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Biker holen Ukrainer aus der Kriegszone

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Von: Sandra Goerdt-Heegt

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Eine Frau mit zwei Kindern wurde im Bulli der „Free Eagles“ nach Minden gebracht, wo sie jetzt Unterkunft gefunden hat.
Eine Frau mit zwei Kindern wurde im Bulli der „Free Eagles“ nach Minden gebracht, wo sie jetzt Unterkunft gefunden hat. © Pick

„Ich hatte frei, und wir haben einen Bulli“: Diese beiden Faktoren reichten für Oliver Pick vom Chapter Werl des Motorradclubs völlig aus, sich dem Hilfskonvoi der „Free Eagles Germany“ an die Grenze zur Ukraine anzuschließen.

Werl - Was so simpel klingt, war natürlich eine immense Herausforderung, körperlich wegen der großen Entfernung, aber auch aufgrund der psychischen Belastung.

„Auf der Hinfahrt hatte ich so viel Adrenalin im Blut, da war von Müdigkeit keine Spur“, sagt er – und das, obwohl der Track sich abends um 20 Uhr mit zehn Bullis und 20 Fahrern in Minden in Bewegung setzte und den Bahnhof von Przemysl an der polnisch-ukrainischen Grenze erst um 11 Uhr tags darauf erreichte. „Am schlimmsten war es, sich die Kinder anzu-gucken, und es waren dort fast ausschließlich Frauen und Kinder.“

Insgesamt dreimal sind die Mitglieder des Motorradclubs, zusammengestellt aus verschiedenen Chaptern deutschlandweit, bisher am Wochenende losgefahren. „Beim ersten Mal haben wir nur Hilfsgüter hingebracht und konnten, weil in den Bullis nur die Fahrersitzbank zur Verfügung stand, insgesamt nur acht Personen mit auf die Rücktour nehmen.

Das war uns zu wenig, sodass wir bei der zweiten Fahrt auf Bullis mit Sitzplätzen umgeswitcht sind, die wiederum auf der Hinfahrt mit Hilfsgütern wie Lebensmitteln und Medikamenten vollgepackt waren.“

So konnten bei dieser Rücktour mit 39 Personen deutlich mehr Menschen die Fahrt nach Deutschland antreten. Alle, die bei dieser Tour einen Platz bekamen, sind inzwischen bei eigenen Freunden oder bei Familien, Freunden oder Nachbarn der „Free Eagles“ untergebracht.

Einer habe gleich ein komplett leer stehendes Haus für eine sechsköpfige Familie zur Verfügung gestellt. „Da wurden dann noch schnell Betten und das Nötigste sonst zusammengestellt.“ Ein weiterer Transport schaffte eine Ladung Rollstühle ebenfalls nach Polen, schließlich gebe es auch viele Ältere, die nicht mehr gut zu Fuß und somit darauf angewiesen sind.

Wenn man die Kinder mit nichts als ihren Kuscheltieren dort stehen sieht, das ist so grausam, das lässt keinen kalt. Da waren wir alle oft den Tränen nahe.

Oliver Pick

Sprachliche Hürden überbrückten die Biker bei ihrer Tour mit entsprechenden Touch-Karten, auf denen das Wichtigste, mehrsprachig aufgeschrieben, für die Verständigung sorgte. „Alle Flüchtlinge waren sehr gefasst und machten trotz der Umstände einen zufriedenen Eindruck.

Sie waren einfach nur froh, dass sie aus dem Kriegsgebiet wegkamen“, so Picks Überzeugung. Dennoch war die Situation insgesamt schwer zu ertragen. „Wenn man die Kinder mit nichts als ihren Kuscheltieren dort stehen sieht, das ist so grausam, das lässt keinen kalt. Da waren wir alle oft den Tränen nahe.“

Auf die Frage, wieso sich der Motorradclub hier so stark macht, kommt die Antwort prompt. „Es gibt einige von uns, die mit Ukrainerinnen verheiratet sind. Aber die meisten gucken einfach nur genau hin, wo Hilfe benötigt wird, ob wie jetzt in der Ukraine oder wie seinerzeit nach der Flut im Ahrtal.“

Denn auch dort unterstützen die „Free Eagles“ die Menschen mit Spendengeldern, beispielsweise aus einem Verkauf einer von einem Mitglied gespendeten Harley Davidson. An die große Glocke hängen die einzelnen Chapter ihr Engagement allerdings eher nicht. „Wichtig ist, dass etwas getan wird“, so die Devise.

Neuer Plan: Medikamente besorgen

Durch die Zerstörung der Schienen in der Westukraine kommen aktuell am Bahnhof in Przemysl keine Menschen mehr an. Lediglich eine Frau, deren Töchter bereits beim letzten Transport nach Minden mitgenommen wurden, hatte es von Charkiv über Lwiw bis dorthin geschafft. Weitere fünf Ukrainer nahmen die „Free Eagles“ mit ihren Bullis aus Warschau und Krakau mit. Aktuell ist der Plan, Medikamente, die einer der Ärzte in Przemysl aufgeschrieben hat, zu besorgen und zu liefern.

Und was sagen die anderen Mitglieder des Werler Chapters zum Engagement ihrer Biker-Kollegen? Sie finden es einfach richtig, richtig gut, dass auch einer aus ihrem Chapter dabei war. Wer weiß, vielleicht findet sich in den kommenden Wochen ein weiterer mit Urlaub und Auto, denn die Aktion der Biker wird auf jeden Fall weiterlaufen, solange es nötig ist, das steht für alle „Free Eagles“ außer Frage.

Spenden

Die Spendenbereitschaft für die Ukraine ist ungebrochen und auch die „Free Eagles“ freuen sich über jede Unterstützung. Über das Paypal-Konto des Mitglieds „Hannesbertke“ vom Chapter Artland sind Spenden für Lebensmittel und Medikamente, aber auch für Sprit zum Transport von Menschen und Gütern, jederzeit möglich. Der Link zum Konto kann auch über die Seite „Minden hilft/Ukraine“ gefunden werden.

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