Werl stehe mit diesem Problem aber nicht alleine da. Viele andere Kommunen seien genauso von der neu eingeführten Verjährungsfrist (siehe Infokasten) betroffen. Und noch wichtiger sei ihm der Blick in die Zukunft. „Droht uns woanders noch Ungemach?“ Erster Zwischenstand nach dem Durchforsten der Aktenberge: „Es sieht gut aus.“
Nordrhein-Westfalen führte zum 1. Juni eine Verjährungsfrist für Ersterschließungsbeiträge ein. Diese Beiträge werden von Grundstückseigentümern einmalig für die Fertigstellung der öffentlichen Infrastruktur – wie Straßen, Wege, Parkflächen oder Grünanlagen – erhoben. Künftig müssen Städte innerhalb von zehn Jahren nach der Erschließung die Beiträge eintreiben. Für Altfälle gilt eine Frist von 20 Jahren. Ausgeschlossen ist zudem die Festsetzung der Beitragspflicht für Erschließungsanlagen, wenn seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung mindestens 25 Jahre vergangen sind. Damit sollen die Anlieger künftig davor geschützt sein, dass sie noch Jahrzehnte nach Beginn eines Ausbaus eine böse finanzielle Überraschung erleben.
Unklar ist allerdings noch, wie groß der finanzielle Schaden der bekannten vier Fälle am Ende tatsächlich ist. Konkret geht es um folgende Straßen:
Je nach Ausgang der Prüfungen könnten der Stadt also noch deutlich mehr Geld durch die Lappen gehen: Im schlimmsten Fall könnte sich der Verlust zusammen mit den bereits abgeschriebenen 480.000 Euro auf mehr als eine Million Euro summieren. Im günstigsten Fall bliebe es bei den 480.000 Euro.
Vor fünf Jahren kommentierte der Kollege zum ständigen Verschieben des Ausbaus an der Harkortstraße: „Schluss mit dem Rumgeeier“. Nun hat die Stadt den Salat – einen ziemlich großen mit mindestens 480.000 „Eiern“. Bürger, die in der Vergangenheit Ersterschließungsbeiträge gezahlt haben, dürfen sich zurecht verschaukelt fühlen. Sie sind nun die Dummen. Freuen dürfen sich die Anlieger der vier betroffenen Straßen. Ihre Beiträge bleiben nun auf alle Bürger umgelegt.
Das Geld lag wortwörtlich auf den Straßen – und die Stadt hat es dort liegen lassen. Und das zu Zeiten, in denen Werl im Stärkungspakt jeden Euro zusammenkratzen musste und alle Bürger bei den Grundsteuern kräftig zur Kasse gebeten hat.
Die Politik reagierte auf die Informationen im Rat vor allem mit Schweigen. Aus gutem Grund. Denn die Versäumnisse der Vergangenheit allein der Verwaltung anzulasten, wäre zu kurz gesprungen. Oft genug hat es am politischen Willen gefehlt, die Straßen auszubauen und somit das Einziehen der Beiträge zu ermöglichen. Klar, Anlieger und potenzielle Wähler sind wenig begeistert, wenn sie Beiträge bezahlen sollen – oft geht es dabei um stattliche Summen. Doch für besonders schwierige Fälle gibt es Instrumente – etwa das der Stundung. Und letztlich muss die Stadt sich am Grundsatz der Gleichbehandlung messen lassen. Und dieser wurde hier missachtet.
Wohlwollend betrachtet, haben Verwaltung und Politik das Thema in der lange berechtigten Annahme vor sich hergeschoben, dass ein Abschicken der Beitragsbescheide auch später noch möglich seien wird. Doch das macht das Aufschieben nicht besser. Genau diese zweifelhafte Praxis vieler Kommunen war es, die den Gesetzgeber zur Änderung der Gesetzeslage bewogen hat – mit einer Übergangsregelung von 25 (!) Jahren. Das Gute der endlich erfolgten Aufarbeitung ist: Der „Eier-Salat“ steht nun für alle sichtbar auf dem Tisch. Und allen dürfte klar sein. Mehr davon braucht Werl wirklich nicht.