Die 63-jährige Westönnerin ist seit 1988 als Sozialarbeiterin bei der Gemeinde Welver tätig, kennt noch die Zeiten, als der Jugendbus „Clou“ mit Uli Ahlers und später mit Martin Zemella durch die Ortsteile tingelte. Was damals als ergänzendes Freizeitangebot begann, hat sich längst weiterentwickelt. „Wir leisten Randgruppenarbeit, beraten bei Problemen in allen Lebenslagen“, erklärt Ralf Berg.
Der 53-Jährige aus Unna ist seit fast fünf Jahren dabei, hat in der Zeit als Streetworker Kontakte in den meisten Ortsteilen aufgebaut. „Das war am Anfang schwierig. Wenn ich in den Dörfern Jugendliche auf den Straßen angetroffen habe, wurde schon mal beim Ordnungsamt angerufen, dass da ein fremder Mann Kinder anspreche.“
Längst aber hat Ralf Berg die Kontakte zu den Jugendlichen geknüpft, die seine Hilfe und Beratung zu gern annehmen. Denn viele Mädchen und vor allem Jungen können ihm zufolge bestimmte Themen nicht zu Hause besprechen. Damit kommen sie zu ihm oder eben auch zu Ingrid Ries. Nicht von ungefähr gibt es heute noch Stammgäste aus den vergangenen Jahren und Jahrzehnten, die zwar längst dem Jugendalter entwachsen sind, sich dennoch regelmäßig im Jugendtreff blicken lassen.
Regelmäßig sind 20 bis 25 Besucher pro Tag in den Räumlichkeiten im ersten Stock an der Bördehalle; insgesamt zählen rund hundert Jugendliche und junge Erwachsene ab 13 Jahren zu den Gästen. „Sogar aus Soest kommen unsere Besucher“, hat sich laut Ingrid Ries der gute Ruf des Welveraner Jugendtreffs herumgesprochen. Dank der Bahnverbindung ist er eben auch gut erreichbar. „Manche Besucher kommen täglich, manche alle paar Monate.“
In der Corona-Zeit war es natürlich schwieriger geworden. Da bestand der Kontakt zeitweise nur über Handy oder auch über die Chat-Funktion der Playstation. „Da traten ganz neue Probleme auf“, schildern die beiden Sozialpädagogen. „Die Jugendlichen stecken in einem Hamsterrad, haben massiv Stress durch den Leistungsdruck. Plötzlich stand das Hamsterrad still, sie fielen in ein tiefes Loch.“
Diese Lücke wurde auch mit Drogen gefüllt, wissen Ries und Berg auch von Medikamentenmissbrauch, zum Beispiel von Ritalin oder Medikinet. Alkohol und Joints spielen auch eine Rolle. „Viele kontern Ritalin mit einem Joint und Mädchen nehmen Speed zum Abnehmen“, sagt Ries. Die Probleme seien vielfältig. Leider würden in vielen Fällen die Warnsignale übersehen, sprechen die Welveraner Sozialpädagogen von einer Vervielfachung der Fälle.
Ralf Berg hatte unmittelbar vor dem Pressegespräch drei Termine in verschiedenen Familien, berät die Eltern. „Leider dauert es oft sehr lange, bis die Hilfe greift“, weiß er um die oft monatelangen Wartezeiten bei der Familienhilfe. „Die kann ich aber nicht so lange hängen lassen“, hält er den Kontakt zu seinen Klienten in allen Ortsteilen möglichst intensiv aufrecht.
Die Lage spitzt sich für einige Klienten so weit zu, dass sie kein eigenes Dach mehr über dem Kopf haben. Von Couch-Hopping ist da die Rede, manche nutzen auch den Eilmser Wald als letzte Zufluchtsstätte. „Es gibt junge Leute, die aus der Klinik in Benninghausen entlassen werden und nicht mehr wissen, wohin“, schildert Berg die zum Teil dramatische Lage. In der kalten Jahreszeit steuern sie daher den Jugendtreff auch an, um sich mal aufzuwärmen und was Warmes zu sich nehmen zu können.“
Der Jugendtreff hat daher schon fast die Rolle der Tafel übernommen, wie sie es in größeren Kommunen gibt. Der Bedarf ist durchaus aber auch in Welver gegeben; ebenso wie an gut erhaltenen Klamotten übrigens. Der Jugendtreff dient für den ein oder anderen Heranwachsenden daher auch als Kleiderkammer.
Zweieinhalb Jahre wird Ingrid Ries der Gemeinde noch als Sozialpädagogin erhalten bleiben, wird Hilfe zur Selbsthilfe leisten und den Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen, ehe sie sich in den wohlverdienten Ruhestand begeben wird. Ihr Kollege Ralf Berg hofft, dass damit keine Zäsur verbunden sein wird. „Wir müssen das System Ingrid beibehalten“, hofft er auf Unterstützung durch die Entscheidungsträger auch über das Jahr 2025 hinaus.
Der Bedarf dürfte sich in dieser Zeit kaum erledigt haben