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Ärztin wegen gewerbsmäßigen Betrugs vor Gericht: Nun soll ein Deal her

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Von: Gerald Bus

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Eine Fachärztin aus Werl soll laut Anklage in 45 Fällen Patienten falsche Atteste und Krankschreibungen ausgestellt haben, damit diese zu Unrecht Rente erhalten.
Eine Fachärztin aus Werl soll laut Anklage in 45 Fällen Patienten falsche Atteste und Krankschreibungen ausgestellt haben, damit diese zu Unrecht Rente erhalten. © Arno Burgi dps

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragt sie nun ihre Anwälte: Bei der Fortsetzung des Betrugs-Prozesses gegen eine Werler Fachärztin stand am Ende der Verhandlung am Montag die Chance auf einen Deal im Raum. Die Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Arnsberg unter Vorsitz von Richter Dr. Johannes Kamp schlug den Beteiligten eine Verständigung nach der Abwägung der bisherigen – und nicht endgültig klaren – Ergebnisse vor.

Werl/Arnsberg - So könne man einen Marathon-Prozess samt Aufarbeitung früherer Behandlungsdetails umgehen.

Staatsanwaltschaft und Verteidigung hätten bei einem Deal einige Pillen zu schlucken – und beide zeigten sich kampfbereit, den drohenden Endlos-Prozess auch durchzufechten. Friedlich ging es ohnehin nicht zu. Dafür sorgte auch, dass am Montag eine weitere, ergänzende Anklage gegen die Werlerin ins Verfahren eingebracht wurde. Worum es dabei geht, dazu wollten sich aber beide Parteien nicht äußern.

Eine Einstellung werden wir nicht mitmachen.

Die Staatsanwaltschaft Bielefeld

Beide Seiten rammten Pflöcke für einen möglichen Deal ein. „Eine Einstellung werden wir nicht mitmachen“, betonte der Vertreter der Staatsanwaltschaft Bielefeld, die das Verfahren gegen die Frau ins Rollen gebracht hatte. Wenn allerdings die Fachärztin ein Geständnis ablege, könne sich die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe vorstellen. „Aber die muss auch angemessen sein.“ Es gebe schließlich belastende Zeugenaussagen gegen die Ärztin in den Akten. Und von der Verteidigung sei bislang wenig Konkretes zur Aufhellung beigetragen worden.

In der Anklage hat vieles nicht Hand und Fuß, da werden Löcher in den Käse geschossen.

Marcus Doll, Verteidiger

Verteidiger Marcus Doll sah das gänzlich anders. „In der Anklage hat vieles nicht Hand und Fuß, da werden Löcher in den Käse geschossen“. In seiner Einschätzung sehe er sich auch durch den Verhandlungstag am Montag bestätigt, an dem es um die Frage der Dokumentationspflicht von Ärzten bei Behandlungen ging. Auf keinen Fall werde die Verteidigung einem Verzicht der Ärztin auf ihre Approbation (Zulassung) zustimmen.

„Das läuft so nicht, das müssten Sie sich erkämpfen“, sagte Doll in Richtung Staatsanwaltschaft. Zunächst müsse man nun mit der Mandantin „umfangreich prüfen“, welche „Nebenwirkungen“ ein Deal hätte, sagte der Bochumer Jurist. Grundsätzlich werde die Verteidigung Gespräche über einen Deal nicht blockieren, „aber wir werden nicht in Demut das Haupt neigen“.

Auch die Angeklagte hat ja vielleicht ein Interesse daran, das zeitnah zu beenden.

Dr. Johannes Kamp, Richter

Richter Kamp hörte aus den Worten heraus, dass die Forderung der Staatsanwaltschaft offenbar „kein K.O.-Kriterium für die Verteidigung darstellen“; daher soll die Verständigung beim Fortsetzungstermin am 3. März versucht werden. „Auch die Angeklagte hat ja vielleicht ein Interesse daran, das zeitnah zu beenden“, sagte der Richter. Bei einer Verständigung könnte der Prozess zügig beendet werden, die Angeklagte habe dann Rechtsklarheit; ansonsten wird weiter in die Tiefe verhandelt, was dauern kann.

Gutachter: Laufzettel „recht mager“ ausgefüllt

Wie kompliziert die Materie ist, machte ein Sachverständiger anhand eines angeklagten Falls deutlich. Dabei ging es um „Laufzettel“, auf dem Behandlungsschritte dokumentiert werden sollen - das sei in diesem Fall „recht mager“ ausgefallen. Ob das aber gemacht werden muss oder nur kann, welchen Aufgaben ein Arzt rechtlich nachkommen muss und wo er seiner ärztlichen Freiheit folgend auch die Wahl hat, war nicht zu klären.

In dieser Frage gingen auch die Meinungen von Verteidigung und Staatsanwaltschaft weit auseinander. Verteidiger Doll verwies stets auf eine Kann-Leistung, die Staatsanwaltschaft sah darin eine Muss-Leistung – zumal es in der Werler Praxis der Ärztin außer jenen Laufzetteln keine weitere Dokumentation gegeben habe.

Dem Gericht fehlt noch die Klarheit

„Rechtlich spannend“ sei die Dokumentationsfrage, sagte Richter Kamp. Aber aus den Erläuterungen des Sachverständigen gehe hervor, „dass in der Praxis alles vorkommt und denkbar ist“. Und so bleibe die Frage, wie belastbar ein Laufzettel sei im Anspruch, die Realität abzubilden.

Es sei offensichtlich, dass die Angeklagte bei den Laufzetteln „nicht allergrößte Sorgfalt angewendet“ habe. Aber darum gehe es letztlich auch nicht, sondern um die Frage, „was damals geschehen ist“ – und damit darum, ob sich die Frau strafbar gemacht hat. Es sei wohl über den Laufzettel hinaus behandelt worden. Aber wie und in welcher Frequenz? Es gebe zwar „gewisse Tendenzen“ – aber (noch) keine Klarheit, sagte Kamp.

Der Fall: Anklage sieht Betrug an Rentenkasse in 45 Fällen

Die 64-jährige Fachärztin soll laut Anklage in 45 Fällen Patienten falsche Atteste und Krankschreibungen ausgestellt haben, damit diese zu Unrecht Rente erhalten. Die Rentenkasse sei „getäuscht“ worden, es habe „Gefälligkeitsdiagnosen“ gegeben und die Abrechnung ärztlicher Leistungen ohne Grundlagen. Seit Dezember läuft der Prozess wegen gewerbsmäßigen Betrugs. Ihren Ausgang nahmen die Rentenbetrugs-Vorwürfe 2018 im Zuge von Ermittlungen der Bielefelder Schwerpunktabteilung zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität. Anfang 2018 war neben der Praxis eines Werler Mediziners auch jene Praxis der Fachärztin in den Fokus geraten – samt Razzia

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