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Windrad statt Giftmülldeponie: 30 Jahre geballter „Gegenwind“

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Von: Klaus Bunte

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Auch bei der Installation der Anlage sprachen die Werler „Rebellen“ Tacheles.
Auch bei der Installation der Anlage sprachen die Werler „Rebellen“ Tacheles. © Privat

Mit 30 Jahren, da beginnt manch einer gerade erst, Geld zu verdienen und damit nach und nach die Kosten fürs Studium wieder reinzuholen. Das Geburtstagskind jedoch, um das es hier geht, tut dies bereits vom ersten Moment an, seit es am 18. März 1993 seine Arbeit aufnahm – und das, obwohl dies primär gar nicht sein Ziel ist: die Windkraftanlage in der Gemarkung Brünningsen bei Westhilbeck.

Brünningsen – „Seither hat sie 6,6 Millionen kWh Strom produziert. Umgerechnet entspricht die jährliche Produktion dieser Windkraftanlage dem durchschnittlichen Jahresverbrauch von circa 80 Zwei-Personen-Haushalten“, betont Thomas Eckey als Vorsitzender der Bürgerinitiative, die mit dieser Windkraftanlage Pionierarbeit leistete – und damit zugleich erfolgreich eine Giftmülldeponie verhinderte.

Daher war sie zugleich Anlass für großes mediales Interesse, über die Grenzen des Kreises Soest hinaus. Das Fernsehen und Magazine wie der Spiegel berichteten darüber, der Focus bemerkte lakonisch: „Werls 28000 Einwohner sind meist katholisch und wählen mehrheitlich CDU. Nicht der typische Nährboden für massiven Widerstand – schon gar nicht gegen die Bezirksregierung.“

Bezirksregierung wollte 3,1 Millionen Tonnen Sondermüll deponieren

Die nämlich wollte damals in Brünningsen auf fruchtbarem Ackerland 3,1 Millionen Tonnen Sondermüll deponieren: Chemikalien und Klärschlämme auf einer Fläche so groß wie 40 Fußballplätze, 45 Meter hoch, so hoch wie die Türme der Werler Basilika. 14 Bürgerinitiativen wandten sich gegen diese Pläne, die die mit 1500 Mitgliedern größte war „Gegenwind“. Aus ihr heraus gründeten 132 Werler, die bereit waren, in eine für die damalige Zeit neue Form der Energieproduktion zu investieren, die gleichnamige Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), kauften 1650 Quadratmeter Acker und stellten dort ein 500000 Mark teures Windrad auf, das Strom für 70 Haushalte lieferte.

Ein Gedenkstein erinnert an den „Aufstand“.
Ein Gedenkstein erinnert an den „Aufstand“. © Bunte, Klaus

An den Tag der Fertigstellung hat Thomas Eckey auch nach 30 Jahren noch sehr genau Erinnerungen, „als der Autokran nach nur drei Tagen Aufbauzeit die große Windmühle an den Haken nahm. In nur drei Zügen war die Mühle komplett errichtet. Und abends floss schon der erste Strom ins öffentliche Netz“.

„Der Name Gegenwind war somit auch Programm. Mit der Anlage wollten wir auch ein Zeichen setzen für eine umweltfreundliche Alternative zu den menschenverachtenden Planungen einer Giftkippe“, blickt Eckey zurück. „Das wirtschaftliche Interesse stand bei dieser Aktion nicht im Vordergrund, sondern die Behinderung der weiteren Deponie-Planungen.“

Damit der Regierungspräsident den Energieerzeugern keinen Strich durch die Rechnung machen konnte, griffen diese zu einem „legalen Trick“: Der geplante „Windpark“ lag unter der Leistungs-Schallmauer von 300 Kilowatt und fiel somit nicht in seine Verantwortung.

Die Männer der ersten Stunde: (von links) Geschäftsführer Thomas Eckey und die Beiratsmitglieder Jürgen Dröge, Karl-Wilhelm Krollmann, Heinz Stolle, Franz Kloke und Karl-Heinz Beine. alle schwarz-weißen
Die Männer der ersten Stunde: (von links) Geschäftsführer Thomas Eckey und die Beiratsmitglieder Jürgen Dröge, Karl-Wilhelm Krollmann, Heinz Stolle, Franz Kloke und Karl-Heinz Beine. alle schwarz-weißen © ANzeiger-Archiv

Rückenwind von Stadt und Kreis

Rückenwind gab es von der Stadt und dem Kreis: „Es gab keine Gründe, die dagegen sprachen“, sagte Werls damaliger Vize-Stadtdirektor Gregor Lorenz zu der Anlage. „Ein ganz normaler Bauantrag, der zu genehmigen war“, wurde Fritz Luig von der Kreisverwaltung Soest zitiert. Die hatte die Werler nach Kräften unterstützt, um zügig voranzukommen. Denn hätte Arnsberg erst ein Planfeststellungsverfahren eingeleitet, wäre nichts mehr gegangen. Eckey: „Der Betrieb einer Deponie hätte nur durch ein aufwändiges Enteignungsverfahren gegen ein paar Landwirte und nun auch noch gegen 132 Gesellschafter einer Windkraftanlage durchgesetzt werden können. Ein Verschieben des Deponiestandortes schien auch nicht aussichtsreich, da Wege- und Leitungsrechte das geplante Deponiegelände durchkreuzten.“

Auch bei der Installation der Anlage sprachen die Werler „Rebellen“ Tacheles.
Auch bei der Installation der Anlage sprachen die Werler „Rebellen“ Tacheles. © Privat

Und der Bau des Windrades als Protest gegen die Deponie erfuhr seitens der Bevölkerung eine Rückendeckung, von der Windkraftbetreiber heute nur noch träumen können: Am Tag einer Bezirksplanungsratssitzung fuhren im Februar 1992 2500 Menschen mit 35 Reisebussen, Treckern und landwirtschaftlichem Gerät nach Arnsberg. Geschäfte und Institutionen waren geschlossen, zu Beginn der Sitzung ließen die Werler Kirchen die Totenglocken Sturm läuten.

Zu Worte kommen lassen habe man die betroffenen Menschen vor Ort bei diesen Sitzungen zwar nie, erinnert sich Eckey. Jedoch stellte das Öko-Institut Darmstadt fest, dass die geplante Deponie aufgrund veränderter Abfallmengen nicht notwendig sei. Dies sollte sich später bestätigen. Dennoch setzte Arnsberg zunächst die Planungen fort. Erst im Februar 1996, knapp drei Jahre nach Bau der Windkraftanlage und nach etlichen weiteren Aktionen der Werler, knickte Arnsberg ein „aufgrund nicht wirtschaftlichen Betriebes wegen sinkender Sonderabfallmengen“. Für Eckey eine Erkenntnis, „die nur dank der Verzögerungen durch die Proteste vor Ort zum Tragen kam“. Im April feierten alle Beteiligten ein großes Freudenfest.

In nur drei Tagen war die Windkraftanlage fertig aufgebaut.
In nur drei Tagen war die Windkraftanlage fertig aufgebaut. © Privat

In den Jahren 1994 und 1995 baute eine zweite Bürgerinitiative namens „Seitenwind“ mit 320 Gesellschaftern noch zwei weitere Anlagen, hielt damit aber bis zum letztmöglichen Zeitpunkt hinterm Berg (oder vielmehr, hinterm Haarstrang), aus Angst, dass deren Errichtung von der Bezirksregierung oder dem zukünftigen Betreiber der Deponie verhindert werden könnte. Wenig später erließ die Landesregierung übrigens, wie Eckey vermutet, als Reaktion auf diese Aktion, denn „mit so viel Protest, aber auch mit so wenig Sondermüllaufkommen hatte man dann doch nicht gerechnet“ – ein Gesetz, das besagt, dass mit Offenlegung von Plänen für eine Sonderabfalldeponie oder Müllverbrennungsanlage eine Veränderungssperre in Kraft tritt. Heißt: Von diesem Moment an darf seither die infrage kommende Fläche nicht mehr an Dritte verkauft werden.

„Fantasievoller Bürgerprotest“

„Nicht nur für die Betreiber in den beiden Gesellschaften, sondern auch für viele unbeteiligte Menschen sind diese Mühlen immer noch ein Zeichen des erfolgreichen und zugleich fantasievollen Bürgerprotestes“, sind sich die Thomas Eckey und Werner Sudhoff, die Geschäftsführer der beiden Gesellschaften, einig. Als „Mahnmal“ steht seit einem Schnadegang, der zu der Anlage führte, ein großer Erinnerungsstein, der einen erhobenen Zeigefinger darstellt, am Höhenweg.

Eckey: „Das Wort Energiewende kannte man damals noch nicht, auch wenn die Anti-Atomkraft-Bewegung inzwischen viele Menschen für die Nutzung alternativer Energien sensibilisiert hatte. Rückblickend gesehen, war man mit dem Bürgerwindpark in Brünningsen seiner Zeit also schon weit voraus. Was bleibt, ist damals wie heute die Notwendigkeit, Sonderabfälle zu vermeiden, sowie unvermeidbare Abfälle so zu sichern, dass in Verantwortung für kommende Generationen eine sichere und umweltverträgliche Endlagerung stattfindet. Eine Erkenntnis, die schon damals von Umweltfreunden in der hiesigen Deponie-Debatte eingebracht wurde.“

Die Anlage liefert seit 30 Jahren Strom. Sie gegen eine neuere auszutauschen, steht aber nicht zur Debatte. Ein Gedenkstein (unten) erinnert an den „Aufstand“.
Die Anlage liefert seit 30 Jahren Strom. Sie gegen eine neuere auszutauschen, steht aber nicht zur Debatte. © Bunte

Repowering ist noch kein Thema

Bei den jährlichen Gesellschafterversammlungen sei immer wieder auch die Frage nach Repowering in Brünningsen gestellt worden. Damit gemeint ist der Ersatz von Altanlagen durch weniger, aber dafür effizientere neue Anlagen. Bislang hat sich die Gesellschaft jedoch gegen ein Repowering ihrer Windkraftanlage ausgesprochen. Eckey: „Zum einen stehen noch immer nicht die wirtschaftlichen, sondern ideellen Interessen vieler Gesellschafter im Vordergrund, zum anderen sind die Repowering-Möglichkeiten an diesem Standort nicht gegeben. Der Flächennutzungsplan lässt an dem Standort der ersten Bürgerwindkraftanlage keine neue Baugenehmigung zu. Außerdem laufen alle drei Anlagen auch nach so vielen Jahren anstandslos. Das hoffen wir auch noch für möglichst viele weitere Jahre.“

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