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Versuchsgut arbeitet für die Zukunft der Landwirtschaft

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Von: Dirk Wilms

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Verena Haberlah-Korr als Wissenschaftliche Leiterin und Steffen Hünnies als Technischer Leiter präsentieren inmitten der Versuchsfelder bei Merklingsen die Drohne, mit deren Hilfe die Äcker beobachtet werden. fotl: wilms
Verena Haberlah-Korr als Wissenschaftliche Leiterin und Steffen Hünnies als Technischer Leiter präsentieren inmitten der Versuchsfelder bei Merklingsen die Drohne, mit deren Hilfe die Äcker beobachtet werden. fotl: wilms © Wilms, Dirk

Der Blick zum Himmel lässt Steffen Hünnies wenig Gutes ahnen. Der Technische Leiter des Versuchsgut der Fachhochschule Südwestfalen weiß nur zu genau, dass es nichts wird aus einer raschen Aussaat der Zuckerrüben. „Wir stehen längst in den Startlöchern, haben aber rund zwei Wochen Verzug“, verweist er in der Woche nach Ostern auf die feuchte Witterung, die ihm und seinem Team in die Quere kommt. „So spät waren wir seit zehn Jahren nicht mehr dran.“

Merklingsen – In der Tat ist der ergiebige Regen für das Versuchsgut am Rande von Merklingsen und damit auch für die Landwirtschaft im Allgemeinen Fluch und Segen zugleich. Der Niederschlag sorgt zum einen für eine satte Durchfeuchtung der in den vergangenen Jahren aufgrund ausgeprägter Dürre darbenden Böden. Andererseits lässt sich auf dem aktuell schlammigen Untergrund die Saat schlecht ausbringen.

„Wenn es bis Mitte April klappt, ist alles gut“, setzt Hünnies auf ein Einsehen bei Petrus. Der Wettergott sollte die Schleusen also in nächster Zeit zumeist geschlossen halten. Sonst wird es kritisch mit den Zuckerrüben. Und womöglich auch mit dem Mais, der als letzte Frucht auf den Acker kommen soll, und den Sojabohnen, mit denen in Merklingsen auf ganz kleiner Fläche experimentiert wird.

Apropos Experimente: Das ist die Kernkompetenz der Wissenschaftler in der Zweigstelle der FH Südwestfalen. Hier wird probiert, was auf den Bördeböden besonders gut gedeiht, was weniger geeignet ist. Hier wird überprüft, wie der Umgang mit Pflanzenschutzmitteln optimiert werden kann. Das ist der Bereich der Wissenschaftlichen Leiterin, Professorin Verena Haberlah-Korr, die als studierte Herbologin unter anderem Wege zu finden versucht, Einsparungen bei den Herbiziden vorzunehmen.

So arbeitet sie mit Herstellern von Landtechnik zusammen, die Geräte neu entwickeln, um einen sparsameren Umgang mit jenen chemischen Stoffen zu erzielen, die zum einen vielfach in der Kritik stehen; und damit auch ihre Nutzer. Die zum anderen aber auch ein Kostenfaktor sind. Und so wird beispielsweise mit einem sogenannten Spotsprayer aus der Schweiz experimentiert, der die Pflanzenschutzmittel nur dort ausbringt, wo die Unkräuter wachsen; und nicht flächendeckend, wo sie gar nicht benötigt werden.

Auch spezielle Sämaschinen aus dem Hause Kvaerneland, also aus Soest, kommen zum Einsatz. „Da arbeiten auch ehemalige Studenten unseres Hauses“, ist der Weg von der Firma zum Versuchsgut laut Verena Haberlah-Korr sehr kurz. So wird neuerdings versucht, den in Blüte stehenden Roggen im Mai umzuknicken und die Pflanzenmatte als Herbizid-Ersatz zu nutzen. Um dort im Mai das Saatgut auszubringen, braucht es aber eben eine spezielle Sämaschine.

Seit 1993 in Merklingsen

Das Versuchsgut in Merklingsen ist Teil des Fachbereichs Agrarwirtschaft Soest in der FH Südwestfalen und aktiv im deutschlandweiten Netzwerk Leitbetriebe Pflanzenbau. 600 Studierende streben hier Bachelor bzw. Master an. 14 Professoren und rund 75 Mitarbeiter geben ihr Wissen weiter, darunter neben Verena Haberlah-Korr und Steffen Hünnies sowie deren Stellvertretern Tanja Schäfer und Philip Deblon in der Leitung zwei Agraringenieure, eine landwirtschaftliche technische Assistentin, drei Versuchstechniker bzw. Agrarbetriebswirte sowie Mitarbeiter mit zeitlicher Befristung für Drittmittelprojekte. Das Versuchsgut in Merklingsen besteht seit 1993, wuchs von 50 auf nunmehr 95 Hektar. 2019 wurden Büro und Seminargebäude neu gebaut. Der Pachtvertrag läuft bis 2040.

Des Weiteren wird geforscht, inwieweit nützliche Insekten die Arbeit erledigen können, für die der Mensch bislang schwerpunktmäßig auf die Chemie setzt. „Ein Doktorand beschäftigt sich damit, wie sich unterschiedliche Formen von Blühstreifen auf die Insekten auswirken“, erklärt die Professorin. Ob Marienkäfer, Schwebfliege oder anderes kleines Getier – sie alle können dabei helfen, den Gebrauch von Insektiziden zu reduzieren. Denn zu ihren Leibspeisen gehören Schädlinge wie Läuse, die den Gewächsen übel mitspielen können.

Das wird auch den Landwirten kommuniziert, die regelmäßig aus naher und weiter Umgebung nach Merklingsen kommen. Die Wissenschaftler sehen es eben als zentrale Aufgabe an, den Praktikern näherzubringen, wie sie mit bestimmten Krankheiten ihrer Nutzpflanzen umgehen können, wie sie mit den Folgen des Klimawandels klar kommen können, wie sie auch in Zukunft – bei Dürren oder Starkregen – ein Auskommen haben und zur Ernährungssicherheit beitragen können.

Kein Wunder, dass auch das Gros der Studierenden aus dem Bereich der Landwirtschaft kommt und viele von ihnen auch dahin zurückkehren. Sie sind dabei, wenn versucht wird, auf dem Bördeboden Sojabohnen wachsen zu lassen. Oder Heil- und Gewürzpflanzen hier zu kultivieren, die ihr Zuhause ursprünglich in weitaus wärmeren Gefilden haben – Sonnenhut oder Fenchel zum Beispiel. Oder auch Lupinen, die nicht nur schön aussehen im Vorgarten, sondern auch als eiweißhaltige Futtermittel eingesetzt werden können.

Es ist ein weites Feld, auf dem sich im sprichwörtlichen wie im tatsächlichen Sinne die Mitarbeiter des Versuchsgutes tummeln. Seit Beginn des Sommersemesters Anfang April versammeln sich auch die Studierenden in Merklingsen. „Unser Tagungsraum eignet sich gut für die Vorlesungen. Dann können wir runtergehen direkt auf die Versuchsfelder“, sieht Haberlah-Korr große Vorteile in dem 2019 eingeweihten Neubau. Theorie und Praxis gehen dann Hand in Hand.

Sie lernen dabei, wie sich die Wissenschaft Themen wie dem resistenten Ackerfuchsschwanz widmet, der für Getreideanbauer ein zunehmend großes Problem darstellt. Oder verschiedenen Pilzen wie dem Mehltau, der gerade jetzt, angesichts des vergleichsweise feuchten ersten Quartals, vielleicht ein Problem darstellen könnte. „Es hängt immer ganz vom Wetter ab“, weiß Steffen Hünnies, dass die Bauern für alle Eventualitäten gewappnet sein müssen.

Dabei gibt es aber auch Schwierigkeiten, für die auch im Versuchsgut noch keine Lösung gefunden worden ist. Denn Hünnies und sein Team haben in jüngster Zeit Probleme mit einer Tierart, die auch in Soest ihr Unwesen treibt. „Wir haben von 280 jungen Pflänzchen des Sommerweizens pro Quadratmeter rund 200 verloren“, trauert er dem Verlust nach, dem in den nächsten Tagen mit Nachsaaten begegnet werden soll, Ursache: Krähen und auch Tauben, die die jungen Pflanzen als Leckerbissen ganz und gar nicht verachten.

„Ein schwieriges Thema: Da helfen auch keine Vogelscheuchen“, weiß Hünnies darum, dass beim Umgang mit den gefräßigen Vögeln Welten aufeinanderprallen. Die Hoffnung ist, dass in Kürze, wenn mehr Pflanzen grünen und blühen, die Krähen einen reicher gedeckten Tisch vorfinden und nicht nur den Sommerweizen verputzen.

Angesichts solcher und ähnlicher Schwierigkeiten wird in Merklingsen die achtgliedrige Fruchtfolge propagiert. Raps, Weizen, Ackerbohnen, Mais, Rüben, Hafer und Gerste werden wechselweise angebaut. Das Konzept beinhaltet eine konsequente Bodenbedeckung, reduzierte Bodenbearbeitung – im Versuchsgut gibt es unter den zahlreichen Landmaschinen keinen Pflug – und einen minimierten Pflanzenschutz. Auf 4000 Kleinparzellen mit jeweils zehn Quadratmetern wird all dies ausprobiert und auch mit einer Drohne überwacht, die mit einer Multispektralkamera ausgerüstet ist.

Apropos Drohne: Dem- nächst wird mit einem neuen Gerät experimentiert, mit dessen Hilfe Samen von Zwischenfrüchten wie Senf und Phacelia schon ausgebracht werden können, wenn der Weizen noch gar nicht geerntet worden ist. Das bringt im Sommer Zeitersparnis und optimiert den Zwischenfruchtanbau um ein vier Wochen früheres Wachstum. Es wird eben viel ausprobiert im südlichsten Ortsteil der Gemeinde Welver, so klein er auch sein mag, der in Fachkreisen bundesweit weitaus besser bekannt ist als all die anderen 20 Dörfer der Kommune. Ende Mai wird der Öffentlichkeit im Anschluss an einen viertägigen Bodenkartierkursus eine Bodensafari durch die Niederbörde angeboten. Vom 6. bis 7. Juni findet eine Bodenkundliche Fachtagung statt. Es geht um den Ackerboden-Boden des Jahres 2023. Diese Wahl traf auf den Bördeboden!

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