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Junger Werler kann nicht mehr arbeiten: Krank nach dem Booster - eine Suche

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Von: Kathrin Bastert

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Herzmuskelentzündungen können infolge einer Corona-Impfung auftreten.
Herzmuskelentzündungen können infolge einer Corona-Impfung auftreten. (Symbolfoto) © Daniel Schröder

Ein junger Werler kann nach der dritten Impfung nicht mehr arbeiten.

Werl – Der Werler ist 28, jung und gesund. Er raucht, ja, aber er treibt immer Sport. Er arbeitet körperlich hart, hunderte Kilo schwere Stahlprofile muss er bewegen. Dafür hält er sich fit.

Dass er sich gegen Corona impfen lässt, ist für ihn selbstverständlich – schon, weil in seiner Familie Zucker vorkommt. Er bekommt zweimal Biontech, und auch ein drittes Mal, als er am 4. Dezember – einem Samstag – zum Boostern geht. Doch diesmal ist etwas anders.

Acht Stunden nach dem Piks geht es dem jungen Mann schlecht. Er hat Schüttelfrost, aber kein Fieber. Er fühlt sich miserabel, wie erschlagen. Es ist der erste von vielen Tagen, an denen es ihm schlecht gehen wird.

Zunächst macht er sich noch wenig Gedanken. Erst nach drei Tagen fragt er sich, was mit ihm los ist. Er geht einkaufen, schafft das kaum. „Ich war total fertig, habe keine Luft bekommen.“ Am nächsten Morgen geht er zur Arbeit. Und wieder bleibt ihm die Luft weg. „Ich hatte keine Kraft.“

Er meldet sich ab, will zum Arzt. „Kurz, bevor ich das Betriebsgelände verlassen habe, hatte ich plötzlich ein Ziehen in der Brust, mir wurde schwindelig und schwarz vor Augen. Alles hat sich komisch angefühlt.“

Noch in Arbeitskleidung wird er im Krankenhaus untersucht. Die Lunge wird geröntgt, er wird stationär aufgenommen und zunächst isoliert: Covid-Verdacht. Doch Schnell- und PCR-Test sind negativ. Ein Herzultraschall wird veranlasst, der Troponinwert, der auf eine Schädigung des Herzmuskels hinweisen kann, ist unauffällig.

Ein Belastungs-EKG wird nicht geschrieben, obwohl er mehrfach darauf hingewiesen haben will, dass die Probleme auftreten, sobald er sich anstrengt. Nach zwei Tagen wird er entlassen, ohne Befund. Wieder zuhause, kommen weitere Beschwerden hinzu, er hat ständig Kopf- und Gliederschmerzen, der Ischias macht Rückenschmerzen, er kann sichkaum bücken. Dazu tauchen die Stiche in der Brust immer dann auf, wenn er sich anstrengt.

Der Schmerz zieht in die Schulter, in den Rücken. Er ist immer müde, die Augen sind schwer, auch wenn er lange geschlafen hat.

Krank nach dem Booster: Stiche in der Brust

Erst an Neujahr fühlt er sich in der Lage, zur Arbeit zu gehen, wieder ein Samstag. Es geht drei Tage gut, dann schiebt er eine Nachtschicht. Plötzlich sind die Stiche in der Brust zurück, nach und nach kommen weitere Beschwerden hinzu.

Als er nach Schichtende im Auto sitzt, bemerkt er ein komisches Gefühl in der Brust „es fühlte sich an, als würde Flüssigkeit auslaufen, es hat gebrannt und gekribbelt.“ Er geht wieder zum Arzt und wird an die Kardiologie in Unna verwiesen. „Da war ich ab dem 13. Januar. Wieder Schnell- und PCR-Test, Ultraschall. Dann wollten sie mich erst nach Hause schicken, haben mich aber dann doch stationär aufgenommen.“

Krank nach dem Booster: Langzeit-EKG bringt keine Erkenntnisse

Doch auch ein Langzeit-EKG bringt keine Erkenntnisse. Er soll ins Herz-MRT, doch einen Termin kann er erst für Ende März bekommen. Solche bildgebenden Untersuchungen seien hochkomplex, erklärt dazu der Hospitalverbund Hellweg, „sie erfordern eine gute Ausstattung in der Medizintechnik sowie ausgewiesene Experten, die die Untersuchung überhaupt durchführen und auswerten können. Sie werden daher nur an wenigen Standorten in unserer Region angeboten. Zudem können sie auch nur in ganz ausgewählten Patientenfällen durchgeführt werden. Hieraus begründen sich unter anderem Wartezeiten auf Termine.“

Ein Lungenfacharzt diagnostiziert Ende Januar Asthma bronchiale: Die Probleme mit dem Atmen sind schlimm, „ich habe einige Sprachmemos auf dem Handy, da kann ich gerade ein paar Wörter sagen und muss erstmal wieder eine Pause machen und Luft holen, bevor ich weiterspreche.“ Aber Asthma? „Wie kann das auf einmal sein? Ich habe zwölf Jahre Fußball gespielt, mache Fitness, arbeite körperlich schwer, das war alles nie ein Problem für mich.“

Plötzlich ist der 28-Jährige arbeitsunfähig, er hat einfach keine Kraft. „Wenn ich eine Kaffeekanne hochhebe, fange ich an zu zittern.“ Schon ein Händedruck fällt ihm schwer. Und er könnte schlafen, immer nur schlafen. „Und dann kriegen Sie ihn kaum wach“, sagt seine Mutter.

„Kommt es von der Impfung? Klar kann es alles Mögliche sein. Aber acht Stunden nach dem Booster ging es mir beschissen.“ Die Hausarztpraxis hat ihm ein entsprechendes Schreiben ausgestellt, darüber reden will man auf Nachfrage aber lieber nicht. Zu groß ist die Sorge, in eine Ecke gestellt zu werden, und zu rätselhaft erscheinen die Symptome.

Nach dem Booster: Betroffener aus Werl möchte anonym bleiben

Auch der Werler will lieber anonym bleiben, Zusammenhänge zwischen Impfung und Krankheit sind kein populäres Thema. Dabei mehren sich Berichte über das Post-Vac-Syndrom, und dass es ähnliche Symptome haben kann wie Long-Covid. In beiden Fällen ist es aber offenbar schwierig, an eine Diagnose und eine entsprechende Behandlung zu kommen.

Inzwischen ist mehr als ein halbes Jahr vergangen, das Herz-MRT hat schließlich doch die Myokarditis nachgewiesen, die zunächst ausgeschlossen worden war. Ein Neurologe hat auffällige Werte festgestellt; was das heißt, weiß der Werler noch nicht.

Die Krankenkasse hat ihn darauf hingewiesen, dass er einen Antrag auf Entschädigung stellen kann. Ob dort ein Impfschaden anerkannt wird, ist fraglich.

Elf Fälle bisher anerkannt worden

Beim Amt für Soziales Entschädigungsrecht in Münster sind bisher elf Fälle anerkannt worden, 271 Anträge nach dem Infektionsschutzgesetz sind beim zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe bisher im Zusammenhang mit einer Covid-Impfung eingegangen.

Impf-Entschädigung

Wer nach einer Impfung Beschwerden hat, die über übliche Nebenwirkungen hinaus gehen, kann einen Antrag auf Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz (IFSG) stellen. In Nordrhein-Westfalen ist dafür das Amt für Soziales Entschädigungsrecht beim LWL in Münster zuständig.

271 solcher Anträge wurden dort wegen einer Covid-Impfung bisher gestellt. Bisher wurden elf Anträge anerkannt, darunter auch Bestattungsgeld und Hinterbliebenenversorgung. Die Bearbeitungszeit eines Antrags liegt nach LWL-Angaben zwischen einem halben und einem Jahr. 28 Mitarbeiter stehen dem Fachreferat insgesamt zur Verfügung, sie bearbeiten aber das gesamte Aufgabenspektrum, wovon das IFSG lediglich ein Teil ist.

Bevor es eine Corona-Impfung gab, lag die Anzahl der IFSG-Erstanträge zwischen 10 und 15 Anträgen im Jahr (2016 bis 2020). Im Jahr 2021 wurden 114 Anträge gestellt, davon 90 wegen eines Corona-Impfschadens. Wird ein Antrag auf Entschädigung abgelehnt, besteht die Möglichkeit, die Entscheidung in einem Widerspruchsverfahren und ggfs. in einem Klageverfahren vor dem Sozialgericht prüfen zu lassen.

Es ist Juni geworden. Der medizinische Dienst (MD) hält die empfohlene Reha für überflüssig, schließlich sei die Herzmuskelentzündung bereits abgeklungen. „Ich soll wieder arbeiten gehen. Ich schaffe das nicht.“ Der Gutachter des MD empfiehlt eine stufenweise Wiedereingliederung, immerhin habe der Patient selbst angegeben, die Herzmuskelentzündung sei abgeheilt, er könne bereits wieder einige Belastung aushalten, sogar leichtes Cardio-Training.

Die Entscheidung fiel „unter Corona-Bedingungen nach Aktenlage“, schreibt dazu seine Krankenkasse, die AOK. Die diagnostischen Befunde seien „eher als mild anzusehen“, so die Einschätzung des begutachtenden Arztes, der alle bisher erstellten Befunde des jungen Mannes angefordert hatte.

Die Rede ist von „schwer objektivierbaren Beschwerden und „unspezifischen Symptomen“. Die „Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit“ erschließe sich aufgrund der vorliegenden Unterlagen „objektivierbar nicht mehr.“

Besser, ja, besser gehe es ihm inzwischen, sagt der Werler. Doch die Beschwerden kommen zurück, wenn seine Pulsfrequenz über 110 steigt. Noch immer zittert seine Hand. Seine Augen sind schwer, immer nur schwer. Er hofft nun, dass die Rentenversicherung die Reha-Maßnahme befürwortet.

Der Gedanke daran, wieder körperlich schwer zu arbeiten, macht ihm Angst. So wie er Angst davor hat, dass der Schaden bleibt. Dass er nun immer ein geschwächtes Herz haben wird.

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