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„Falsche Italiener“ ohne Folgen: Aber „Deal“ nach Betrug kostet Ehepaar 10.000 Euro

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Von: Gerald Bus

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Landgericht Arnsberg
Vor dem Landgericht Arnsberg musste sich ein Ehepaar aus Werl verantworten - mit einem Deal endete das Verfahren vorläufig.  © Rebecca Weber / Archiv

Sie sollen aus Albanern mit falschen Pässen Italiener gemacht haben - aber das vorgeworfene zigfache „gewerbsmäßige Einschleusen von Ausländern“ konnte einem Ehepaar beim Prozess am Landgericht Arnsberg nicht nachgewiesen werden. Dennoch muss es nun zahlen: wegen Betrugs.

Werl/Arnsberg – Die Vorwürfe wogen schwer. Aber noch schwerer wog die Beweislast. Die lag bei der Staatsanwaltschaft. Und die hatte erkennbar keine wirkliche Chance, die Menschen, um die es ging, in den Zeugenstand zu bringen, um einem Werler Ehepaar die Vorwürfe des zigfachen „gewerbsmäßigen Einschleusens von Ausländern“ auch nachzuweisen. Kein Belastungszeuge war für die Behörden erreichbar.

Zu Unrecht gab es Geld vom Jobcenter

Aber ungeschoren kam das Paar dennoch nicht davon beim Prozess am Landgericht Arnsberg. Denn in vier Fällen zwischen 2014 und 2017 sollen Verwandte des Ehepaars, beide deutsche Staatsbürger mit albanischen Wurzeln, zu Unrecht Geld vom Jobcenter Werl erhalten und einen Großteil davon an das Ehepaar weitergeleitet haben. Betrug war daher Gegenstand einer weiteren Anklage – und in diesem Fall drohte ein Urteil gegen die beiden Angeklagten, weil ein Schaden in zumindest drei Fällen weniger schwer nachweisbar war.

Bandbreite der Vorwürfe gegen das Werler Ehepaar im Schnelldurchlauf

Zum Auftakt der Verhandlung war die gesamte Bandbreite der Vorwürfe gegen das Werler Ehepaar im Schnelldurchlauf von Oberstaatsanwalt Marco Karlin verlesen worden. Ebenso kurz war danach der Prozess. Denn wirklich verhandelt wurde das alles vor Gericht nicht. Eher war das Landgericht um den Vorsitzenden Richter Jäger um einen „Deal“ bemüht; ein erster Versuch einer Verständigung war im Dezember am Fehlen der Staatsanwaltschaft gescheitert. Dort habe die Verteidigung die Vorwürfe bereits als „haltlos“ bezeichnet und auf die lang zurückliegenden Tatzeiträume und die schwere Beweisbarkeit verwiesen. Ein Aspekt, dem der Richter „grundsätzlich zugestimmt“ hatte, wie er nun angab. Im Gegenzug gebe es aber eine hohe Schadenssumme.

Vereinbarung zur Schadenswiedergutmachung

Den Auftakt der Hauptverhandlung gegen das Ehepaar nutzte der Richter daher jetzt, um zunächst die Deal-Bereitschaft mit allen Beteiligten zur Verhinderung eines längeren Prozesses auszuloten. Die gab es. Nach 45 Minuten Unterbrechung stand die Vereinbarung: Wenn beide Angeklagten je 4 800 Euro in sechs Raten an das Jobcenter Werl als Schadenswiedergutmachung zahlen, wird das Verfahren eingestellt. Zudem muss der angeklagte Mann auf mögliche Entschädigungsansprüche für die Zeit in seiner Untersuchungshaft verzichten. Verteidigung und Staatsanwaltschaft stimmten dem Vorgehen zu, Richter Jäger verkündete den Beschluss der vorläufigen Einstellung; der Fortsetzungstermin ist hinfällig.

Die Verteidigung beharrte darauf, dass es dann bei den zusammen 9 600 Euro an das Jobcenter aber auch bleiben müsse – zumal der Schaden mit rund 13 000 Euro für die in Frage kommenden drei Fälle höher beziffert worden war. Sorge der Verteidigung: Das Jobcenter könne den Differenzbetrag nachfordern. Allerdings, so der Richter, sei die Behörde in dieser Frage bislang nicht tätig geworden. Laut Staatsanwaltschaft ist ein selbstständiges Einziehungsverfahren „nicht beabsichtigt“.

Vorwurf von frei erfundenen Daten

Den Passtrick (Infokasten) soll das Paar übrigens auch bei den vier Fällen angewandt haben, in denen Verwandte eine Rolle spielten. Mit „frei erfundenen Daten“ sei hantiert worden, um eine Anmeldung in Werl zu ermöglichen und Albaner in den Arbeitsmarkt zu bringen. Die Ehefrau soll als Übersetzerin unterstützt haben. Über Wohngeldzuschüsse durch das Jobcenter sollte sich das Paar eine zusätzliche Einnahmequelle gesichert haben. Denn die Verwandten zweigten einen Großteil der Summen direkt an das Werler Paar ab, so der Vorwurf. Rund 40 000 Euro zahlte das Jobcenter in den genannten vier Fällen; drei davon galten als nachweisbar.

Falsche Pässe, falsche Namen: Alle zehn Fälle nicht nachweisbar

Ein Teil der Vorwürfe richtete sich allein gegen den angeklagten Ehemann. Er soll zwischen 2014 und 2018 in mindestens zehn Fällen Albaner mit falschen Pässen ausgestattet haben. Dazu soll er italienische Blanko-ID-Karten (entsprechen dem deutschen Personalausweis) an albanische Staatsangehörige verkauft haben; mit frei erfundenen, italienisch klingenden Namen und einem Foto auf der Blanko-ID-Karte sollen sich die eingeschleusten Albaner eine Arbeitsberechtigung erschlichen haben. Dazu gab es drei Meldeadressen in Werl, die beim Einwohnermeldeamt verwendet wurden – allesamt zu Immobilien passend, die dem 57-jährigen Angeklagten gehören. Ziel sei jeweils die Schaffung eines Vermögensvorteils gewesen, hieß es in der Anklageschrift vor der Zweiten Großen Strafkammer des Landgerichts. Denn der Mann habe nicht nur viel Geld für die falschen Pässe kassiert, sondern auch von der Vermittlung der Eingeschleusten an Firmen in der Region, darunter eine Spedition und eine Bäckerei, profitiert haben. Da Italien anders als Albanien Teil der Europäischen Union ist, erleichterten die gefälschten Pässe den Zugang zum Arbeitsmarkt und damit illegal eine längere Verweilmöglichkeit in Deutschland. 27 000 Euro soll der Angeklagte dadurch kassiert haben. Auch von einer Scheinehe war die Rede. Aber alle Vorwürfe waren letztlich nicht nachweisbar.

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