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Renaturierungs-Ärger kam mit Ansage

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Von: Fabian Neuenzeit

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Renaturierungsarbeiten am Mühlenbach zwischen Heidebauerweg und Domherrenkamp
Reihenweise zurückgeschnittene Bäume zeugen von den Renaturierungsarbeiten, die im Frühjahr auf dem Abschnitt zwischen dem Heidebauerweg und dem Domherrnkamp stattfanden. Foto: Neuenzeit © Fabian Neuenzeit

Es wäre eine gute Pointe, wäre das Thema nicht so ernst. Eine Vorhersage aus dem Jahr 1988 ist eingetreten.

Werl/Niederbergstraße – In diesem Jahr, als der Mühlenbach begradigt und fest eingebettet wurde, sagte es eine Gruppe engagierter Marien-Gymnasiasten unter Leitung ihres Umwelt-AG-Leiters Benno Dalhoff voraus: Irgendwann wird der Mühlenbach zu „horrenden Summen“ renaturiert werden müssen. Der Anzeiger berichtete damals.

Die Umweltschützer ahnen nichts Gutes und prophezeien eine in ein paar Jahren zu erwartende, horrende Summen verschlingende Renaturierung des Mühlenbaches.

Anzeiger-Artikel vom 7. Oktober 1988 zu den Sorgen der Umwelt-AG.

Jetzt ist die Vorhersage eingetreten. Und bereitet auch noch Ärger. Jüngst bemängelte Revierpächter Harald Gerbracht die Ausführungen der Arbeiten durch den Kreis, die im Frühjahr auf dem Abschnitt zwischen dem Heidebauerweg und dem Domherrnkamp stattfanden: Ein Refugium sei „zerstört“ worden. Der Kreis dementiert. Dalhoff, der 13 Jahre lang die Umwelt-AG am MG leitete, auch seine Doktorarbeit über das Thema schrieb und heute als Künstler in Soest lebt, erinnert sich: In den 1980er-Jahren sei der Mühlenbach ein intakter und wertvoller Lebensraum gewesen.

Gegen die „Fesslung“ des Baches, seinem Ermessen nach ein „brutaler Eingriff in den Naturhaushalt des Bachs“, protestierte er mit seinen im Natur- und Umweltschutz engagierten Schülern, „unterstützt von den lokalen Naturschutzverbänden und dem Landschaftsbeirat bei der ULB (Untere Landschaftsbehörde) des Kreises Soest“.

Damals, bei ihren Recherchen vor Ort, hätten die in der AG Aktiven festgestellt, „dass es sich bei dem von den Wasserbauern des Kreises Soest als naturnah bezeichneten Ausbau um ein ausgesprochenes Negativbeispiel handelt“. Man habe zu dem Schluss kommen müssen, dass dieser „gründlich misslungen“ war und „damit wieder ein wertvolles Reststück Natur im Raum Werl, das als Naherholungsgebiet sehr beliebt war, verloren gegangen ist“.

Damals zahlreiche Aspekte kritisiert

Auf die nun durchgeführten Renaturierungsarbeiten blickt Dalhoff mit einem lachenden und einem weinenden Auge: Die Maßnahme sei der richtige Schritt, dennoch ein enormer Eingriff und an gleicher Stelle wie vor über 30 Jahren in seiner Ausführung wieder ein Negativbeispiel. Wermutstropfen sind „in dieser Tragödie“ laut dem Soester besonders die entstehenden Kosten.

Auch wenn die Intention nachvollziehbar sei, ließen sich zahlreiche Parallelen zwischen den beiden eigentlich gegenteiligen Maßnahmen erkennen.

„Mit großem finanziellem Aufwand wurden Eisvogelbrutplätze und -jagdreviere vernichtet.“ Seiner Meinung nach ist der wahre Grund für Sinn und Unsinn der Arbeiten in den 80ern klar: „Hier ging es also nicht um angeblichen Hochwasserschutz, sondern um die weitere absurde Steigerung der Agrarüberproduktion. Auch die als Ausgleichsmaßnahme deklarierten, an riesige Tennisplätze erinnernden ‚Feuchtbiotope‘ führten in der nunmehr ausgetrockneten Aue kein Wasser.“

Ein weiteres Beispiel von damals, was Dalhoff bis heute im Kopf geblieben ist: Von der Fesselung ebenfalls betroffen gewesen, das war auch die Gräfte von Haus Koeningen. Deren Wasserspiegel sank. Daher äußerte die MG-Umwelt-AG die Sorge, dass „sich möglicherweise die Eichenfundamente dieses Anwesens so verändern könnten, dass man sich um den Bestand des historischen Gebäudes Sorgen machen müsste“.

Was den Marien-Gymnasiasten damals besonders sauer aufgestoßen ist: „Von derselben verantwortlichen Behörde wurde auf der anderen Seite des Kreises zur selben Zeit ein beispielhaftes Renaturierungsprojekt mit Millionenaufwand an der Rosenau durchgeführt.“

Natur Respekt entgegenbringen

Auch über den Mühlenbach hinaus macht Dalhoff sich Gedanken: „Das Schicksal des Mühlenbachs an der südlichen Gemeindegrenze von Welver war und ist bedauerlicherweise überall präsent. Der vergangene Sommer hat uns drastisch vor Augen geführt, mit welchen Folgen wir aufgrund der Nichtbeachtung ökologischer Grundregeln in der Vergangenheit für die Zukunft der Erde werden rechnen müssen.

Dieses Mal ist der Kreis Soest ja noch vergleichsweise relativ glimpflich davongekommen, sieht man von den beträchtlichen Schäden im Ortsteil Soest-Hattrop einmal ab. Aber die sintflutartigen Regenfälle, die in kurzer Zeit Straßen, Gärten, Parks und Felder unter Wasser gesetzt haben, haben uns eine Ahnung unserer Hilflosigkeit trotz all unserer technischen Möglichkeiten gespiegelt.“

Ein Ende des „erbarmungslosen Vernichtungs-Feldzugs gegen die Natur“ ist nach Dalhoffs Auffassung nicht einmal ansatzweise in Sicht, „obwohl gerade auch der Verlust der Biodiversität eine existenzielle Bedrohung für uns Menschen darstellt. Ganzheitliches und vernetztes Denken scheinen uns nahezu vollständig verloren gegangen zu sein“.

Was damals schon im schulischen Kontext der AG am Werler Gymnasium galt, ist heute aktueller denn je: Die natürlichen Lebensgrundlagen schätzen zu lernen und ihnen den notwendigen Respekt entgegenbringen. „Wir sind nämlich mittlerweile an einem Kipp-Punkt angelangt, an dem nur ein konsequent achtsamer Umgang mit unserem Planeten die sich abzeichnende Apokalypse hoffentlich noch verhindern kann“, sagt der Soester.

Die Natur sei viel zu oft „Freiwild für jedermann“. Kritisch blickt Dalhoff da auch auf die rechtliche Frage. Aktiengesellschaften, Konzerne und Co.: All diese „unbeseelten Rechtssubjekte“ würden trotz dessen als juristische Person Rechte genießen. „Warum dann nicht auch Bächen, Flüssen und Bäumen Rechte zuerkennen?“, so der Soester.

Das Hin und her, dessen Ausgang den Umwelt-Engagierten von Beginn an klar war, sei neben der hohen Belastung für die Natur vor allem eins: Eine „unverantwortliche Verschwendung von Steuergeldern“.

Trotz allem: Dalhoff, der heute noch als Künstler aktiv ist, erinnert sich gerne an die Zeit „seiner“ Umwelt-AG zurück. Nicht zuletzt Preise und Auszeichnungen sprechen dafür, dass es auch eine erfolgreiche war. Zumindest, wie wir heute wissen, hätte die Zukunftsvision zum Mühlenbach kaum wahrer sein können.

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