder gefördert hat, kann ich so nicht pauschal sagen. Für mich liegt es eher an den Menschen und den Beziehungen, die Wurzeln sozusagen. Da habe ich sehr viel Gutes für mich mitgenommen, Ressourcen auf die ich heute noch zurückgreifen kann. Dafür bin ich dankbar. Und natürlich ist es so, dass der Blick auf die weiten Felder und das Rauschen der Ruhr Heimatgefühle in mir auslösen. Das bleibt natürlich.

Bei ihrem bisherigen Werdegang und dem Engagement für andere – was ist Ihre Triebfeder?

In meiner Kindheit haben meine Eltern mich häufig Mutter Theresa genannt. Ich bin sicherlich nicht Mutter Theresa, aber dass mir das Wohl meiner Mitmenschen wichtig ist, das war schon immer so. Ich erlebe es oft, dass wir Verantwortlichkeiten z.B. in Bezug auf den Klimawandel, Hilfe für Bedürftige usw. auf andere schieben.

Ist ja auch leichter und ich erwische mich dabei auch selber. Doch wenn das alle denken, dann wird das nichts. Ich muss also bei mir selber anfangen dafür einzustehen, was ich anders haben möchte. Und wenn ich Glück habe, dann motiviert das andere mitzumachen.

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