Bereits am Tag des Kriegsausbruchs wurde sie von ihrem Arbeitgeber morgens um 6 Uhr telefonisch informiert, dass sie nicht zur Arbeit kommen brauche, da der Krieg ausgebrochen sei. In einem kleinen Betrieb war sie mit dem Nähen und Fertigen von Damenoberbekleidung beschäftig, sie lebte und arbeitete rund 35 Kilometer vom mittlerweile völlig zerstörten Ort Butscha entfernt. Dies sei für sie ein Schock gewesen, schildert sie, sie habe Angst davor gehabt, wie es weitergeht. Auf der Hauptverkehrsstraße, die durch ihren Ort führt, konnte sie russische Militärverbände, Panzer und Autos beobachten, die die Straße aus Weißrussland Richtung Kiew verstopften. Alle staatlichen Läden seinen von diesem Zeitpunkt an geschlossen gewesen, es gab ab dem zweiten Kriegstag keinen Strom und kein Wasser mehr. Der Krieg war ab dem zweiten Tag an überall zu spüren, ringsum wurde geschossen, die Raketen flogen den ganzen Tag.
Das Leben der Familie in Dinker läuft mittlerweile in geordneten Bahnen. Die Söhne gehen in Werl zur Schule, müssen aber für Hin- und Rückweg einiges in Kauf nehmen. Zwar fährt morgens um 6.30 Uhr ein Bus, an zwei Tagen in der Woche klappt auch der Rückweg mit dem Bus. Teilweise fahren sie jedoch von Werl mit dem Zug nach Soest, steigen dort in einen Zug nach Welver um und gehen vom Bahnhof in Welver zu Fuß nach Dinker. Aber sie beklagen sich nicht und sind zufrieden, wie es ist. Überwältigt sind sie von der Welle der Hilfsbereitschaft, die sie in Dinker erfahren durften, etwa beim Ausfüllen der erforderlichen Formulare.
20 Tage lang lebten sie in Angst vor den Raketen in Kellern, morgens ging es zu Fuß zum nächsten Brunnen, um sich mit Wasser zu versorgen. Nachdem die staatlichen Läden teilweise geplündert waren, organisierten sich der Widerstand und die Selbsthilfe in ihrer Heimat. In kleinen Märkten verkauften private kleine Läden Lebensmittel. Nach 20 Tagen reifte der Entschluss, das Krisengebiet zu verlassen.
Da die Telefonverbindung noch teilweise funktionierte, gab es einen Kontakt zu Verwandten, die in Dortmund leben und Hilfe anboten. Von Nachbarn erfuhren sie von der Möglichkeit, mit Bussen aus dem Kriegsgebiet evakuiert zu werden. Nach rund neun Kilometern war an einem Fluss die Flucht zunächst stark behindert, die Brücke war zerstört. Über Bretterstege ging es zu Fuß drei Kilometer durch vermintes Gebiet am Fluss entlang, jeder Tritt neben die Stege konnte tödlich sein. Die Angriffe der Russen waren für einen kleinen Korridor ausgesetzt, sodass die Flucht Richtung Kiew fortgesetzt werden konnte. Viele Ukrainer waren zu diesem Zeitpunkt auf der Flucht, an der Grenze zu Polen bildeten sich lange Schlangen, hatten sie erfahren, sodass die Route über Rumänien und Ungarn gewählt wurde.
In Ungarn tauchte dann das nächste Problem auf: Zwar hatten die beiden Söhne einen Reisepass, Tetyana und „Babuschka“ Valentina fehlten aber die erforderlichen Dokumente. Allerdings half dann die ungarische Polizei bei der Erstellung von Ersatzdokumenten. Verpflegt haben sie sich in diesen Tagen mit Butterbroten, die sie mitgenommen hatten, teilweise konnten sie auch Lebensmittel kaufen. Von Budapest aus ging es dann mit dem Zug nach Dortmund, bis sie schließlich am 5. April in Dinker landeten.
Die 44-jährige Tetyana Krikun nimmt mittlerweile an einem Online-Nähkurs teil, um sich weiterzubilden, dafür hat sie sich jetzt eine Schneiderpuppe gekauft. Mit Sprachkursen soll die Verständigung besser werden, die Söhne kommen mit Englisch auch in der Schule zurecht. So schnell es geht und die Umstände es zulassen, möchten sie in ihre Heimat zurück, bislang sind die Häuser in ihrem Ort auch weitgehend heil geblieben. Zum Ehemann, der vor dem Krieg als Zivilangestellter bei der Armee war und mittlerweile eingezogen wurde, besteht der Kontakt über Handy.
Die evangelische Kirchengemeinde Niederbörde lädt am kommenden Freitag, 24. Februar, zu einem Gedenkgottesdienst anlässlich des Beginns des Ukrainekrieges ein. Der Gottesdienst beginnt um 19.30 Uhr und wird von einigen ukrainischen Flüchtlingen mitgestaltet. Für den Gottesdienst hat die Familie Krikun Solidaritätsarmbänder in den ukrainischen Farben Blau und Gelb gebastelt, die dort verteilt werden.