Der weitere Verbleib in der SV stehe zudem nicht im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der Vollzug der SV in der JVA entspreche nicht den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2011. Das Gericht habe bis 2013 eine Frist zur Anpassung der SV eingeräumt. Das Gesetz sei aber auch zehn Jahre später in der Werler Anstalt noch immer nicht umgesetzt.
Wenn die JVA dem gesetzgeberischen und von Verfassungs wegen vorgegebenen Auftrag nicht gerecht werden kann, kann einzig nur die Rechtsfolge sein, die Maßregel wegen Unverhältnismäßigkeit sofort für beendet zu erklären und den Betroffenen auf freien Fuß zu lassen.
Der Jurist hat keinen Zweifel: Wenn die JVA „dem gesetzgeberischen und von Verfassungs wegen vorgegebenen Auftrag nicht gerecht werden kann, kann einzig nur die Rechtsfolge sein, die Maßregel wegen Unverhältnismäßigkeit sofort für beendet zu erklären und den Betroffenen auf freien Fuß zu lassen.“
Staat, JVA und Gerichte hätten die Verpflichtung, im Vollzug „von Anfang an geeignete Konzepte bereitzustellen bzw. die Einhaltung zu überprüfen, um die Gefährlichkeit des Verwahrten nach Möglichkeit zu beseitigen, beziehungsweise zu minimieren“.
Die Gegebenheiten in der Einrichtung müssten dabei therapeutischen Erfordernissen entsprechen. Zudem müsse ausreichend Personal zur Verfügung stehen, um die Anforderungen eines „freiheitsorientierten und therapiegerichteten Gesamtkonzepts der Sicherungsverwahrung praktisch zu erfüllen“. Es bedürfe aber auch eines ausreichenden Angebots an Einrichtungen (forensische Ambulanzen, Einrichtungen des betreuten Wohnens), die entlassene Untergebrachte aufnehmen, die Betreuung sicherstellen und damit einen „geeigneten sozialen Empfangsraum“ bieten können.
Spätestens mit Beginn der SV habe „unverzüglich“ eine umfassende Behandlungsuntersuchung stattzufinden, schreibt der Münchener Anwalt in seiner Klagebegründung. Und: „Es bedarf einer individuellen und intensiven Betreuung der Untergebrachten durch ein multidisziplinäres Team qualifizierter Fachkräfte.“
Eine angemessene Behandlung von SVern sei in der JVA Werl durch fehlendes Personal gar nicht möglich, beklagt der Münchner Jurist Adam Ahmed. Psychiatrische Behandlungsmaßnahmen seien in der Werler Anstalt schon deshalb ausgeschlossen, weil es dort keinen Psychiater oder ärztlichen Psychotherapeuten gibt. Auf Gespräche und Therapien mit ärztlichen oder psychologischen Psychotherapeuten hätten die Untergebrachten aber einen Rechtsanspruch. Eigentlich müssten laut Anwalt 7,5 Sicherungsverwahrte auf einen Psychologen kommen, es seien aber 15. Bei den Sozialarbeitern wäre demnach ein Schlüssel von 1:6 nötig, zurzeit liege das Verhältnis aber bei rund 1:15 (ab Juni bei 1:17, weil einer ausscheide). Bei den Mitarbeitern des allgemeinen Justizvollzugsdienstes müsse der Verhältnis 1:1,2 betragen; tatsächlich liege es aber bei rund 1:3. Aktuell gebe es dort 45 Mitarbeiter. „Somit entspricht die personelle Ausstattung offenkundig nicht der rechtsverbindlich anerkannten Vorgabe des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“, so Anwalt Ahmed. Letztlich sei sogar „der Schutz der Bevölkerung durch den Personalschlüssel nicht gewährleistet“.
Wo Standard- Therapiemethoden nicht greifen, müsse ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot entwickelt werden. Aber: „Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht die Unterbringung der Sicherungsverwahrung in der JVA Werl nicht.“
Der Jurist verweist auf die Gesetzesvorgaben des „Abstandsgebots“, nach dem sich Strafhaft und Sicherungsverwahrung deutlich voneinander unterscheiden müssen, auch wenn beide Maßnahmen den Verlust von Freiheit bedeuten. Dazu gehört die räumliche Trennung, aber auch die Ausgestaltung des Vollzugs. Denn SVer haben ihre Straftat bereits verbüßt, sollen aber dennoch nicht in Freiheit entlassen werden, sofern eine Gefahr für die Öffentlichkeit von ihnen ausgeht. Heißt: Die Schutzinteressen der Allgemeinheit überwiegen vor dem Freiheitsrecht des Untergebrachten, solange ihnen gutachterlich eine Gefährlichkeit auch nach der eigentlichen Haftstrafe attestiert wird.
Aber bei einer allein vorbeugenden Schutzmaßnahme und „bloßen Verwahrung“ dürfe es nicht bleiben, da es in der SV nicht mehr um „Wegsperren“ oder Strafe geht. Der Vollzug habe vielmehr bei Verhängung der SV – die als letztes Mittel gelten soll – die Aufgabe, die Gefährlichkeit des Verwahrten so schnell und so weit wie möglich zu beseitigen – zum Beispiel durch ein umfangreiches und unverzüglich einzuleitendes Therapieangebot (psychiatrisch, psycho- und sozialtherapeutische Behandlungen) samt Vollzugsplan und Motivationsarbeit.
Dabei müsse stets eine realistische Entlassungsperspektive, also die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit samt Wiedereingliederung, gegeben sein. Die Männer sollen im Vollzug lernen, ein Leben ohne Straftaten führen zu können. Also müsse die Maßregel freiheitsorientiert und therapiegerichtet gestaltet sein.
Aber all das geschehe in der Werler JVA nur unzureichend und schon gar nicht unverzüglich, so der Anwalt. Es gebe ein Vollzugsdefizit, die Betreuung der Männer werde „sträflich vernachlässigt“. Darin sieht der Anwalt einen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Die Kritik an der Sicherungsverwahrung hinsichtlich der personellen Ressourcen und der damit verbundenen Umsetzung in der JVA Werl ist nicht nur berechtigt. Der dortigen Praxis ist unverzüglich Einhalt zu gebieten.
„Die Kritik an der Sicherungsverwahrung hinsichtlich der personellen Ressourcen und der damit verbundenen Umsetzung in der JVA Werl ist nicht nur berechtigt. Der dortigen Praxis ist unverzüglich Einhalt zu gebieten, weil der Umsetzung nicht nachgekommen werden kann“, schreibt er. In der JVA gebe es „zu wenig Personal, um eine angemessene Betreuung und Behandlung in Sicherungsverwahrung zu gewährleisten“. Das könne „zu einer Verschlechterung der Situation führen und die Wirksamkeit der Maßnahme beeinträchtigen“.
Eine unzureichende Betreuung berge die Gefahr eines Anstiegs von Zwischenfällen, aber auch eines Mangels an therapeutischen Angeboten. Ahmed betont: „Exakt dies ist in der JVA Werl der Fall.“
Nicht nur in der Anstalt, sondern auch bei den Justizbehörden wie der Strafvollstreckungskammer Arnsberg und dem Oberlandesgericht Hamm werde nichts gegen den Mangel unternommen; beide kämen ihrer Kontrollfunktion nicht ausreichend nach.