Das Prinzip von „Too good to go“ (siehe Infokasten) ist denkbar einfach: In der App werden alle verfügbaren Angebote in der Nähe angezeigt, dann ein Klick, online bezahlen, und zu einer vorgegebenen Uhrzeit abholen. Und die Auswahlmöglichkeiten an diesen „Magic Bags“ in der Hellwegstadt nimmt stetig zu, ebenso die Nachfrage.
Ganz neu mit dabei ist die Star-Tankstelle an der Hammer Straße. „Wir machen seit Montag mit“, sagt Pächterin Sandra Suntrop. Nicht nur in Werl, sondern auch in den drei weiteren Tankstellen, die sie in Bönen, Kamen und Hamm betreibt. Reste aus dem Tankstellen-Bistro wegschmeißen zu müssen, habe sie satt – und macht mit denen deshalb jetzt ihre Kunden satt. Denn besonders in Tankstellen müsse viel weggeschmissen werden.
Die Registrierung in der App habe ganz einfach funktioniert, und auch das tägliche Freischalten der „Magic Bags“ sei mit wenigen Klicks getan. Das neue Angebot sei sofort sehr gut angenommen worden. „Das hätte ich nicht gedacht.“ Wenn die Tüten im Laufe des Tages freigeschaltet würden, seien sie schon nach kurzer Zeit ausverkauft - und zwar „von allen Altersgruppen“, zieht Suntrop ein erstes Fazit.
Da die Kunden über die App bezahlen, müssen sie einfach nur dem Verkäufer Bescheid geben und können ihren „Magic Bag“ sofort mitnehmen. Das geht täglich zwischen 20 und 22 Uhr, für die zwei, die Reste-Tüten des Tages ergattert haben. So viele werden nämlich in der Regel pro Tag angeboten, je nachdem, wie viel übrig ist. In den Tüten landen bei Star Waren aus dem Backshop, „belegte Brötchen und Crossaints“ zum Beispiel, außerdem Produkte aus dem Tankstellenshop mit abgelaufen Mindesthaltbarkeitsdatum. „Man weiß ja, was man trotzdem noch verkaufen kann.“ 3,50 Euro kosten die Tüten, beim „normalen“ Verkauf würden Kunden dreimal so viel bezahlen. Gewinn macht Suntrop damit natürlich nicht, aber es sei ein gutes Gefühl, „das, was sich bis zum Ladenschluss nicht verkaufen lässt, nicht wegschmeißen zu müssen.“ Auch persönlich unterstützt sie das Konzept der App daher voll.
Genauso sieht es Eugen Nazarov. Er ist auch Tankenstellen-Betreiber, allerdings von der Classic-Station in Hilbeck. „‚Too good to go‘ ist eine feine Sache“, meint er. Bei ihm gibt es in der Regel nur ein bis zwei „Magic Bags“ pro Woche. „Man kennt ja seinen Tagesverbrauch und versucht natürlich, die Theke so zu bestücken, dass es keine Reste gibt“, erklärt Nazarov. Früher habe er diese wegschmeißen müssen oder an den Nachbarn weitergegeben. „Für die Hühner“, schmunzelt er. Eigentlich sei das aber viel zu schade. „Vor allem im Moment“, sagt Nazarov im Hinblick auf die steigenden Preise.
Seit fast einem Jahr werden die Reste bei der Hilbecker Tankstelle gerettet. Wie oft es in der Zeit vorkam, dass ein „Magic Bag“ nicht weggegangen ist? „Genau ein Mal“, zieht Nazarov ein durchweg positives Fazit. Genau wie seine Kunden. „Die Rückmeldungen sind sehr positiv“, so Nazarov. „Wieso wegschmeißen, wenn es noch schmeckt“, gefällt auch ihnen das Konzept. Und die Kunden seien nicht nur aus Hilbeck. Viele kämen auch aus Werl, viele aus Rhynern. „Und aus allen Schichten. Alle versuchen, Lebensmittel zu retten.“
Bei Classic landen in den Überraschungstüten in erster Linie Bistro-Snacks und Brötchen, „zum Beispiel Frikadellenbrötchen“, Sandwiches und Abgelaufenes aus dem Shop, „so was wie Chips“, zählt Nazarov auf. „Too good to go“ würde er „jedem Einzelhandel empfehlen. Allen, die viel wegschmeißen.“ Das sei viel zu schade, lieber sollte man „anderen für kleines Geld eine Freude machen“.
Doch trotzdem sieht Eugen Nazarov bei „Too good to go“ auch Verbesserungspotenzial. Klein, mittel, groß: Tag für Tag zu entscheiden, welchen Tütenwert er anbieten will, das ginge nicht. Bei der Anmeldung habe er sich für einen Tütenwert mit zwölf Euro Warenwert entschieden. Die sei für ihn jetzt gesetzt.
Nazarov hofft, dass „Too good to go“ noch bekannter wird. „Es gibt bestimmt noch mehr Leute, die sich die Tüten holen würden, wenn sie davon wüssten.“ Die App habe noch viel mehr Potenzial - auch in Werl. In anderen Städten gibt es nämlich teils deutlich mehr Angebote. In Soest sind es 15, allein in Wickede vier. Die Hälfte der „Too good to go“-Angebote in der Ruhrgemeinde sind von der Bäckerei Niehaves. Und die hat das App-Angebot zur Lebensmittel-Rettung auch auf Werl ausgeweitet, genauer auf Büderich, wo die beiden Werler Filialen der Bäckerei sind.
Adrian Geers von Niehaves erzählt: An der Kunibertstraße und bei Turflon sei man seit Herbst letzten Jahres bei „Too good to go“ dabei. In der Regel gebe es pro Filiale drei Tüten. Und in denen kann alles landen, was eine Bäckerei zu bieten hat: „Immer ein geschnittenes Brot, normale Brötchen, Körnerbrötchen, Crossaints, Kuchen oder ein süßes Teilchen“, zählt Geers nur einiges davon auf. Einige Kunden würden Inhalte des „Bags“ auch einfrieren.
Das Konzept kommt auf beiden Seiten der Theke an. „Wir kriegen Resonanz, die ist sehr gut. Sowohl von den Verkäufern, wie auch von den Käufern.“ Werden die Tüten freigeschaltet, sind sie spätestens nach zwei bis drei Minuten in der App vergriffen - nicht nur in den Büdericher Filialen. „Es geht nicht darum, das große Geld zu machen“, aber da man bei Niehaves versucht, noch mehr gegen die Lebensmittelverschwendung zu tun, sei man froh, „jetzt in ‚Too good to go‘ einen guten Partner gefunden zu haben“, so Geers.
Greta Platte, Verkäuferin bei Niehaves an der Büdericher Kunibertstraße, fällt zudem auf: Waren es am Anfang eher die jungen Leute, die sich die „Magic Bags“ kauften, täten das nun auch immer mehr Ältere. „Alle Leute kommen, alle Schichten. Nicht nur eine Gruppe.“ Natürlich müssten einige Ältere erst mal „reinkommen“, im Umgang mit der App warm werden. Es sei auch schon vorgekommen, dass Kunden an der Theke gefragt hätten: „Wie funktioniert das?“ Die App kurz zu erklären: Für Greta Platte und ihre Kollegen kein Problem.
Insgesamt, da ist man sich bei Niehaves sicher, sei „Too good to go“ eine „super Sache“. Dass man froh ist, dabei zu sein, macht die Bäckerei auch nach außen sichtbar. In der Tür hängt ein Schild, dass auf die Möglichkeit, die stark vergünstigten Reste-Tüten zu kaufen, hinweist.
Und schon wenige Häuser weiter wartet in Büderich das nächste Angebot. Auch die „Pommes-Schranke“ rettet Reste - schon länger. Nathalie und Patrick Kass sind nach wie vor sehr zufrieden. Denn auch in ihrem Imbiss sind die „Magic Bags“ keine Ladenhüter. Sie gingen ausnahmslos jeden Tag weg. Und die große Karte des Imbisses bedeutet viele verschiedene Reste für die Käufer. „Manchmal Hausmannskost vom Mittagstisch, dann halbes Hähnchen, Gyrossalat, weil oft in der Salattheke was über bleibt, oder mal eine Mantaplatte und Hot Dogs“, zählt Nathalie Kass auf. Je nachdem was abends noch übrig ist, gebe es einen oder zwei „Bags“.
Bei der „Pommes-Schranke“ gingen die Überraschungstüten so schnell weg, dass Kunden sich richtig freuten, wenn sie eine ergattern, berichtet die Inhaberin. Einige Kunden würden am Handy warten, bis die „Magic Bags“ freigeschaltet werden, sei ihr rückgemeldet worden. Kein Wunder, bekommen hungrige Werler Waren im Wert von 13 bis 14 Euro für gerade mal 4,50 Euro.
Große Gewinne bedeutet das für den Imbiss nicht, „aber wenn das Geld von ‚Too good to go‘ alle drei Monate ausgezahlt wird, ist das ein Groschen, den man gut gebrauchen kann“, so Kass. Auch sie stellt fest, das immer mehr ältere Menschen „Too good to go“ für sich entdecken würden. „Meine Kinder haben mir das gezeigt“, das hat Kass schon einige Male gehört, sagt sie.
2015 wurde „Too good to go“ in Dänemark gegründet, schon seit einigen Jahren ist die App auch in Deutschland verfügbar. Gastronomiebetriebe, Bäckereien und Co. können Ware, die übrig geblieben ist oder abläuft, stark vergünstigt anbieten. Das Konzept: Sogenannte „Magic Bags“, bei denen der Kunde vorher nur grob weiß, was drin ist, um die Reste flexibel loszuwerden zu können, ohne dabei neue zu produzieren.
So sind die Angebote variabel und möglichst viel kann vor der Tonne gerettet werden. Über allem schwebt der Gedanke, die Verschwendung von überflüssig produzierten Lebensmitteln einzudämmen, auch aus Gründen des Klimaschutzes.
In der App werden verfügbare Angebote im Umkreis des Nutzers angezeigt. „Too good to go“ kann in den üblichen App Stores heruntergeladen werden. Auch interessierte Betriebe können sich in der App mit wenigen Klicks registrieren.
Und für die „Pommes-Schranke“ hat die App noch einen positiven Nebeneffekt: Wenn Kunden durch die „Magic Bags“ erstmals in den Imbiss kämen, würden einige ab dann zu regelmäßigen Kunden werden. Kundenakquise und Lebensmittel retten: Eine Win-Win-Situation, wie sie im Buche - beziehungsweise in der App - steht.
Deshalb kann Nathalie Kass auch nicht verstehen, wieso die „Pommes-Schranke“ bislang der einzige Imbiss in Werl ist, der mitmacht. Zwar sei das gut für sie, aber bei „Too good to go“ gehe es nun mal darum, dass alle gemeinsam etwas gegen die Verschwendung tun. Für Kass ist klar: „Wir machen weiter!“
Darüber hinaus gibt es in Werl weitere „Too good to go“-Angebote, die schon länger bestehen: Bei Edeka Sauer an der Unnaer Straße gibt es täglich mehrere Reste-Tüten mit noch gutem Obst und Gemüse, bei der Bäckerei Dördelmann in Hilbeck Backwaren und bei Dreimeister in Westönnen „Festtagstüten“.