In der wohl schlimmsten Nacht, die diese Gemeinde in ihrer Geschichte erleben musste und die sich in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, 17. Mai, jährt, wurden Bangemann und der Wickeder Albert Betten wie die gesamte Bevölkerung vom Wasser überrascht. Die Briten haben eben mit ihren Bombern Angriffe auf die Talsperren im Sauerland geflogen. Eine der Bomben auf den Möhnedamm lässt die 1913 errichtete Staumauer erzittern, splittern und bersten. Eine Flutwelle schießt durch das Möhne- und Ruhrtal.
Die Flutwand reißt alles nieder, was im Weg steht. Nach furchtbaren Zerstörungen und hundertfachem Tod von Menschen ruhraufwärts erreicht das Wasser die heutige Gemeinde. Der Ortsteil Echthausen hat Glück: Die Flut zwischen dem Werler und Echthauser Wald hat Platz. Natürlich sind die Menschen alarmiert und schockiert – das Wasser im Ruhrtal steigt. Bis etwa zur heutigen Ruhrstraße klettert es, die Menschen eilen die Anhöhen hinauf, bringen sich und schnell zusammengeklaubte Lebensmittel und Wertgegenstände in Sicherheit.
Was hier noch glimpflich verläuft, reißt durch die Geländeverengung und damit die Beschleunigung der Wassermassen in Wickede eine Schneise des Todes und der Verwüstung durch den Ort. Aus Neheim werden ganze Häuser wie große Schiffe ruhrabwärts gespült und zerschellen mitsamt Menschen auf den Dächern spätestens an den Füchtener Bäumen, wie sich ein Zeitzeuge erinnert. Gleiches passiert in der topografisch konzentrierten Flut in Wickede.
Ähnlich wie die armen Seelen aus Neheim riss die Wucht des Wassers auch im Bereich von Haupt- und Ringstraße Häuser in Teilen oder komplett mit sich, auf deren Dächern Menschen Zuflucht gesucht hatten. Im Chaos tobender Wassermassen und darin treibender Trümmer gelingt es unter anderem Richard Bangemann, halbwegs unverletzt den Kopf über Waser zu halten und flussabwärts im Warmener Raum ans rettende Ufer zu krabbeln.
In Schock, Kälte und Nässe sucht er Wärme in einem Federbett, das ans Ufer geschwemmt wurde – so die Erzählungen. Mit dem Effekt, dass an seinem nassen Körper lauter Federn kleben. Als dann kurz darauf ebenfalls aus Wickede Albert Betten angeschwemmt wird und sich an den Rand der Fluten retten will, kommt der Legende nach Richard Bangemann mit seinem Federkleid wie ein riesiger Vogel durchs Wasser auf ihn zugewankt, um ihm an Land zu helfen.
Bei den Älteren im Ort hält sich diese Erzählung als eine Randerscheinung der Katastrophennacht, die alleine in Wickede 117 Menschen das Leben kostete.
So oder so eine von Menschen gegen Menschen ausgelöste Katastrophe, deren Grauen und Leid noch im Rückblick für Bestürzung sorgt. Nicht aber, wie tausendfache weitere Beispiele zeigen, für eine Änderung menschlicher Verhaltensweisen. Mit dem russischen Wahnsinn in der Ukraine muss man da gar nicht weit in die Ferne schweifen.
Gerade vor dem Hintergrund des Krieges in der Ukraine soll die diesjährige Möhne-Gedenkfeier nicht nur dem Dank für Frieden bei uns gelten, sondern auch dem tausendfachen gewaltsamen Tod vor unserer Haustür. „Wir haben viele Jahrzehnte lang an diese dunkelste Nacht der Ortsgeschichte in Dankbarkeit für Frieden erinnern können. Dieses Jahr begeht die Gemeinde das Gedenken an die Möhnekatastrophe unter dem Eindruck eines furchtbar zerstörerischen Angriffskriegs in Europa, der in der Ukraine tobt, zerstört und tötet“, sagt Wickedes Bürgermeister Martin Michalzik in einer Einladung an die gesamte Bevölkerung. Wenn am Dienstag,16. Mai, ab 20.30 Uhr zum 80. Jahrestag der Flutnacht die Gedenkfeier am Möhnemahnmal stattfindet, dann gehen die Gedanken auch in die Ukraine, wo Menschen gegenwärtig täglich apokalyptisches Grauen erleben, wie es in der Nacht zum 17. Mai 1943 auch in Wickede herrschte.