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App gegen Lebensmittel-Verschwendung: Hier funktioniert „Too good to go“ schon

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Von: Fabian Neuenzeit

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Rettung für die Auberginen: Statt in die Tonne packt Christian Bruhns, stellvertretender Filialleiter bei Edeka Sauer in Werl, sie in den „Magic Bag“. Neben Auberginen bietet dieser an dem Tag auch Kartoffeln, Bananen, Gurken, abgepackte Wraps und sogar Ananas: Für 3 Euro.
Rettung für die Auberginen: Statt in die Tonne packt Christian Bruhns, stellvertretender Filialleiter bei Edeka Sauer in Werl, sie in den „Magic Bag“. Neben Auberginen bietet dieser an dem Tag auch Kartoffeln, Bananen, Gurken, abgepackte Wraps und sogar Ananas: Für 3 Euro. © Fabian Neuenzeit

Das Konzept ist denkbar einfach, der Start in der Hellwegstadt lief dennoch schleppend. Bis jetzt. Lebensmittel, die, obwohl sie noch gut sind, in der Tonne landen, ärgern viele. Die App „Too good to go“ will da, auch wenn es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist, Abhilfe und in jedem Fall ein Bewusstsein schaffen.

Werl - Ein Klick, einen kleinen Betrag online bezahlen und schon können auch Werler eine ganze Tüte noch genießbarer Lebensmittel gerettet haben.

Auf den Zug aufgesprungen sind in der Hellwegstadt verschiedene Unternehmen, vom Lebensmittelmarkt bis zum Imbiss. Luft nach oben gibt es dennoch. Sind es in Dortmund schon weit über 50 Angebote, zeigt die Karte in der App für Werl erst vier kleine Punkte an, an denen die sogenannten „Magic Bags“ auf Kunden warten.

Wir haben nachgefragt, welche Erfahrungen die Unternehmen gemacht haben und was sie von dem Konzept halten. Denn: „Too good to go“ ist aktuell voll im Trend, täglich gibt es neue Erfolgsmeldungen. Jede Sekunde werde eine Mahlzeit vor der Entsorgung gerettet, wirbt man für die Idee.

Die App gibt es, auch für Werl, schon seit einigen Jahren. Wieso „Too good to go“ nun richtig durchstartet? Die Gründe dafür liegen auf der Hand. In Zeiten von Inflation und steigenden Lebensmittelpreisen können, neben dem guten Gewissen, nämlich auch echte Schnäppchen gemacht werden.

So der Fall bei Edeka Sauer, die neben Werl auch mit ihren Filialen in Bönen und Welver mitmachen. Die Ausnahme vorweg: Im Geschäft an der Unnaer Straße ist „Too good to go“ schon vor zwei Jahren eingezogen, sagt Filialleiter Robin Reinhardt. „Eine gute Sache“, habe sich die Geschäftsführung früh dazu entschlossen, mitzumachen. In dem Markt im Werler Westen werden jeden Abend vier „Magic Bags“ herausgegeben. Für drei Euro, wobei der Warenwert immer bei rund 10 Euro liegt.

„Darin gibt es ausschließlich Obst und Gemüse. Es kommt jeden Tag etwas anderes rein“, so Reinhardt. „Sachen, die nicht mehr gut aussehen und deswegen nicht verkauft werden, aber noch gut sind.“

Die „Magic Bags“ schaltet Edeka jeden Abend um 19 Uhr zum Kauf in der App frei. „Ruck zuck“ seien die dann weg, oft innerhalb von fünf Minuten, weiß der Filialleiter. Abholen können die Kunden ihre Tüte dann am nächsten Tag ab 17 Uhr an der Kasse. „Einfach dort melden. Dann wissen die Mitarbeiter Bescheid und holen die Tüten aus dem Kühlhaus.“ Dass jeder die Tüte bekommt, die ihm zusteht, wird mittels eines Codes in der App gewährleistet.

Kein Gewinn, sondern Verlustminimierung

Gewinn mache Edeka mit den „Magic Bags“ nicht, so Reinhardt. Nicht zuletzt, weil die Entsorgungskosten wegfallen, spricht er von einer „Verlustminimierung“. Immerhin: Aus Unternehmersicht sei die App gut aufgebaut. Das Einstellen der Angebote und die Registrierung zu Beginn klappe sehr einfach und brauche kaum Zeit. „Auch täglich variierende Tüten sind in der App möglich.“ Denn: Für das Ziel von „Too good to go“, die Verschwendung von Lebensmittel zu verringern, benötigt es eine größtmögliche Flexibilität. So gibt es bei Edeka Sauer auch mal mehr Tüten, wenn der Bedarf da ist.

Eine kleine Stellschraube ist zudem das Oster- und Weihnachtsgeschäft. Denn Reste der Feste bietet die Filiale an der Unnaer Straße immer als Sonderaktion auf „Too good to go“ an. Ein guter Ausgleich, wenn man bedenkt, dass die Ware schon ein Jahr im Voraus kalkuliert und bestellt werden muss, erklärt Reinhardt.

Tüten ohne Ausnahme jeden Tag abgegeben

Genau so verschieden wie das Obst und Gemüse in der Tüte, sind auch die Kunden, die tagtäglich die „Magic Bags“ abholen. Bestimmt 80 Prozent seien „U-40“, erkennt auch der Filialeiter, dass sich „Too good to go“ besonders bei Jüngeren zunehmender Beliebtheit erfreut. „Aber es sind alle Leute dabei, auch Familien“, spricht Reinhardt von einem bunten Mix. Ob Schnäppchenjäger oder nicht: „Die Mehrheit macht es wegen des Arguments des Wegwerfens“.

Rundum zufrieden mit „Too good to go“ sind Nathalie und Patrick Kass, Betreiber der „Pommes-Schranke“ an der Büdericher Kirche.
Rundum zufrieden mit „Too good to go“ sind Nathalie und Patrick Kass, Betreiber der „Pommes-Schranke“ an der Büdericher Kirche. © Fabian Neuenzeit

Den Eindruck hat auch Nathalie Kass, auch, wenn es bei ihr so gar nicht um Obst und Gemüse geht. Mit ihrem Mann Patrick betreibt sie den Imbiss „Pommes-Schranke“ an der Kunibertstraße in Büderich. Seit rund einem Monat sind sie Teil von „Too good to go“. „Es läuft“, lässt Nathalie Kass die vergangenen Wochen Revue passieren. Auch die anfängliche Skepsis sei inzwischen passé. Schließlich hat der Imbiss schon gut zu tun, „mit Lieferando und unserem eigenen Liederdienst“, so Kass.

Die „Magic Bags“, die „Pommes-Schranke“ bietet jeden Abend einen an, seien bislang „ausnahmslos jeden Tag weggegangen. Außer montags, da ist Ruhetag“. Die Käufer bezahlen jeweils 4,50 Euro, circa ein Drittel des eigentlichen Warenwerts. Die hungrigen Lebensmittel-Retter erwartet irgendwas zwischen Hähnchen, Currywurst/Pommes, Gyros und Salat. „Bis jetzt waren alle Kunden zufrieden“, stimmt das auch Nathalie Kass zufrieden. Positiver Nebeneffekt: „Wir können neue Kunden gewinnen, die über die App auf uns aufmerksam werden“.

Der Eindruck der Betreiberin: „Jede Gesellschaftsschicht kommt zum Abholen, jedes Alter, jedes Geschlecht“. Vielen gehe es primär um den Nachhaltigkeitsgedanken.

Gewinn verschwindend gering

„Too good to go“ läuft bei der „Pommes-Schranke“ so gut, dass auch über eine Erweiterung nachgedacht wird. „Statt einem dann zwei Magic Bags.“ Eben so viel, wie möglich ist. Schließlich sollen verfügbare Reste verwertet, und nicht neue produziert werden.

Premiere auch in Hilbeck: Dort sind vergangene Woche die ersten „Magic Bags“ über die Theke gegangen. Kurzfristig sei man dort früher als geplant an den Start gegangen, vermeldet Philipp Dördelmann, Geschäftsführer der Bäckerei aus Hamm.

Nach einer erfolgreichen Testphase in einer Hammer Filiale ist klar: „Too good to go“ soll in allen 14 Filialen eingeführt werden, so Dördelmann. In Hilbeck werden nun täglich zwei Reste-Tüten angeboten, „mit einem Warenwert von neun Euro“. Bei Dördelmann machen die „Magic Bags“ ihrem Namen alle Ehre: Von Brot und Brötchen über Teilchen bis hin zu Kuchen, alles kann drin sein.

Philipp Dördelmann selbst ist privat auf die App aufmerksam geworden, auch, weil er von anderen Bäcker-Kollegen davon gehört hat. Nachdem er sich informiert hat, sei der Entschluss, mitzumachen, schnell gefasst gewesen.

Drahtseilakt: Breites Sortiment bis Ladenschluss

Und das, obwohl „der Gewinn verschwindend gering ist“. Von den drei Euro, die Kunden in der App bezahlen, bekommt er nach Abzug von Nutzungsgebühren und Co. etwas über einem Euro. Im Gegensatz zur Mülltonne sei das immer noch eine gute Sache, besonders für Bäckereien ein „riesen Mehrwert“. Grund dafür sei der tägliche Drahtseilakt, den Kunden bis Ladenschluss ein breites Sortiment anzubieten, ohne dabei viel entsorgen zu müssen. „Too good to go“ greift für ihn an der richtigen Stelle. Fazit von der Testphase in Hamm: „Wir sind sehr zufrieden“.

Die Rückmeldung habe er auch vom Verkaufspersonal hinter der Theke erhalten. Vor Beginn hatte er Sorge, für das Personal könnte durch das Packen und Abholen der Tüten eine Mehrbelastung entstehen. Der Geschäftsführer ist froh, dass das ausgeblieben ist.

Die „Magic Bags“ schaltet Dördelmann jeden Abend um 19 Uhr frei. Die Erfahrung zeigt: „Sie sind kurz danach verkauft“. Auch die Abholzeiten sind festgelegt. Am Folgetag können die Kunden ihre Tüte eine Viertelstunde vor Ladenschluss, in Hilbeck also von 17.45 bis 18 Uhr, abholen.

Festtagstüten bei Dreimeister

Frisch dabei merkt Dördelmann: „Viele Nutzer sind schon viel fitter“. Die Bereitschaft, und da sind sich alle Werler Anbieter, egal ob Banane, Bratwurst oder Brötchen, sicher, sei groß. Die Werler Kunden freuten sich, eine Möglichkeit zu haben, ganz praktisch etwas gegen die Verschwendung von eigentlich noch guten Lebensmitteln zu tun.

Aktuell vierter im Bunde in Werl ist Dreimeister. Laut App wurden in Westönnen schon über 250 „Festtagstüten“ gerettet.

Über die Stadtgrenzen hinaus gibt es weitere Angebote. Allein in Soest sind es über zehn, in Welver und Wickede jeweils zwei.

Die App

2015 wurde „Too good to go“ in Dänemark gegründet, schon seit einigen Jahren ist die App auch in Deutschland verfügbar. Gastronomiebetriebe, Restaurants und andere Läden können Ware, die aufgrund ihres Aussehens oder Mindesthaltbarkeitsdatums sonst im Müll landen würden, stark vergünstigt anbieten. Das Konzept: Sogenannte „Magic Bags“, bei denen der Kunde vorher nur grob weiß, was drin ist. So sind die Angebote flexibel und möglichst viel kann vor der Tonne gerettet werden.

Auf einer interaktiven Karte werden Nutzern die verschiedenen Angebote in Werl angezeigt.
Auf einer interaktiven Karte werden Nutzern die verschiedenen Angebote in Werl angezeigt. © Fabian Neuenzeit

Über allem schwebt der Gedanke, die Verschwendung von überflüssig produzierten Lebensmitteln einzudämmen, auch aus Gründen des Klimaschutzes. In der App werden verfügbare Angebote im Umkreis des Nutzers angezeigt. „Too good to go“ kann in den üblichen App Stores heruntergeladen werden. Auch interessierte Betriebe können sich in der App mit wenigen Klicks registrieren.

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