Dienstags ist Stille Stunde im Edeka

Ruhig und reizarm einkaufen – das ist der Grundgedanke der „Stillen Stunde“, entwickelt für die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Autismus. Sie bekommen damit oftmals erst die Chance, wie jeder andere einen Supermarkt zu besuchen. Das Konzept kommt natürlich auch vielen anderen Kunden entgegen und wird künftig für eine Stunde in der Woche im Edeka-Markt angeboten.
Wickede – Aus den Lautsprechern hallen Musik und Durchsagen, beim Einräumen der Regale klappern die Dosen und in der Kassenzone piepen unablässig die Scanner – schon wer einen schlechten Tag erwischt hat, mag diese Geräuschkulisse als störend empfinden. Mancher Autist aber ist mit solchen akustischen Reizen schlichtweg überfordert – weil er nicht filtern kann, weil seine Wahrnehmung schutzlos dem Scharren, Klimpern und Klirren ausgesetzt ist und die Töne wie Nadelstiche auf seine Wahrnehmung einwirken.
Der Effekt: Stress bis hin zur Panik und entsprechende Verhaltensweisen, die ein Außenstehender kaum nachvollziehen kann, die oft genug zu Unverständnis und Ablehnung führen. Kein Wunder daher, dass junge Autisten von ihren Eltern erst gar nicht zum alltäglichen Einkaufen mitgenommen werden, dass für Erwachsene mit Autismus der Gang in den Supermarkt immer wieder eine höchst belastende Erfahrung ist, die daher oft genug gemieden wird.
Dabei können schon einige wenige Änderungen helfen, auch Autisten das für andere völlig normale Einkaufserlebnis im Supermarkt zu ermöglichen – und damit ein Stückweit Teilhabe am „ganz normalen Leben“. Die Idee für dieses Konzept der Inklusion stammt von der Mutter eines autistischen Kindes in Neuseeland. Sie hatte die hierzulande als „Stille Stunde“ bekannte Idee entwickelt, die mittlerweile Kreise zieht.
Vorreiter in der Region
Immerhin: In der Region ist Edeka-Heder Vorreiter. Man muss schon bis Bielefeld oder Bergisch-Gladbach gucken, will man das Konzept wiederfinden. Angeschoben wurde die Kooperation, an der neben Wickedes großem Vollsortimenter auch die Kommune als Partner beteiligt ist, vom heimischen Verein „Zuhause-Gut“. Corona hatte die Umsetzung in den vergangenen Jahren noch geblockt, jetzt setzen die Partner der „Stille Stunde“ das Projekt um, präsentierten ihr Vorhaben am Dienstag im Edeka erstmals öffentlich.
Ab 14. Februar soll die „Stille Stunde“ immer dienstags von 16 bis 17 Uhr ein besonders ruhiges Einkaufserlebnis in den Gängen des 2400-qm-Marktes bieten. Musik und Durchsagen werden abgestellt, ebenso die Scannertöne an den Kassen, Waren-nachschub wird während dieser Stunde nur dort eingeräumt, wo es unbedingt notwendig ist.
In den Genuss dieser „akustischen Entschleunigung“ kommen natürlich alle Kunden. Erfahrungsgemäß etwa schätzen ältere Semester dieses beruhigte und unaufgeregte Einkaufserlebnis, aber auch jüngere Generationen genießen es, wenn auf diese Weise beim Einkaufen die Sinne entlastet werden.
Einkaufs-Paten
Natürlich kann es während der Stillen Stunde auch mal laut werden – „unsere Kinder sind ja auch nicht immer leise“, sagt Vorsitzende Leonie Knapp. Im Mittelpunkt stehe die planbare Geräuschentwicklung.
Daneben bietet die Aktion noch einen weiteren Zusatznutzen. Die Initiatoren vom Verein Zuhause-Gut möchten während der Stillen Stunde auch Einkaufs-Paten anbieten. „Wir wollen erstmal gucken, ob das überhaupt gewünscht ist“, sagen Leonie Knapp und Andrea Schulte vom Vereinsvorstand. Ihr Hintergedanke: Wer beim Einkaufen gerne Hilfestellungen und Unterstützung hätte, dem soll eine Begleitung für den Gang durchs Geschäft angeboten werden.
Ansprechbar sind die Initiatoren des Projektes aber demnächst auch während der Stillen Stunde. Mit informativen Aufstellern und einem Stand sind Vertreter des Vereins Zuhause-Gut für jeden Interessierten erreichbar und stehen am Edeka-Markt für Fragen rund um das Thema zur Verfügung.
Integration und Inklusion
„Integration und Inklusion zu leben, ist uns sehr wichtig“, sagt der 2019 in Wickede gegründete Verein Zuhause-Gut e.V. Öffentlichkeitsarbeit und Sensibilisierung der Bevölkerung für Menschen mit Autismus zählen zu den Handlungsfeldern des Vereins mit seinen aktuell rund 80 Mitgliedern.
Dies sind Eltern autistischer Kinder, Jugendliche und erwachsene Kinder sowie Förderer. Neben der Vereinsarbeit mit Familientagen, Ausflügen oder qualifizierter Kriseninterventionen plant der Verein ein Wohnprojekt mit angegliederter Tagesstruktur für 24 volljährige Autisten mit hohem Assistenzbedarf. „Im gesamten Umkreis gibt es derzeit keinen Supermarkt, der ein reizarmes Einkaufen anbietet. Das wollen wir ändern“, so der Verein.
Daher habe man auch nach Anregungen von Kreis-Vertreterin Britta Horbach ein Konzept nach dem neuseeländischen Vorbild entwickelt, das nun mit der dankenswerten Bereitschaft von Geschäftsführerin Laura Heder und mit Unterstützung der Kommune und ihrer Wirtschaftsförderin Ruth Hornkamp umgesetzt werde.