Pflege droht bei Corona der Zusammenbruch

Werl – „Wenn es nicht anders geht, dann bleibe ich länger“, sagt Jadwiga Urbanczyk. Die 60-jährige Polin arbeitet seit etwa sieben Jahren als Betreuungskraft in Deutschland. Seit etwa einem Jahr kümmert sie sich um einen 78-jährigen, schwer kranken Werler, wechselt sich dabei mit einer anderen Polin im zweimonatigen Rhythmus ab.
Der nächste Tausch würde eigentlich am 29. April stattfinden. „Aber Joanna hat schon angerufen und gesagt, dass sie Angst hat und nicht kommen wird, wenn sich die Situation nicht komplett ändert“, erzählt Jadwiga Urbanczyk.
Und es geht nicht nur ihrer Kollegin Joanna so. „Alle, die ich kenne, haben Angst“. Aber das ist nicht das einzige Problem. Denn auch wenn der Austausch von offiziell angemeldeten und versicherten, also legalen Betreuungskräften theoretisch noch weiter stattfinden könnte, wird es in der Praxis sehr schwierig.
„Die Busse fahren ja so gut wie gar nicht mehr. Die langen Staus an den Grenzen schrecken viele Fahrer zudem ab“, erklärt Pflegekraft Bernd Sonneborn, der mit Jadwiga Urbanczyk und einer polnischen Vermittlungsagentur für Pflege- und Betreuungskräfte aufgrund früherer Zusammenarbeit in Kontakt steht.
„Das wird ein Riesenproblem werden, die ambulante Pflege droht zusammenzubrechen“, sagt Sonneborn. Das sieht auch der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) so. Er rechnet wegen fehlender Betreuungskräfte aus Osteuropa damit, dass „ab Ostern 100.00 bis 200.000 Menschen schrittweise nicht mehr versorgt sind“. Viele osteuropäische Betreuungskräfte würden derzeit wegen der Corona-Krise Deutschland verlassen, zugleich kämen nur wenige Osteuropäerinnen als Ersatz nach.
Der Verband vertritt nach eigenen Angaben über Vermittlungsagenturen rund ein Drittel der legal in Deutschland tätigen Betreuungspersonen und fordert für diese eine Passiermöglichkeit, damit sie die Grenze nach Deutschland überqueren könnten. „Aber es will ja keiner mehr kommen“, sagt Bernd Sonneborn. Pflegeheime und ambulante Betreuungsdienste könnten das, was jetzt und in den kommenden Wochen wegbricht, auf Dauer nicht alles auffangen.
Angst um sich selbst hat Jadwiga Urbanczyk nicht. Aber die 60-Jährige sorgt sich um „den Papa“, wie sie den Werler, zu dem sich inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt hat, manchmal liebevoll nennt. Grundsätzlich hat sie kein Problem damit, länger in Werl zu bleiben. „Meine Tochter wohnt mit ihrer Familie in England, mein Sohn mit seiner etwa 100 Kilometer entfernt. Ich lebe alleine, das würde schon gehen.“
Allerdings möchte Jadwiga Urbanczyk Mitte Mai gerne bei der Kommunion ihrer Enkeltochter dabei sein. Noch wurde der Termin nämlich nicht abgesagt. Da sie nach ihrer Rückkehr nach Polen aber zunächst erst in Quarantäne muss, könnte das mit einer Verlängerung ihres Aufenthalts dann trotz der guten Absichten doch zeitlich alles sehr eng werden. „Wir müssen einfach abwarten“, sagt die Polin. Und bis dahin gibt sie weiter alles dafür, dass es „dem Papa“ gut geht.