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Erhebliche Zweifel an Steuerfahndung: Prozess-Ausgang ist Ohrfeige für Finanzbehörden

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Von: Gerald Bus

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Gastronomen aus Restaurants sollen Umsätze nicht versteuert, ein Zulieferer soll betrogen haben: Ein Mammutprozess beginnt am Montag am Landgericht Arnsberg.
Geknickte Ermittler außer Form: Eher zusammengefaltet wurden vor der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Arnsberg die Finanzbehörden. © dpa

Wenn er das Wort „Gericht“ hört, kann er das ab sofort wieder ausschließlich auf die Teller seines Restaurants beziehen – und nicht auf die Justizbehörden: Seit Donnerstagmorgen ist das Verfahren gegen einen Werler Gastronomen vorläufig eingestellt gegen die Auflage, dass er bis spätestens einen Monat nach Rechtskraft des Einstellungsbeschlusses 8 000 Euro in die Staatskasse zahlt. Sobald das erledigt ist, ist auch die ganze Angelegenheit für den Mann ausgestanden – nach über fünf Jahren Ermittlungen, die in einer Anklage des Werlers wegen Beihilfe an einem millionenschweren Steuerbetrug mündeten.

Werl/Arnsberg/Werne/Ennigerloh/Dortmund - Vorwürfe, von denen letztlich wenig übrig blieb. Der Werler und sein einstiger Kompagnon aus Werne, die in Soest einen Großhandel für Gastronomie betrieben hatten, gingen am Donnerstagmorgen auch deswegen straffrei aus dem Gerichtssaal, weil die Wirtschaftskammer im Laufe der Monate erhebliche Zweifel an den technischen Berechnungssystemen der Steuerfahnder erkannte.

Richter: Strafrahmen „nicht mehr schuld- und tatangemessen“

Zum Prozessstart vor fünf Monaten stand ein Steuerschaden von sieben Millionen Euro im Raum. Nach und nach schrumpften die Vorwürfe auf zuletzt 400 000 Euro zusammen. Da blieb auch vom Vorwurf der „Beihilfe“ gegen den Werler und den Mann aus Werne wenig übrig. So wenig, dass wegen „bedeutsamer neuer Erkenntnisse“ laut Richter Dr. Johannes Kamp ein früher ins Auge gefasster Strafrahmen „nicht mehr schuld- und tatangemessen“ wäre.

Daher hatte es beim Prozesstag zuvor ein Verständigungsgespräch gegeben, das die Einstellung des Verfahren gegen die beiden Männer vorsah. Dieser Deal kam nun am Donnerstag zum tragen. Die Richter der Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Arnsberg folgten dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die diese mit der Verteidigung und der Kammer ausgehandelt hatte. Der Mann aus Werne muss allerdings nur 6 500 Euro an die Staatskasse zahlen, weil er wegen eines laufenden Insolvenzverfahrens die ursprünglich angedachten 8 000 Euro nicht zahlen kann. Um 10.35 Uhr verließ das Duo den Gerichtssaal.

KOMMENTAR: Schallende Ohrfeigen für die Ermittler der Finanzbehörden

Ohne jede Form der Steuerhinterziehung kleinreden zu wollen, die zurecht (!) strafrechtlich verfolgt wird: Dieser mit großem Tamtam angekündigte Prozess um vermeintliche Millionenschäden durch Steuerhinterziehung im Gastronomiebereich ist innerhalb weniger Prozesstage nahezu in sich zusammengefallen. Und jeder der jüngsten Verhandlungstage war wie eine schallende Ohrfeige für die Ermittler der Finanzbehörden und die Finanzämter, die verbal durch das Gericht zuletzt mehr Fett abbekamen als jede Pommes in der Fritteuse.

Natürlich saßen da keine Unschuldslämmer auf den Anklagebänken. Sie haben betrogen oder dabei mitgewirkt, das gehört bestraft. Aber dass die Ermittler auf technische Systeme setzten, die offenbar dermaßen fehlerbehaftet sind, wie es die Richter mehrfach erwähnten, dürfte bei ähnlich gelagerten Verfahren quer durch die Republik auf Interesse stoßen. Da passt die Mutmaßung ins Bild, dass Finanzbehörden mehr auf Maschinen als auf Menschen setzen und oft jedes Fingerspitzengefühl vermissen lassen. Den Ruf der „kalten Behörde“ haben sich die Finanzämter redlich erarbeitet. Viele Steuerzahler können ein Lied davon singen, wenn sie sich mit dem Finanzamt auseinandersetzen müssen. Aber wenn das schon so ist, dann muss die Technik wenigstens funktionieren. Eine Selbstverständlichkeit? Pustekuchen! Offenbar hat Kollege PC dafür gesorgt, dass in diesem Fall mit Kanonen auf Spatzen gezielt wurde – und getroffen: Denn gerade die Schwere der Vorwürfe hat bei den fünf Angeklagten Spuren hinterlassen. Wenn ein Angeklagter von seiner mittlerweile ehemaligen Frau spricht, die wegen der Vorwürfe samt Untersuchungshaft das Weite gesucht hat, und von der Tochter, die wegen der vermeintlichen Schwere der Schuld nichts mehr vom Vater wissen will, dann wirft das zumindest Fragen auf: Wie konnten die Steuerfahnder dermaßen irren? Und wer schützt die Bürger davor?

Man darf gespannt sein, wie deutlich die Wirtschaftsstrafkammer bezüglich dieser Frage beim letzten Prozesstag noch wird. Und wie die Finanzbehörde darauf reagiert. Die Wangen dürften sich die Behörden nach all den Klatschen jetzt schon reiben. Aber richtig abgerechnet wird zum Schluss. Wie beim Steuerbescheid. Aber bitte fehlerlos!

Einstellung auch für Gastronom aus Ennigerloh

Auch das Verfahren gegen einen angeklagten Gastronomen aus Ennigerloh, der als Einkäufer Steuern hinterzogen haben soll, wurde am Donnerstag eingestellt mit der Vorgabe, dass er auf die Geltendmachung etwaiger Ansprüche nach dem Strafverfolgungsentschädigungsgesetz verzichtet und seine Auslagen selber trägt. Die Kosten des Verfahrens übernimmt hingegen die Staatskasse. Auch dieser Mann konnte am Donnerstagmorgen kurz darauf den Ssaal verlassen, der sich dadurch merklich leerte.

Hauptangeklagte: Prozess-Ende wohl am 17. Oktober

„Der Kreis ist überschaubarer geworden“, sagte der Vorsitzende Richter mit Blick in die Runde: Nur die beiden Hauptangeklagten aus Dortmund mussten noch verweilen. Aber auch für sie steht eine ausgehandelte Verständigung bereits im Raum. Beide Männer gestehen demnach, dass sie im Soester Betrieb zwischen Juli 2011 und Mai 2016 Waren im Wert von 3 400 Euro im Monat für ihr Dortmunder Restaurant schwarz eingekauft und damit Steuern hinterzogen haben.

Im Gegenzug sagte das Gericht zu, dass der Strafrahmen nicht weniger als ein Jahr, aber nicht mehr als 15 Monate Haftstrafe auf Bewährung betragen wird. Zudem müssen beide Männer 5 000 Euro Strafe an die Staatskasse zahlen. Damit hatten sich zuletzt alle einverstanden erklärt. Demnach dürfte aus strafrechtlicher Sicht das Verfahren nach dann 14 Prozesstagen seinen Abschluss für dann alle der fünf Angeklagten finden. Am 17. Oktober (12 Uhr) ist nächster Prozesstag. „Dann sollten wir fertig werden“, sagte Richter Kamp.

Die rein finanztechnischen Bereiche müssen danach allerdings eigens noch ausgefochten werden – das Finanzamt Dortmund hatte einen Deal in dieser Angelegenheit platzen lassen.

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