1. Soester Anzeiger
  2. Lokales
  3. Werl

Finanzamt lässt Prozess-Deal platzen: Gericht ist sauer auf Behördenleiter

Erstellt:

Von: Gerald Bus

Kommentare

Auch um Bockwurst ging es im Gastro-Prozess.
Auch um Bockwurst ging es im Gastro-Prozess. © Christian Charisius, dpa

Es war alles angerichtet. Aber einer Seite schmeckte das aufgetischte Gericht nicht: Das Finanzamt Dortmund-West ließ den Entwurf einer Verständigung (Deal) nur zwei Stunden vor der Verhandlung am Mittwochmorgen überraschend platzen – und beschert dem Prozess um einen vermeintlich millionenschweren Steuerbetrug in der Gastronomie mit Angeklagten aus Werl, Dortmund und Ennigerloh eine unerwartete Verlängerung, die sich gar über Jahre ziehen kann.

Werl/Dortmund/Arnsberg/Werne/Ennigerloh - Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung machten aus ihrer Verärgerung über den Dienststellenleiter des Finanzamts keinen Hehl.

Zunächst habe er gar nichts über den sechs Seiten langen Vermerk gehört, den er der Finanzbehörde zugeschickt hatte, sagte Richter Dr. Johannes Kamp (Wirtschaftsstrafkammer Landgericht Arnsberg). Auch das Angebot zum Gespräch sei ignoriert worden. Erst um 8 Uhr am Mittwoch kamen Hinweise, dass das Finanzamt den Einigungsvorschlag ablehnt.

Den hatte das Gericht im August erarbeitet, nachdem im Prozessverlauf viele Vorwürfe in sich zusammengefallen waren. War in der Anklage noch von sieben Millionen Euro Steuerschuld die Rede gewesen, so gehen alle Beteiligten mittlerweile von deutlich geringeren Zahlen aus. Der Deal sah vor, dass die Hauptangeklagten, Gastronomen aus Dortmund, 400 000 Euro an die Finanzbehörden als Entschädigung der Steuerschuld zurückzahlen.

Finanzbehörde meldet sich erst zwei Stunden vor Prozessbeginn

Zwei Stunden vor der Fortsetzung des Prozesses am Mittwoch ließ das Finanzamt aber das Gericht über Dritte wissen, dass es da nicht mitmache, die 400 000 Euro „nicht nachvollziehbar“ seien, ließ Kamp wissen. Zwar soll einer Einigung grundsätzlich nichts im Wege stehen, aber die Höhe der Summe ist strittig, die Argumente reichen der Finanzbehörde nicht – einen Gegenvorschlag hat sie allerdings auch nicht unterbreitet.

Das ist mehr als unhöflich dem Gericht gegenüber.

Staatsanwältin Stephanie Westermeyer

Und so kam es, dass Staatsanwältin Stephanie Westermeyer mit dem Finanzamt hart ins Gericht ging: „Das ist mehr als unhöflich dem Gericht gegenüber.“ Die Kammer erst so spät und nicht mal direkt über die Ablehnung zu informieren, „das ist keine Art des fairen Umgangs.“ Auch Richter Kamp nannte das Vorgehen, „nicht kollegial, das hat mich sehr geärgert.“ Er habe dem Finanzamt alle Ergebnisse der Hauptverhandlung übermittelt. Nun erkenne er „keine Möglichkeit einer sinnvollen Verständigung mehr.“

Er versteckt sich gern hinter anderen.

Rechtsanwalt Kuhlmann über den Dienststellenleiter des Finanzamts Dortmund

Noch kritischer äußerte sich Verteidiger Kuhlmann über den Dienststellenleiter des Finanzamts Dortmund: „Er versteckt sich gern hinter anderen.“ Und er habe „offensichtlich nicht verstanden, mit welcher Intensität diese Verhandlung geführt wird.“ Die Kammer müsse ihm den Ernst der Lage bewusst machen, „dass das kein Spaß hier ist.“ Zu gern hätte die Verteidigung den Dienststellenleiter vorladen lassen. Aber am Ergebnis würde das nichts ändern, so die Staatsanwältin. Das teilte der Richter. Die Argumente seien ausgetauscht. Nun gelte es also, sich auf die strafrechtliche Seite zu konzentrieren.

Gastro-Prozess: Verfahren fortgesetzt

Das Verfahren wurde also fortgesetzt. Nun soll zumindest aus strafrechtlicher Sicht eine Verständigung versucht werden – Bewährungsstrafen stehen im Raum. Gelingt das, kann der finanztechnische Bereich eigens ausgefochten werden. Zunächst soll es neue Berechnungen geben, unter Einbezug von Zinsen. Verteidiger Grigoleit kündigte an, die Auseinandersetzung mit den Finanzbehörden nicht zu scheuen, „auch wenn das Jahre und viel Geld kostet.“

Wirtschaftsstrafkammer hat Zweifel am System der Steuerfahnder

Richter Kamp wiederholte Zweifel der Kammer an der technischen Berechnung des vermeintlichen Millionenbetrugs. Die Anklage habe auf der Vorgabe beruht, dass das Ermittlungssystem hundertprozentig „valide“, sprich gültig, sei. Aber im Ergebnis der bislang zehn Verhandlungstage sei nicht auszuschließen, dass das System „extrem fehleranfällig“ ist.

Auch am Mittwoch blieben nach vierstündiger Aussage des Steuerermittlers zu Berechnungen, „was schwarz und was weiß gelaufen ist“, viele Fragen offen. Mehrfach hatten Richter und Verteidiger Verständnisfragen zu Positionslücken, Lieferscheinen & Co. Die Verteidigung betonte Zweifel an Zuordnungen.

Eine Lückenposition sind Bockwürste – die gab es gar nicht auf der Speisekarte.

Rechtsanwalt Ulrich Grigoleit

„Eine Lückenposition sind Bockwürste – die gab es gar nicht auf der Speisekarte“, sagte Grigoleit bezüglich seines Mandanten, ein Dortmunder Gastronom. Auch für die Richter erschlossen sich Zuordnungen nicht. Das Gericht wolle das Vorgehen der Steuerermittler rekonstruieren. „Aber ich habe ein massives Verständnisproblem“, sagt Kamp, es gebe Klärungsbedarf bei technischen Fragen samt computergestützter Auswertung. Der Ermittler solle doch bitte „die konkrete Zuordnung transparent machen“ und die Systematik erläutern.

Weiter geht’s am 12. September, zudem beraumte die Kammer vorsorglich weitere Termine an.

Der Fall

Den fünf Angeklagten wird vorgeworfen, zwischen 2011 und 2017 Steuern in Höhe von sieben Millionen Euro hinterzogen zu haben. Zwei Männer – einer aus Werl, der andere aus Werne – sollen laut Anklage einen Lieferservice für Gastronomie in Soest samt Getränkemarkt betrieben haben. Dort sollen die drei weiteren Angeklagten aus Dortmund und Ennigerloh, alles Gastronomen, regelmäßig eingekauft haben. Zum Teil soll wurde offiziell abgerechnet, zum Teil soll es Schwazkassen durch anonymisierten Bareinkauf gegeben haben, Erlöse nicht versteuert worden sein.

Auch interessant

Kommentare