Einwohner | ca. 32.000 |
Fläche | 76,24 km² |
Bürgermeister | Torben Höbrink |
„Man kommt sich vor wie ein Schwerverbrecher, obwohl man eigentlich nichts gemacht hat. Aber die ganze Welt denkt das: die Polizei, der Richter“, schildert Juschka ihre Gefühlslage.
Die ganze Geschichte begann im März 2022. Beim Einkauf im Aldi-Markt in Bönen ist einer 66-jährigen Frau die Geldbörse aus ihrem Rollator entwendet worden – samt EC-Karte und PIN-Code. 1.000 Euro sollen die Diebe am nächsten Tag abgehoben haben, erläutert Rodehüser den Tathergang, Die Kripo erhielt Überwachungsbilder vom Bankautomaten und gab sie zur öffentlichen Fahndung frei.
„Die erste Einladung durch die Polizei Werl vor der Anklageerhebung kam im September per Post“, erinnert sich Juschka. Doch die Vernehmung sollte in der Zeit stattfinden, in der sie zur Arbeit musste. Telefonisch bat sie deshalb darum, den Termin zu verschieben. Im Zuge dessen erfuhr sie auch, das der zuständige Sachbearbeiter der Polizei erkrankt ist.
Daraufhin schrieb Juschka eine ausführliche E-Mail, in der sie ihr Anliegen schilderte und auch ihr Stundenkonto anhängte. „Ich war zur Tatzeit auch arbeiten“, sagt Juschka, die beruflich als Arztassistentin in einem Krankenhaus in Hamm tätig ist.
Man kommt sich vor wie ein Schwerverbrecher, obwohl man eigentlich nichts gemacht hat. Aber die ganze Welt denkt das: die Polizei, der Richter.
„Auf die E-Mail kam nie eine Antwort.“ Deshalb rief Juschka erneut bei der Polizei an. „Ich bin da auch sehr ungeduldig, was das angeht.“ Am anderen Ende der Leitung versuchte man, die Beschuldigte zu beruhigen. Sie solle sich keine Gedanken machen, es werde sich schon jemand melden. Der zuständige Sachbearbeiter sei unterdessen weiterhin erkrankt gewesen. Insgesamt dreimal habe sie bei der Polizei Werl angerufen. „Es ist anscheinend nie vermerkt worden, dass ich angerufen habe“, sagt Juschka. Und auch ihre Mails seien nie gelesen worden. Alles lief ins Leere. „Da haben mehrere Beamte ihren Job nicht geleistet“, ärgert sich Juschka.
„Da ich mich als Beschuldigte ja nicht äußern muss und ich zum Termin nicht erschienen war, ging alles zurück zur Staatsanwaltschaft. Und dann wurde Anklage erhoben“, sagt Juschka und lacht. Mittlerweile kann sie das wieder.
Die auch für Werl zuständige Kreispolizeibehörde Soest räumt den Fehler ein und verweist auf eine Mitteilung der Kreispolizei Unna zum Fall. Die hatte deutlich gemacht, dass der Fehler in der Soester Behörde passiert war und schrieb: „Wir können uns nur entschuldigen. Alle Anrufe und Mails müssen wie vorgesehen in der Akte dokumentiert werden. Wir werden versuchen, unsere Abläufe weiter zu optimieren.“ Dem sei nichts hinzuzufügen, sagt die Soester Polizeisprecherin Diana Kettelhake.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Juschka noch gar keine Kenntnis vom eigentlichen Hintergrund. Die wildesten Geschichten habe sie sich ausgemalt, weil sie sich nicht erklären konnte, wie ihre Person überhaupt in den Verdacht kam: Erst die Akteneinsicht beim Amtsgericht in Unna brachte Klarheit: Ein Zeuge hatte sie und ihren Ehemann am Geldautomaten beobachtet. „Wir haben im Juli letzten Jahres geheiratet“, erzählt Juschka. „Zwei Tage später haben wir die Geldgeschenke an der Sparkasse in Werl eingezahlt.“ Dort standen sie eine ganze Weile, um die teils zu Fächern gefalteten Geldscheine zu glätten. Der Zeuge habe jedoch gedacht, sie würden das Geld abheben. Dem war nicht so. Auch der „dicke weiße Mercedes“ kam dem Zeugen verdächtig vor. Das Auto hatten sie sich für die Hochzeit geliehen.
Für den Zeugen hatten die beiden außerdem Ähnlichkeit mit denjenigen, die auf den Fahndungsfotos der Überwachungskameras zu sehen waren. „Ein Afrikaner und eine dunkelhaarige Frau haben eine erhebliche Menge Geld abgehoben“, so der Wortlaut des Zeugen.
Ihr Ehemann sei zwar leicht dunkelhäutig, jedoch Amerikaner, stellt Juschka klar: „Der Mann auf dem Fahndungsfoto war außerdem hellhäutig. Und ich finde, auch ich sehe der Frau auf dem Foto nicht ähnlich – bis auf die Haarfarbe.“ Sie sei zudem viel älter, was auch mit der aufgesetzten FFP2-Maske zu erkennen gewesen sei. Hier hätte sich Juschka gewünscht, dass wenigstens die Polizeiarbeit besser gelaufen wäre.
Wir können uns nur entschuldigen. Alle Anrufe und Mails müssen wie vorgesehen in der Akte dokumentiert werden. Wir werden versuchen, unsere Abläufe weiter zu optimieren.
„Mir blieb letztlich nichts anderes übrig, als mir einen Anwalt zu nehmen“, so Juschka. Anwalt Andreas Trode aus Iserlohn konnte die „Pannen in der Ermittlungsakte“ letztlich nachweisen.
Erst Ende Januar 2023 wurde die Anklage seitens der Staatsanwaltschaft zurückgenommen und das Verfahren eingestellt. Noch bevor über die Eröffnung des Hauptverfahrens durch das Amtsgericht entschieden wurde.
„Ich war psychisch so fertig von der ganzen Sache“, sagt Juschka. Wütend sei sie vor allem über den ganzen Ablauf, auf den Zeugen und dessen Beobachtung gewesen.
„Die Wortwahl war für mich etwas rassistisch“, findet Juschka. Man neige schnell dazu, bei Menschen mit dunkler Hautfarbe und viel Geld voreilige Schlüsse zu ziehen. Ob er bei einem blonden Pärchen auch so gehandelt hätte? „Ich glaube nicht“, sagt sie und findet das schade. Werl sei sehr multikulturell, so etwas gehöre hier nicht hin.
„Ich finde, die Geschichte muss gehört werden und an die Öffentlichkeit“, sagt Juschka. Zivilcourage sei wichtig. Hinsehen statt wegsehen kann für die Polizei hilfreich sein. Dem ist sich auch die 27-Jährige bewusst: „Ich will nicht, dass Zivilcourage aufhört. Aber man braucht schon ein bisschen Feingefühl dabei.“
Richtiges Beobachten sei wichtig. Von den Polizeibeamten hätte sich Juschka eine persönliche Entschuldigung gewünscht.
Einen neuen Ermittlungsstand zu den „echten Dieben“ gibt es laut der Polizei im Kreis Unna derzeit nicht. Eine erneute Veröffentlichung der Fahndungsfotos könne nur auf Antrag des zuständigen Amtsgerichtes erfolgen. Erst dann könnten die Lichtbilder wieder über das Fahndungsportal NRW ausgespielt werden.