So, wie jene Situation nicht vorhergesehen war. „Mit dem Thema Fehlgeburt haben wir uns nie auseinandergesetzt“, sagt der 30-Jährige. „Das war weit weg.“ Bei all den Erwartungen, Wünschen und Vorstellungen über das neue Leben hatte er doch nie wirklich daran gedacht, dass es auch schief gehen kann. Ging es aber.
Es fühlte sich so an, als ob wir die Einzigen sind.
Natürlich habe man danach all das in der Familie besprochen, sich auch mit Freunden ausgetauscht. „Aber ich habe mich am Anfang dennoch alleine damit gefühlt – weil es ein Tabuthema ist“, sagt Jan Hendrik Ax. „Es fühlte sich so an, als ob wir die Einzigen sind.“ Aber nach und nach hörte er immer mehr, dass jemand jemanden kannte, dem das auch passiert war. „Mir war gar nicht bewusst, dass das gar nicht so selten ist.“
Die Idee, all das wortwörtlich zu „verarbeiten“, in Wort und Bild, kam von seiner Psychologin. Die innere Zerrissenheit damit zu lösen, was er als Illustrator und Grafiker doch kann, zeichnen und texten – darauf war Jan Hendrik Ax selber gar nicht gekommen.
Ganz für sich begann er schließlich damit. Eine Auseinandersetzung. „Ich habe das nur für mich gemacht“, schildert der Autor. Ein Buch als Verarbeitungsprozess.
„Am Anfang war es ein Brett, das umzusetzen.“ Aber mit jeder Seite wurde es ein klein wenig leichter. Es wuchs ein kleines Werk über das Wunder, das nie zur Welt kam. „Nach dem durchweg positiven Feedback zu der Arbeit aus dem engen Freundes- und Familienkreis entschied ich mich, das Projekt nach außen zu tragen“, sagt der Sternenpapa. Er räumt ein: „Es gab einen längeren Prozess des Haderns, ob und wie ich das nach außen trage – eben weil es sehr persönlich ist.“ Aber die vielen positiven Rückmeldungen ermutigten. „Mir hat das sehr gutgetan.“.
Also traute er sich, schickte das Heft als Rohfassung zu Verlagen, vor gut einem Jahr. Aber alle schickten Absagen. Der Tenor: Das Werk sei gut, aber passe nicht ins Programm. Bis auf einen. Der „Buchfink Verlag“ sagte sofort zu, „ohne mit der Wimper zu zucken“, sagt der Autor.
Man setzte sich also zusammen, aus der ersten, sehr persönlichen Rohfassung wurde ein Buch; es gab leichte Änderungen und Ergänzungen, sodass nun statt der 18 Seiten der Erstfassung 48 Seiten gedruckt worden sind.
Am 15. Oktober, dem „Tag der Sternenkinder“, ist es mit einer Erstauflage von 1 000 Stück erschienen.
Es ist ein sehr persönliches Trostbuch für alle Sternenkind-Eltern, für Freunde und Verwandte entstanden. Es ist seine Art, „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Ein Werk über Verlust und Schmerz, Leere und tiefe Trauer. „Vielleicht kann ich mit dem Buch dem ein oder anderen etwas mitgeben.“
Denn gerade das Tabuisieren versteht der 30-Jährige nicht, „das ist dramatisch“. Denn dann bleibe das Gefühl, gescheitert zu sein. „Aber das stimmt ja nicht. Es gehört zum Leben dazu, so traurig das ist.“
Die Seiten sind im Kampf gegen die Leere gefüllt, was einen Teil der inneren Lücke zu schließen half. Die Figuren im Buch „sehen nicht aus wie wir“, sagt der Autor. Sie seien bewusst so skizziert, dass jeder sich darin wieder finden kann. So wie es jeden treffen kann.
Die Zeit blieb schlagartig stehen. Zeitlupe. Ich kriege keine Luft mehr! Warum du? Warum wir?
Die Texte: kurz. Aber treffend in jeder Hinsicht: „Du wärst so klein und für uns doch so groß und ganz und gar wundervoll gewesen.“ Und dann: „Die Zeit blieb schlagartig stehen. Zeitlupe. Ich kriege keine Luft mehr! Warum du? Warum wir?“ Das Buch ist eine innere Zwiesprache mit dem Kind, das nicht kam.
Die Schlussseite ist auch eine Hinwendung zu anderen Betroffenen: „So schwer sich die Situation auch anfühlen mag, denk daran: Sterne sind immer da. Auch wenn die Sonne scheint oder Wolken den Himmel verhängen. Sie sind immer da und leuchten für dich. Vergiss das niemals.“
Die ersten Rückmeldungen auf die Erstauflage des Buchs seien „Wahnsinn“, sagt Ax. Menschen, die sich bedanken, Betroffene, auch Sternenkindervereine. Dass ein Mann sein Seelenleben im schmerzlichen Vermissen veröffentlicht hat, aus seiner Perspektive das Unsagbare sagt – das findet viel Anklang. Und dass es bislang solche Bücher kaum gibt, findet der Autor erstaunlich. In einem Bücherladen habe es ein Werk gegeben, ausgerechnet in der Abteilung „Hurra, wir sind schwanger“ – und nicht in der Trauerabteilung. Auch das war Ansporn, das Thema sichtbar zu machen.
Und jetzt? Fühlt sich der Verlust gut verarbeitet an. Vergessen? Nein, das ist auch gar nicht das Ziel. Aber damit leben. „Ich kann nun darüber reden, auch wenn es nicht weniger traurig oder schlimm ist.“ Denn die Form verändert sich, die Liebe bleibt, so heißt es auch zum Ende des Buches.
Ein weiterer Lichtblick, der die Familie hoffnungsvoll nach vorn schauen lässt: „Im nächsten Jahr werden wir Eltern eines Regenbogenkinds“. Regenbogenkinder – so nennt man die Kinder, die einem Sternenkind folgen. Wohl auch, weil sie ein farbenfroher Brückenschlag in ein neues Leben sind und eine Lücke überbrücken. Sie stehen auch am Himmel – und leuchten doch so ganz anders.
Jan Hendrik Ax ist mit sechs Jahren nach Werl gezogen, besuchte hier die Grundschule und später das Ursulinengymnasium, wo er auch Abitur machte. Bis zum Beginn des Studiums wohnte er in Werl. Der 30-Jährige ist als selbstständiger Illustrator und Grafiker in Münster tätig und hat dort sein Atelier.
„Gute Reise, kleiner Stern – ein Papa sagt Auf Wiedersehen“ ist erschienen im Buchfink Verlag, ISBN 978-3-948453-15-2.