1. Soester Anzeiger
  2. Lokales
  3. Werl

Kranke Gänse verschwinden spurlos

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Klaus Bunte

Kommentare

Gans am Kurpark
Kippflügel durch Fehlfütterung bei Gänsen im Werler Kurpark. © Maria del Carmen Jimenez Curado

Heile, heile Gänschen sind es nicht, die Maria del Carmen Jiminez Curado zuletzt ihrer kleinen Tochter im Kurpark zeigen konnte. Fast täglich kommen sie her und erfreuen sich am Anblick der putzigen Vögel. Doch jüngst packte die Tierfreundin das blanke Grausen, als sie die Wildgänse sah. Eigenartig spreizten zwei von ihnen die Flügel ab, sahen gar zerfleddert aus.

Werl – „Das kommt daher, dass viele Parkbesucher fast täglich die Enten und Gänse mit Brot oder anderen süßen Sachen füttern“, weiß sie. „Oft haben sie keine bösen Absichten und wollen eigentlich den Tieren etwas Gutes tun. Aber da liegt nun der Fehler.“ Nicht nur, weil es offiziell verboten ist – aus gutem Grunde. Die entsprechenden Warnschilder rund um den Ententeich werden permanent ignoriert.

Denn ein solches Futter, das normalerweise nicht auf dem Speiseplan von Wildtieren steht, führe zur einer Fehlernährung – und zur Fluguntauglichkeit: „Anstatt die Wasservögel mit Mais, Getreidekörnern, Getreideflocken, Salat oder handelsüblichem Entenfutter zu füttern, füttern sie diese mit Brot, das zum Teil auch schon verschimmelt ist. Das hat fatale Folgen für die Tiere, wie man dies nun bei den Kanadagänsen im Kurpark sehen kann. Zwei der vier Küken haben Kippflügel. Die entstehen durch Mangelernährung während der Wachstumsphase, wenn sich die Schwungfedern schneller bilden als die Muskulatur und Knochen, die die Handschwinge normalerweise halten.“ Sprich, die Fendern werden zu schwer.

„Die Tiere finden genug Nahrung auch ohne uns. Durch uns werden sie nur krank und verlieren die Scheu, wodurch sie leicht geschnappt werden können.“ Oder, etwas salopper formuliert: Brot ist für Gänse wie eine Schweinshaxe für Säuglinge.

Fachliche Bestätigung erhält sie dabei weitestgehend von Dr. Margret Bunzel-Drüke, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz im Kreis Soest (ABU). Die Ornithologin meint dazu: „Das Füttern mit Brot und anderen nährstoffreichen Sachen ist ein Faktor, der dazu führt. Aber es gibt auch mehrere andere, zum Beispiel genetische Komponenten. Nicht jede Gans, die gefüttert wird, entwickelt Kippflügel. Es gibt jedoch auch eine Untersuchung, die nachgewiesen hat, dass das bei gefütterten Parkvögeln häufiger auftritt.“

Versuch der Aufklärung

Die junge Werlerin will dazu beitragen aufzuklären, denn „man kann nur etwas verändern, wenn man versucht, die Leute aufzuklären. Früher hab ich die Leute ständig im Park darauf angesprochen, inzwischen macht es auch meine dreijährige Tochter“.

Auch in zwei Facebookgruppen hat sie auf die Problematik aufmerksam gemacht. Dort beklagen andere Tierfreunde jedoch die Unbelehrbarkeit der Fütterer: „Ich habe mir schon oft böse Kommentare anhören müssen, wenn ich den Menschen versucht habe, zu erklären, was sie mit dieser Fütterei anrichten. 90 Prozent sind überhaupt nicht einsichtig, leider“, schreibt eine Werlerin, „teilweise wird man sogar böse angegangen“, bestätigt eine weitere.

Die falsch verstandene Tierliebe führe nicht nur zu Missbildungen und Fluguntauglichkeit. Diese wiederum mache sie zu leichter Beute für Jäger – zwei- wie vierbeinige: „Sie werden sehr wahrscheinlich erlegt, sobald die Elterntiere sowie Geschwistervögel davonziehen.“

Jungvögel im Wachstum könnten theoretisch noch aufgepäppelt werden, man könnte die Flügel abbinden, die Federn in die richtige Flugrichtung bringen. Aber dazu muss sich erst einmal jemand finden.

Bunzel-Drüke: „Man darf Wildtieren helfen, aber sobald sie gesund sind, muss man sie wieder freilassen. Aber ausgewachsene Tiere mit Kippflügeln werden nie wieder fliegen können, dazu sind die Handschwingen zu kaputt. Und die Tiere haben dadurch ja auch Schmerzen, wenn die Schwingen über den Boden schleifen. Man kann ihnen höchstens Teile der Flügel amputieren. Aber auch dann werden sie nicht mehr fliegen können. Aber wer will all diese flugunfähigen Gänse haben? Wir haben schon in den Schutzgebieten jede Menge, die irgendwelche Leute dort losgelassen haben. Die leben dort einige Zeit und dann ereilt sie irgendwann das Schicksal: Der Fuchs oder der Uhu.“ Sie und ihre Mitstreiter von der ABU seien Natur- keine Tierschützer, „und ich würde sagen, entweder, man lässt der Natur ihren Lauf oder man tötet sie human.“

Ordnungsamt sehe keine Notwendigkeit

Es habe sogar jemanden gegeben, der sich der Tiere habe annehmen wollen, schildert Maria del Camen Jiminez Curado, „das Werler Ordnungsamt sagte jedoch, man sehe keine Notwendigkeit, einzugreifen, es sei noch Schonzeit, man dürfe die Küken nicht den Elterntieren wegnehmen, und da es Wildtiere sind, fielen sie ohnehin in die Zuständigkeit der Jäger, die müssten das erst erlauben. Also wird in Kauf genommen, dass sie nicht geheilt werden und, da sie nicht fliegen können, geschossen werden.“

Als sie zwei Tage später erneut in den Park ging, waren die beiden Gänse mit den Kippflügeln verschwunden. Nun lag der Verdacht nahe, die Jäger seien auf den Hinweis bei der Stadt hin aktiv geworden, die Küken lägen nun bereits in irgendeiner Tiefkühltruhe. Das weist Stadtsprecherin Alexandra Kleine jedoch von sich – die auf die Anfrage unserer Zeitung selber erst einmal eine Woche lang recherchieren musste.

„Bei Kanadagänsen handelt es sich um eine Tierart, die dem Jagdrecht unterliegt“, teilt sie schriftlich mit. „Somit besteht ein Aneignungsrecht ausschließlich für den Jagdausübungsberechtigten, jedoch nicht für jedermann. Deshalb hatte die Stadt Werl keine Möglichkeit, im Falle der Küken selbst tätig zu werden.

Die von Ihnen erwähnte Bürgerin wurde mit ihrem Wunsch, die Tiere einzufangen und einer Aufzuchtstation zu übergeben, seitens der Stadt Werl an die Untere Jagdbehörde beim Kreis Soest verwiesen. Von dort kann entweder eine Genehmigung erteilt oder die Kommunikation mit dem zuständigen Jagdausübungsberechtigten hergestellt werden.

Die Untere Jagdbehörde teilte auf Anfrage jedoch mit, dass dort bzgl. der Kanadagänse im Werler Kurpark keine Anfrage gestellt worden sei. Ein Eingreifen der Behörde ist jedoch auch auf Hinweis der Stadt Werl nun nicht mehr möglich gewesen. Der Aufenthaltsort der beiden Gänse ist derzeit nicht bekannt. Mitarbeiter der Stadt Werl und des Kommunalbetriebes konnten sie bislang nicht mehr im Kurpark sichten, werden jedoch weiterhin ein wachsames Auge haben.“

Auch Kleine betont noch einmal: „An dieser Stelle möchte die Stadt Werl noch einmal eindringlich darauf hinweisen, dass die Gänse im Kurpark nicht von den Besucherinnen und Besuchern gefüttert werden sollten, da das gut gemeinte Füttern für die Tiere leider negative Folgen haben kann.“

Auch interessant

Kommentare