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Ralf Berg arbeitet als Streetworker: "Ich habe 20 Minuten, bevor ich nerve"

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Von: Marcel Voß

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„Ich will mehr Vertrauen aufbauen“, sagt der 47-jährige Streetworker Ralf Berg. © Voß

Welver – Vielen war gar nicht bewusst, dass in diesem Bereich Bedarf besteht – und doch hat die Gemeinde Welver in der Sozialarbeit zuletzt aufgerüstet. Neben Mareike Höhling und Ingrid Ries ist seit Oktober mit Ralf Berg auch die dritte Stelle besetzt. Im Interview spricht der 47-Jährige über seine Arbeit als Streetworker.

Für die Gemeinde ist das Kümmern um die Jugendlichen auch ein Standortfaktor, weshalb man hier langfristig mit Berg plant. Die ersten Monate hat „der Neue“ jetzt hinter sich.

Wie war die erste Zeit für Sie?
Ralf Berg: Ich bin hier schon sehr gut angekommen und bedanke mich für die Unterstützung auch beim Kreis. Hilfreich waren für den Einstieg vor allem auch die Ortsvorsteher als kleine Starthilfe. 

Was macht ein Streetworker denn überhaupt in einer kleinen Gemeinde wie Welver?
Berg: Anders als Ingrid Ries im „Treff“ handelt es sich bei meinem Job um aufsuchende Arbeit. Das ist ein mobiler Bereich der Jugendarbeit. Ich bin für die jungen Leute ein Ansprechpartner und eine Vertrauensperson. Wir führen gemeinsame Aktionen durch, wobei ich die Planung hauptsächlich moderiere. Die Ideen und Organisation sollen von den Jugendlichen kommen, ich begleite das. Ich gehe auf die Wünsche der Teenager ein. Man muss kein Angebot bringen, sondern auf Anregungen reagieren. Auf diese Weise kann ich schon früh im Vorfeld verhindern, dass sie auf die schiefe Bahn geraten beziehungsweise sie von da wegholen. Das ist am Ende dann alles Prävention. 

Wie gehen Sie das an, also wie bauen Sie einen Draht zu den Kids auf?
Berg: Zu Beginn habe ich die Ortsvorsteher angerufen und Termine für Ortsbegehungen vereinbart, um zu sehen, wo Jugendliche auffällig sind. Diese Orte habe ich dann natürlich vermehrt angefahren. Inzwischen weiß ich in etwa, wo Treffpunkte sind. 

Und wie gehen Sie dann auf die Cliquen zu?
Berg: Ich benutze dabei oft Jugendsprache. Sonst wird man ja nicht angenommen. Da wird dann ab und zu auch mal geflucht. Allgemein bin ich direkt, duze – und will auch geduzt werden. Zunächst sage ich erst mal, wer ich bin und was meine Aufgabe ist. Ich muss das erklären, weil die Situation für Jugendliche Neuland und teilweise sogar erschreckend ist. Die denken sich: „Da spricht uns ein Fremder an.“ Für den Fall helfen auch Dienstausweis und Visitenkarte. 

Wie ist der aktuelle Stand?
Berg: Ich arbeite momentan mit drei Cliquen im Alter 14 aufwärts und habe zudem intensive Einzelbetreuung. Wir gehen unter anderem Kartfahren oder Angeln, wobei mir Letzteres besser gefällt, weil man gerade da viel Gelegenheit zum Gespräch bekommt. Natürlich soll es auch Spaß machen, aber vor allem sind diese Treffen für mich Türöffner.

Gibt es auch Orte, an denen sich der Auftakt schwieriger gestaltet?
Berg: Ja, auf jeden Fall. Die Dorfstruktur funktioniert mancherorts so gut, dass man noch ein Fremdkörper ist – grundsätzlich erst mal gut, insgesamt aber auch erschwerend. Scheidingen ist beispielsweise etwas komplizierter, weil sich vieles nach Werl zieht. Vielleicht ergibt sich da aber was im Sommer. 

Was ist denn überhaupt in der kalten Jahreszeit möglich?
Berg: Im Winter bin ich sehr häufig im Treff beteiligt. Da integriere ich dann auch Jugendliche, die die Zeit sonst auf der Straße verbringen würden. Ich öffne auch mal samstags für Ü16-Veranstaltungen. Damit kann Ingrid Ries entlastet werden und das Programm ergänzt sich auch. Die Zusammenarbeit läuft generell sehr gut. 

Was ist der Unterschied zu sozialen Brennpunkten?
Berg: Dort gehören Streetworker zum Stadtbild, hier ist das noch ungewohnt. Außerdem werden Treffpunkte in Großstädten mehr genutzt, also Bahnhöfe, Stadtparks und so weiter. Hier ist das flexibler, zeitlich wie auch räumlich. Ich muss die Jugendlichen erst finden, viele Treffpunkte sind im nicht-öffentlichen Raum. Das verzögert den Prozess. Außerdem habe ich hier im Dorf keine weiterführende Schule, an der ich mich einfach vorstellen kann. Dazu kommt, dass Gemengelagen den Leuten im ländlichen Gebiet kaum bewusst sind, weil die Konsequenzen hier gar nicht spürbar werden. Die Probleme bleiben am Ende nicht in Welver. 

Wann und wo sind Sie im Einsatz?
Berg: Hauptsächlich fahre ich abends rum, zu einem Drittel bin ich in Wäldern unterwegs. Ich wurde auch schon angesprochen, wer ich denn sei. Ein Fremder, der Kinder anspricht – klar, dass das was Ungewohntes ist. Wer langsam durch die dunklen Straßen fährt, muss damit rechnen, verdächtig zu wirken – eine völlig nachvollziehbare Reaktion. 

Was sind Ihre Ziele für die nächste Zeit? Berg: Mehr Vertrauen aufbauen. Das dauert mindestens zwei bis drei Jahre, bis man als Marke da ist. Ich habe im Schnitt nur 20 Minuten Zeit bei den Treffen, bevor ich nerve. Man muss immer bedenken, dass ich nur zu Gast bin bei der Gruppe – da gehört eine gewisse Vorsicht zu. 

Ist sonst noch etwas geplant?
Berg: Ich denke über eine Flugblattaktion am Bahnhof nach, um auch Mädchen zu erreichen, die gerade von der Schule kommen. Aktuell arbeite ich ausschließlich mit Jungen. Bald bin ich dann auch auf Schützenfesten, mache da aber keine Alterskontrollen. 

Ist dazu auch eine finanzielle Ausstattung gegeben?
Berg: Ja, Diensthandys sind bei uns vorhanden – für die Erreichbarkeit. Es wird darüber hinaus ein Gebrauchtfahrzeug für die Jugendsozialarbeit angeschafft, das ist schon im Haushalt 2019 vorgesehen. 

Lohnen sich diese Ausgaben im Endeffekt?
Berg: Auf jeden Fall. Wenn man auch nur eine Person vom falschen Weg abbringen kann, spart man der Regierung damit schon jede Menge Geld, um die Million Euro.

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