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Tagespflege unter Mindestlohn

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Von: Martin Hüttenbrink

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Tagesmutter mit zwei Kindern
Tagesmütter tragen mit ihrer Betreuungsarbeit eine große Verantwortung, die sich im Honorar nicht widerspiegele, kritisieren Fachkräfte im Kreis Soest. © Franziska Kraufmann/dpa

Wer nach Gründen für die geringe Akzeptanz einer Tätigkeit als Tagespflegeperson in Wickede und im weiteren Kreis Soest fragt, kommt um die finanzielle Betrachtung nicht herum. Die war jüngst noch im Ausschuss Thema. Dabei, so hört man nun Kritik aus den Reihen von Tagespflegepersonen, habe der Eindruck entstehen können, dass man als Tagesmutter doch recht gut verdiene.

Wickede – Das allerdings sei nun nicht der Fall. Im Gegenteil bleibe nach Abzug aller Aufwendungen von Betriebskosten über anteilige Sozialleistungen bis zur Honorar-Minderung für 2,5 Tage im Monat als Urlaubsanteil oft weniger als der gesetzliche Mindestlohn. Und wenn man versucht, existenzsichernd zu arbeiten, ist man in jedem Fall auch noch mit Steuern dabei.

Zudem sei kürzlich die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall von sechs auf drei Wochen verkürzt worden – mit dem Hinweise, sich mit einer Zusatzversicherung absichern zu können. Abgesehen von weiteren Zusatzkosten hierdurch hätten bisherige Recherchen ergeben, dass eine solche Zusatzversicherung nur unter bestimmten Voraussetzungen greift.

Die meisten Kindertagespflegepersonen müssten sogar ihre Krankenkasse wechseln und selbst dann ist es nicht allen möglich, eine solche Versicherung abzuschließen. Ansonsten stehe man im Krankheitsfall ohne Einkommen da.

Eine Zusatzversicherung, sofern sie diesen Tarif überhaupt anbietet, springt nur nach drei Wochen Krankheit am Stück ein. Haben die Kindertagespflegepersonen 15 Krankheitstage mit verschiedenen viralen Infekten aufgebraucht, was in dem Betätigungsfeld nur allzu erwartbar ist, wird die laufende Geldleistung ab Tag 16 eingestellt bzw. zurückgefordert.

Offiziell haben die Tagespflegekräfte den beruflichen Status „selbstständig“. Zwar erhalten sie ihr Geld vom Kreis, der auch die Höhe der Zahlungen bestimmt. Dadurch, dass sie aber ihre Verträge mit den Eltern schließen, die somit die „Auftraggeber“ sind, ist der mögliche Vorwurf der Scheinselbstständigkeit gegen Pflegekräfte aber auch gegen den Kreis vom Tisch.

Der bezahlt je nach Stunden und nach Alter der Kinder ein Honorar. Für ein U3-Kind gibt es 5,54 Euro die Stunde, für ein Ü3-Kind nur noch 5,04 Euro - bei nahezu identischem Betreuungsaufwand.

Einmal um ganze vier Cent angehoben

Diese Sätze, so berichtet eine Tagespflegeperson, seien in einem guten Dutzend zurückliegender Jahre lediglich einmal angehoben worden: um vier Cent. Das sei das Minimum, das dem Kreis vom Land als Honorarsteigerung aufgegeben wurde. Trotz allgemein steigender Preise der Ressourcen, die für die Arbeit nötig sind wie etwa Strom, Gas oder Lebensmittel gebe es keine Erhöhung der laufenden Geldleistung.

Den Stundensatz einfach erhöhen, indem man bis zu fünf Kinder aufnimmt -– das müsse durchaus differenziert betrachtet werden. Zwar liege man nach Abzug der Kosten dann über dem Mindestlohn, doch sei eine Betreuung von fünf kleinen Kindern schon eine ganz besondere Herausforderung.

Wenn dann noch die Betreuungszeiten der Kinder nicht deckungsgleich sind, reduziert sich die laufende Geldleistung pro Stunde weiter. Ein Beispiel: Fünf Kinder mit je 35 Wochenstunden Betreuung, der erste kommt um sieben, der letzte geht um fünf. Bezahlt werden 5 mal 35 Wochenstunden, gearbeitet hat man aber tatsächlich 50 Wochenstunden.

Ob nun auf Mindestlohnniveau oder darunter: Das Honorar für die Tagespflege sei jedenfalls dem Aufwand und der Verantwortung nicht angemessen. „Wir haben hier mit dem Wertvollsten zu tun, das uns gegeben ist – mit unseren Kindern“. Die Bezahlung gebe das aber in keiner Weise wieder. „Jeder Babysitter verdient mehr“, hört man im Kreis der Tagespflegepersonen.

Aufgabe mit großer Verantwortung

Wobei das Thema Verantwortung über die eigentliche Zeit der Betreuung noch weit hinausgeht. Denn die Jahre der Tagespflege seien gleichzeitig jene Phase, in der die Kinder einen Großteil ihrer Prägung erfahren; eine Zeit also, in der Weichen für das gesamte spätere Leben gestellt werden.

Im Rahmen der jüngsten Ausschusssitzung waren auch Voraussetzungen für eine Tätigkeit als Tagesmutter- oder Vater Thema. Die Qualifizierung umfasse laut Beschreibung der VHS Soest, die eine entsprechende Ausbildung anbiete, 300 Unterrichtsstunden plus 40 Stunden Praktika in einem Familienzentrum oder einer Kita und einer bestehenden Kindertagespflegestelle sowie 140 Stunden Selbstlerneinheiten.

Die Ausbildung dauere eineinhalb Jahre, koste bei der VHS 1 685 Euro, für Teilnehmer aus dem Kreis Soest bestehe nach Rücksprache, erfolgreichem Abschluss und Aufnahme der Tätigkeit zwar die Möglichkeit der Rückerstattung der Kursgebühr – aber erst einmal müsse man sie aufbringen. All das könne abschreckend wirken, hatte dazu FDP-Ratsfrau Löffler befürchtet.

Tatsächlich wird unter Tagespflegepersonen im Kreis Soest auch dieser Aufwand als möglicher Grund angeführt. Allerdings sieht man als ausschlaggebend für die schlechte Akzeptanz dieser Tätigkeit in erster Linie die Bezahlung im Kreis Soest – andere Jugendämter würden da besser entlohnen.

Da sei es kein Wunder, dass bis auf die Großgruppe mit neun Kindern und zwei Betreuungskräften und eine weitere Tagesmutter mit fünf Kindern in Wickede niemand weiteres mehr Tagespflege anbieten wolle.

Nachfrage in der Elternschaft

Die Nachfrage bei den Eltern nach einer Tagespflege für ihr Kind ist groß. Man bekomme ja schon Anrufe von werdenden Müttern, heißt es. Und eine Anruferin machte gar die Entscheidung, noch ein Kind zu bekommen, von einem Tagespflegeplatz abhängig.

Der Bedarf ist also gegeben, ausgebildete Tagespflegepersonen müssten nicht befürchten, dass sie keine Kinder bekommen. Auch dieser Umstand belege, dass die Honorierung einfach nicht angemessen ist und man sich daher nicht wundern dürfe, dass es an Interessenten für diese eigentlich sehr schöne und erfüllende Aufgabe in der Jugendpflege fehle.

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