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Vater einer schwer kranken Tochter fühlt sich vom Finanzamt „maximal diskriminiert“

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Von: Gerald Bus

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Das Finanzamt Soest und auch die Oberfinanzdirektion äußern sich nicht zu den Vorwürfen
Das Finanzamt Soest und auch die Oberfinanzdirektion äußern sich nicht zu den Vorwürfen © PETER DAHM

Ein Werler versteht die Welt nicht mehr. Die Welt, die ohnehin keine heile mehr ist, seit das Schicksal vor 15 Jahren zugeschlagen hat. Im Kampf mit dem Finanzamt hat er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um „verheerende Ungerechtigkeiten“ zu beseitigen. Ein Anwalt, der Steuerberater, die Behindertenbeauftragte des Landes NRW, die Amtsärztin des Kreises Soest – alle sind eingeschaltet. Aber die Finanzbehörden schalten auf stur.

„Meine Tochter Alexandra leidet an einer genetisch bedingten seltenen Erkrankung, dem sogenannten Dravet-Syndrom“, sagt Michael Neumann, der selber Mediziner ist und eine Praxis in Hamm betreibt. Mit fünf Monaten erkrankte das Kind. Unheilbar. Hauptsymptome seien lebensbedrohliche epileptische Anfälle, die gehäuft oder in Serien auftreten, dazu kämen unter anderem erhebliche Schlafstörungen über Jahre und orthopädische Probleme.

Die Behandlung gestalte sich sehr schwierig, sagt der Werler. „In der Regel müssen mehrere anti-epileptisch wirkende, teure Medikamente eingenommen werden.“ Anfallsfrei wird Alexandra dadurch aber fast nie.

Erhebliche Belastung auch in finanzieller Hinsicht

Aufgrund dieser schweren Erkrankung bestehe eine erhebliche Belastung für die gesamte Familie, auch in finanzieller Hinsicht. Der Kampf um die Tochter, aber nun auch der mit der Finanzbehörde, hinterlässt Spuren. „Die Gesundheit von uns als Eltern und der Geschwister wird mit beeinträchtigt.“

Seit 2010 erhält Alexandra zusätzlich eine weitere Behandlung: eine „Ketogene Diät“, die mit viel Aufwand verbunden ist – und hohen Kosten. Die fett- und proteinreiche sowie kohlenhydratarme Ernährung trage zur Anfallsreduktion bei, müsse aber genau durchgeführt und intensiv überwacht werden; „die Einleitung dieser Therapie wird unter stationären Bedingungen durchgeführt, da eine totale Stoffwechselentgleisung eintreten kann“, schildert Neumann. Die Ketogene Diät sei eine „Mangelernährung“; dadurch sei medizinisch gerechtfertigt, dass Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente hinzugegeben werden müssen, weil diese durch die Diät nicht ausreichend abgedeckt sind.

Für Alexandra habe die Familie ein etabliertes System „ausgetüftelt“, sagt der Vater. Und es sei wissenschaftlich anerkannt, dass Antiepileptika Vitamine und Mineralstoffe verbrauchen. Bei Alexandra bestehe unter anderem ein Vitamin D- und Magnesiummangel. Hinzu kommt, dass Mineralien und Vitamine bei Durchfällen zugegeben werden müssen. Eine Unterstützung sei deshalb nötig, genauso wie die medikamentöse Behandlung der Nebenwirkungen der Antiepileptika.

Medizinische Gutachten liegen vor - aber das ficht die Behörde nicht an

Bisher, sagt der Werler, seien diese zusätzlich anfallenden Kosten steuerrechtlich als Sonderausgaben anerkannt worden. „Aber auf einmal kann das nicht mehr geltend gemacht werden.“ Warum? Neumann ist ratlos. Er hakte nach, stieß aber beim Finanzamt auf taube Ohren. Medizinische Gutachten und Stellungnahmen liegen zwar vor, aber das ficht die Behörde seit Monaten nicht an. „Mittlerweile habe ich auch die Behindertenbeauftragte NRW eingeschaltet, da meine Tochter eine hundertprozentige Schwerbehinderung und Pflegegrad 5 hat“, sagt Michael Neumann.

Der Familie gehört mein vollstes Mitgefühl.

Irmgard Soldat, ehemalige Zeit Vizelandrätin

Er bewertet das Verhalten des Finanzamtes als „sehr unangemessen“, spricht von Behörden- und Beamtenwillkür. „Ich sehe mich als Vater einer schwerbehinderten Tochter als maximal diskriminiert und benachteiligt an.“ Immerhin habe er in der Behindertenbeauftragten NRW und auch in der Holtumerin Irmgard Soldat, lange Zeit Vizelandrätin und Vorsitzende des Jugendhilfeausschusses, Fürsprecherinnen und offene Ohren gefunden, lobt Neumann. Irmgard Soldat bestätigt das: Sie wisse um die „Riesenprobleme“ der Familie mit dem Finanzamt, die offenen Fragen: „Der Familie gehört mein vollstes Mitgefühl.“

Kampf durch den Behördendschungel

Im Kampf mit dem Finanzamt hat sich Neumann durch den Behördendschungel geschlagen und ans Gesundheitsamt gewandt. Von der Amtsärztin des Kreises liegt mittlerweile eine schriftliche Bestätigung der medizinischen Notwendigkeiten für seine Tochter vor, zur Vorlage beim Finanzamt. Das Dravet-Syndrom sei „gesichert diagnostiziert“; die ketogene Diät habe „zu einer deutlichen Verbesserung der Anfallsfrequenz geführt“.

Amtsärztin: „Medizinisch notwendig“

Und: „Um unter dieser Kost einer Mangelernährung vorzubeugen, ist die Gabe von Spurenelementen und Vitaminen medizinisch notwendig“, schreibt die Amtsärztin.

Viele Fragen bleiben offen. Vor allem, warum das Finanzamt offenbar Änderungen in der Anerkennung der Anrechenbarkeit bestimmter Medikamente vorgenommen hat. Nun bleibt Neumann nur der Klageweg, um zumindest die erhebliche finanzielle Belastung für die Familien zu lindern. Die seelische bleibt. In einer Welt, die weitere Risse bekommen hat.

Oberfinanzdirektion: „Krankheitskosten können steuerlich geltend gemacht werden“

Trotz Datenschutzbefreiungserklärung hüllt sich die Oberfinanzdirektion, an die das Finanzamt Soest eine Anfrage unserer Zeitung weitergeleitet hatte, in Schweigen. Unter Verweis auf das Steuergeheimnis – obwohl Michael Neumann mehrfach und ausdrücklich die Offenlegung aller seiner Daten freigegeben hat – könne man „keine Informationen zu steuerlichen Einzelfällen zur Verfügung stellen (... ) Die von Herrn Neumann vorgelegte Datenschutzfreistellungserklärung ist nicht wirksam“, sagt Jessica Jasper, stellvertretende Pressesprecherin der Oberfinanzdirektion Nordrhein-Westfalen. Allgemein gelte, dass Krankheitskosten, „soweit sie nicht zum Beispiel von der Krankenkasse erstattet worden sind und auch in der Zukunft nicht erstattet werden, als außergewöhnliche Belastung steuerlich geltend gemacht werden können“. Die Notwendigkeit der medizinischen Maßnahme sei „durch ärztliche oder heilpraktische Verordnung, beispielsweise ein Rezept, nachzuweisen“, so Jasper. Genau das habe er gemacht, versichert Neumann.

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