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Abschied vom Gas: Stadtwerke legen in Neubaugebiete keine Leitungen mehr

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Von: Dominik Maaß

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Bei der Erschließung des kleinen Baugebiets an der Weststraße in Westönnen legten die Stadtwerke keine Gasleitungen in die Erde. Bei einer Abfrage hatte niemand Interesse an einem Anschluss bekundet. Beim neuen Baugebiet im Werler Norden wird Gas nunüberhaupt nicht mehr in Erwägung gezogen.
Bei der Erschließung des kleinen Baugebiets an der Weststraße in Westönnen legten die Stadtwerke keine Gasleitungen in die Erde. Bei einer Abfrage hatte niemand Interesse an einem Anschluss bekundet. Beim neuen Baugebiet im Werler Norden wird Gas nun überhaupt nicht mehr in Erwägung gezogen. © Uta Müller

Als die Stadtwerke 2020 ihre Versorgungsleitungen für das neue Baugebiet „An Wortmanns Mühle“ in Büderich in die Erde brachten, waren auch noch Röhren für Erdgas dabei. Und in Westönnen warb der heimische Versorger damals noch erfolgreich um neue Erdgaskunden. Entscheidungen, die damals logisch und nur zwei Jahre später völlig aus der Zeit gefallen scheinen.

Werl – Wie komplex das Thema Wärmeversorgung inzwischen geworden ist, zeigt sich am Vorgehen für das Neubaugebiet Werl-Nord-III. Dabei geht es nicht nur um das künftige Wohngebiet, sondern auch um die grundsätzliche strategische Ausrichtung der Stadtwerke.

Auf der städtischen Fläche am Langenwiedenweg sollen etwa 32 Einfamilienhäuser, mehrere Doppelhäuser und Mehrfamilienhäuser entstehen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Weltlage und der Klimadebatte sei der Anschluss des künftigen Wohngebietes ans Erdgasnetz keine Option mehr, erläutert Stadtwerke-Geschäftsführer Robert Stams. Aber auch wirtschaftlich sei dies nicht mehr zu verantworten. Schließlich lohne die Investition in die Infrastruktur nur, wenn sich hinterher auch genügend Abnehmer finden.

So wird „An Wortmanns Mühle“ wohl das letzte Baugebiet sein, das neu ans Gasnetz gebracht wurde. In Westönnen, an der Straße „Zum Wietborn“, wo gerade ein Mehrfamilienhaus und mehrere Einfamilienhäuser entstehen, haben die Stadtwerke das Interesse nach Gas noch abgefragt. Mit dem Ergebnis, dass es kein Interesse gab. Aus nachvollziehbaren Gründen, wie Norman Petersson, Leiter Vertrieb und Finanzen, weiß: „Gas ist ein sehr hochwertiger Energieträger, zu hochwertig für ein modernes Effizienz-Haus. Das lohnt sich einfach nicht.“

Noch vor zwei Jahren: Rund 100 neue Anschlüsse in Westönnen

Auch eine aktive Neukundenwerbung wie vor zwei Jahren in Westönnen, bei der rund 100 neue Gasanschlüsse herauskamen, würde man wohl heute nicht mehr durchführen, sagt Petersson. Damals habe man aber vor allem auf den Ersatz alter Öl-Heizungen gezielt. Und Gas galt als sauberere Brückentechnologie.

In Bezug auf „Werl Nord III“ hätten sich die Stadtwerke intensiv mit dem Thema Wärmeversorgung beschäftigt und einige Optionen geprüft, sagt Stams. Im Fokus stand dabei nach Austausch mit Stadt und Politik die Idee, das Baugebiet an ein „kaltes Nahwärmenetz“ anzuschließen. Bei dieser Technik würden die einzelnen Wärmepumpen an den Gebäuden ihre Wärmeenergie nicht aus der Umgebungsluft ziehen, sondern aus einer anderen zentralen Wärmequelle. Folgende Optionen wurden laut den Stadtwerken geprüft:

Ergebnis aller Prüfungen: Das Projekt „kalte Nahwärme“ wurde gestoppt. Das müsse man so akzeptieren, sagt Bürgermeister Torben Höbrink, der die „gute und enge Zusammenarbeit“ mit den Stadtwerken lobt. Und diese Arbeit sei ja nicht umsonst. Für zukünftige Baugebiete wisse man nun exemplarisch, welche Möglichkeiten bestehen und welche Parameter bei der Prüfung eine Rolle spielen.

Kein Gas, keine Nahwärme: „Einfach zu sagen, damit sind wir raus, kam für uns aber nicht in Frage“, sagt Stadtwerke-Chef Robert Stams. Stattdessen will der Versorger den Kunden künftig immer mehr als Energiedienstleister zur Seite stehen. Was im Bereich Photovoltaik und Wall-Box bereits funktioniert, soll künftig auch für das Feld Wärmepumpen gelten. Vertriebschef Petersson schwebt dabei ein Komplett-Paket aus einer Hand mit Kauf- und Pachtmodellen in Kooperation mit dem heimischen Handwerk vor. „Die Zukunft wird elektrisch“, ist er sicher.

Hohe Nachfrage nach Solaranlagen

Dazu passt auch die hohe Nachfrage nach Solaranlagen. Seit dem Start der Vermarktungsoffensive der Stadtwerke vor zwei Jahren seien über 100 Verträge geschlossen worden, 40 bis 50 Anlagen seien schon auf den Dächern. Es könnten noch mehr sein, doch man komme kaum hinterher. Material und Kapazitäten im Handwerk seien begrenzt. Rund 80 Prozent der Kunden hätten sich für das Pachtmodell entschieden.

5000 Anschlüsse: Im Bestand bleibt Erdgas wichtig

Rund 5000 Gasanschlüsse gibt es in Werl. Im Bestand werde das rund 130 Kilometer lange Gas-Netz auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen, glaubt Stadtwerke-Chef Robert Stams. Das Molekül werde aber grüner werden. Schon jetzt gebe es einen kleinen Biomethan-Anteil. Künftig könnten Wasserstoff-Beimischungen eine größere Rolle spielen. Weil dieses Gas flüchtiger ist, müssten dafür aber Armaturen ertüchtigt werden. Zurzeit sei eine Beimischung von maximal zehn Prozent denkbar.

Auch bei den Installateurbetrieben spielt Gas immer noch eine Rolle. So gebe es zum Beispiel ältere Kunden, die noch einmal ihre Heizung tauschen müssen und sich mit nichts neuem beschäftigen wollen, sagt Burkhard Schriek, Geschäftsführer von Kaspar Dröge. „Da bauen wir auch noch Ölkessel ein.“ Der Gaskessel habe zudem einen großen Vorteil: „Wenn der heute kaputt geht, können wir morgen einen neuen einbauen.“

Lange Lieferzeiten bei Wärmepumpen

Bei Wärmepumpen gebe es hingegen Lieferzeiten bis zu einem dreiviertel Jahr. Den gesamten Bestand auf Wärmepumpen umzurüsten, werde auch nicht funktionieren, sagt Schriek. Dafür gebe es nicht genug Arbeitskräfte, außerdem sei die Technik nicht für jedes Haus geeignet. Im Innenstadtbereich fehlten dafür manchmal schlicht der Platz. Ob Krieg oder Klima: Wichtigster Faktor bei der Kundenentscheidung sei das Finanzielle. Und teurer werde es auf jeden Fall, so Schriek. Das Sparen von Energie werde wieder wichtiger, so wie früher, wenn die „gute Stube“ kalt und geschlossen blieb.

Marvin Berens, Projektleiter bei „H&S“ spürt ein großes Informationsbedürfnis bei den Kunden und rät denen, die intakte Gas- und Ölheizungen haben, zur Geduld. Niemand habe eine Glaskugel und könne absehen, wie sich die Lage über den Winter hinaus entwickelt. Die Kunden sollten die Zeit aber nutzen und sich Gedanken machen, wie ihre Heizungstechnik in Zukunft aussehen soll. Fällt die Heizung kurzfristig aus, könne die Lösung meist nur ein Kompromiss seien. Die Lagerkapazitäten seien bis an die Schmerzgrenze hochgefahren. Trotzdem komme es zu langen Wartezeiten. Und mehr Personal könne man sowieso immer gebrauchen.

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