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Ukraine-Krieg: Sichtigvorer Flüchtlingshelfer berichtet über aktuelle Lage im Haus Teiplaß

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Ein Geschenk, das besonders in Ehren gehalten wird: die ukrainische Flagge.
Ein Geschenk, das besonders in Ehren gehalten wird: die ukrainische Flagge. © Romy Frenz

Seit vielen Wochen läuft bereits der Krieg in der Ukraine, seit vielen Wochen leben auch schon ukrainische Kriegsflüchtlinge in Warstein, unter anderem im Haus Teiplaß. Flüchtlingshelfer Hartmut Peitz berichtet über die aktuelle Lage, Spenden und Schwierigkeiten.

Sichtigvor – Das Haus Teiplaß ist Unterkunft für Flüchtlinge aus der Ukraine, die vor dem Angriffskrieg Russlands auf ihre Heimat geflohen sind. Hartmut Peitz hat stellvertretend für den Flüchtlingshelferkreis eine Situationsbeschreibung geliefert.

Auslöser

Unsere Stadt Warstein und mit ihr jeder ihrer Ortsteile hat sich zur Aufnahme von Flüchtlingen aus der von Russland attackierten Ukraine vorbereitet. In den vergangenen Wochen sind etliche Menschen aus dem Kriegsgebiet in Warstein angekommen – teils privat untergebracht, teils in städtischen Unterkünften; so auch im Haus Teiplaß in Sichtigvor.

Die Vorgeschichte

Die Schützen- und Sporthalle im Eigentum der Stadt wurde, nach 2015 nun zum zweiten Mal, mit Kabinentrennwänden, Betten, Sanitärcontainern und Küchenequipment ausgestattet.

Schon vor sieben Jahren hatte sich im Kirchspiel MüSiWa im Zusammenhang mit den Kriegsflüchtlingen aus Syrien, Kurdistan, Iran, Irak, Afghanistan und Asylsuchenden aus weiteren Ländern (zum Beispiel Pakistan oder Palästina) eine Gruppe von Einwohnern zusammengefunden, die tatkräftig den Alltag in der fremden Umgebung zu organisieren half.

Es bildeten sich recht schnell „Fachgruppen“ für alle möglichen Belange (Kindergarten und -Schulanmeldungen und Begleitung, Begleitung bei Behördenangelegenheiten, Hilfe bei Asyl- und Arbeitsanträgen, Vermittlung und Umzugshilfe bei der Unterbringung in Privatunterkünfte, Sprachausbildung, Unterstützung durch Sportvereine, Organisation von Kleiderkammer und Aufbau eines Möbellagers und Suche von Ausbildungsplätzen, Unterstützung bei medizinischen Aufgabestellungen).

Gemeinsame Feiern wie beim Zuckerfest oder zu Ostern gehören im Welcome-Café dazu.
Gemeinsame Feiern wie beim Zuckerfest oder zu Ostern gehören im Welcome-Café dazu. © Romy Frenz

Die Aufzählung muss unvollständig bleiben – besonders genannt werden soll aber die Gründung des „Welcome-Cafés“, das maßgelblich zur Integration in den „sauerländischen Alltag“ und zur unkomplizierten Verständigung über alle Sprachbarrieren hinaus beigetragen hat.

Dass nun bereits fast sieben Jahre seit alldem vergangen sind, konnten viele der damaligen Helfer gar nicht glauben – bestand doch das Welcome-Café Jahre weiter und wurde durch Initiative von Heckers Annette und Lorenz weitergeführt – mit Grill im Sommer und Bollerofen im Winter. Erst die Corona-Pandemie unterbrach das Wirken – nun ist es im Haus Teiplaß wieder ins Leben gerufen worden.

Das „Dejá-vu“

Mit steigenden Flüchtlingszahlen aus der Ukraine fühlen sich alle nun an die Anfänge der oben beschriebenen Entwicklung zurückversetzt – es kam die Meldung von der Stadt, vermittelt über Ortsvorsteherin Heike Kruse, dass schon im April das Haus Teiplaß erneut als „Notunterkunft“ hergerichtet wird.

Sofort bildete sich wieder eine Helfergruppe, deren Kern ja noch immer aktiv war und ist. Zur großen Freude aller ist sie durch eine bedeutende Anzahl von neu hinzugekommenen Menschen aus dem Kirchspiel – und darüber hinaus angewachsen.

Ein erstes Treffen wurde flugs im Mülheimer Bauernstübchen anberaumt – dabei waren und sind moderne „Messenger-Dienste“ (z.B. Whatsapp) wieder sehr hilfreich. Bereits bei diesem Treffen war „die Bude rappelvoll“ – es galt, sich innerhalb der Gruppe erst einmal kennenzulernen.

Ein Phänomen, das bereits vor sieben Jahren für Überraschung und Freude sorgte – kennt man sich zwar weitgehend „auf´m Dorfe“, doch nicht immer kann jeder, jedem Gesicht gleich auch Haus und Namen zuordnen.

Da grundlegende Strukturen nun schon etabliert waren (Spendengruppe / Whatsapp-Gruppe / Sprach- und Alphabetisierungsfachleute/ Verbindungen zu überörtlichen Hilfsorganisationen wie DRK oder Caritas), lief die Hilfe verzögerungsfrei an.

In bewährter Zusammenarbeit mit der Verwaltung der Stadt Warstein wurde die Infrastruktur des HT, wie das Haus Teiplaß bei allen nur heißt, aufgebaut und optimiert.

Spenden

Da auch hier der Schornstein nicht ohne Kohle raucht, ist es nötig, aber auch wunderbar effektiv, wie durch sehr großzügige Spenden in wenigen Tagen das Spendenkonto der Flüchtlingshilfe Haus Teiplaß so ausgestattet wurde, dass dringende Anschaffungen für die Geflüchteten unkompliziert gemacht werden können.

Beispielhaft dürfen wir uns hier bedanken bei Anja und Friedel Gosmann vom Malergeschäft Gosmann, die mit 1 000 Euro ins Rad gegriffen haben.

Matthias Klemmt, der (wie schon vor sieben Jahren) das Praktische mit dem Spendablen kombinierte, hat durch seine Verbindungen 300 Geschirrtücher organisiert.

Bettina Teipel und ihre Kolleginnen vom Drogeriemarkt Müller haben ihre Betriebsfeier ausfallen lassen und mit Aufstockung den Gegenwert für die, die nur mit dem Nötigsten dem Krieg entflohen sind, gespendet.

Selbst der örtliche Rewe-Markt ist innerhalb der ReweGruppe einen Extraweg gegangen und hat, zusätzlich zum Rewe-Engagement, für das Haus Teiplaß Einkaufsgutscheine von 30 Euro für jeden Flüchtling „in den Pott geworfen“ und im Anschluss noch einen „Spendentisch“ organisiert.

Hier, wie an anderen Stellen, zahlte sich die offene und direkte Ansprache durch die Ortsvorsteherin aus.

Bettina Teipel hat, zusätzlich zur „Müller-Spende“, noch bei Kress in Soest an die richtige Tür geklopft und konnte so Frau Kress zu einer Spende von Einkaufsgutscheinen in beträchtlicher Höhe für dringend benötigte Kleidung bewegen.

Martina Graf hat ihre Verbindung zur Organisation der Soroptimistinnen genutzt, so dass aus diesem Kreis ebenfalls ein Betrag von 1 500 Euro zur Verfügung steht.

Zahlreiche Privatspenden kommen dazu, und auch die Stadt leitet monatlich einen Betrag aus Landesmitteln auf das Spendenkonto weiter, so dass auch Kontinuität und Planbarkeit für längerfristiges Engagement gegeben sind.

Die Caritas ist mit im Boot, was durch die kurzen und persönlichen Verbindung in unseren dörflichen Strukturen einfach und nervenschonend funktioniert – danke an Schulten Dorothee und Brüggemanns Edeltrud und Rüdiger.

Privatunterkünfte

Damit nicht genug: Bewohner des Möhnetales stellen ihren privaten Wohnraum zur Verfügung, um in besonderen Fällen Flüchtlinge direkt bei sich aufzunehmen – sogar „Nachbarn und Anlieger“ des Hauses Teiplaß öffnen ihre Gartentörchen und pflegen extra ein „Päddken“, damit die Kinder der Flüchtlingsfamilien auf kurzem Wege „mal eben zum Spielen“ rüberkommen können.

Der Gedanke, dass so viel Hilfe und Solidarität auch im „ganz normalen Leben in Deutschland“ oft nötig ist, kommt immer wieder auf – ein gegenseitiges Aufrechnen von Bedürftigkeit ist aber schlicht unangebracht und lähmend.

Flüchtlinge der ersten Stunde

Grandios ist die Mithilfe von „Flüchtlingen der ersten Stunde“ von vor sieben Jahren, die sich nun daran erinnern, was damals für sie geleistet wurde. Es ist ihnen ein besonderes Anliegen, tatkräftig zu helfen und damit Hilfe zurückzugeben.

Hier beweisen sich die neuen Mitbürger aus Kurdistan, aus Erithrea, aus dem Iran, aus dem Irak, aus Syrien und vielen anderen Ländern mittlerweile als sehr gut deutsch sprechend. Sie sind mit ihren Erfahrungen besonders wertvolle Ansprechpartner für die Flüchtlinge und auch für die „biodeutschen Helfer“. Da einige auch bereits Berufe in Deutschland erlernt haben, bringen sie natürlich diese Fertigkeiten kräftig mit ein – da bleibt kein Kopf ungeschoren und kein Bart ungestutzt.

Einen großen Unterschied stellt Mahmod aus Syrien – alter HT-Bewohner – fest: „Das mit den ukrainischen Namen ist komplizierter als bei uns damals. Wir hießen ja alle Mohammed!“

Schicksalsgemeinschaft

Alle gemeinsam lernen wir gerade, dass, so wie in Deutschland, auch in der Ukraine verschiedenste Ethnien zusammenleben, die das Schicksal der Flucht vor Bomben und Panzern teilen und bei uns im Haus Teiplaß nun zu einer Schicksalsgemeinschaft werden – jeder mag sich selber vorstellen, dass das nicht immer leicht ist – zumal die Wohnkabinen nach oben offen sind und die Trennwände aus besserer Pappe bestehen.

Es steht zu befürchten, dass wir uns erst in der frühen Anfangsphase der Flüchtlingsbewegung befinden – daher stellen sich alle darauf ein, wieder Monate und wahrscheinlich Jahre hier eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.

Übersetzerinnen

Die Sprachbarriere wird dabei exzellent durch die „Fachgruppe“ der Übersetzerinnen überwunden – mittlerweile sind es fünf Frauen aus Warstein, Belecke und Sichtigvor, die durch ihre eigene Lebensgeschichte Ukrainisch oder Russisch beherrschen und so zum Gelingen beitragen – eine mitunter kräftezehrende Arbeit. Übersetzt wird ja immer auch die Geschichte des Einzelnen im Krieg und auf der Flucht – das geht nicht spurlos an den Menschen vorbei, die dort sprachlich unterstützen.

Wie geht es weiter?

Wie geht es jetzt weiter? Also – alles in Ordnung, weil so viele helfen? Beileibe nicht – es gibt alltägliche Schwierigkeiten an allen Stellen – Infrastruktur geht kaputt, es gibt Ärger, weil Menschen nicht miteinander klarkommen, es fehlt an Perspektive und Frust kommt auf, die Flüchtlinge verhalten sich nicht so, wie man es erwartet hat... und und und. Trotzdem – kühlen Kopf bewahren und weitermachen.

Integration ist machbar

Bei aller Ernsthaftigkeit – ja Dramatik – darf aber auch der Humor nicht völlig untergehen; das Welcome-Café und gemeinsam organisierte Feste und Spiele helfen dabei.

Schon vor Jahren waren aus dem Haus Teiplaß beispielsweise neue Mitglieder in Sport-, Karnevals- und Schützenvereinen hervorgegangen. Integration ist machbar und macht auch Spaß – oder wie es ein pakistanischer Schützenbruder auf dem Mülheimer Schützenfest sagte, nachdem er es in der Kettenschmiede vor dem Amboss gelernt hatte: „Rotz und Schnötte – hoch die Pötte.“ Gestern noch Flüchtling – heute schon „Buiterling im Sauerland“. Doch liegt der Fokus erst einmal auf der akuten Nothilfe und Begleitung durch schwere Zeiten.

„Danke!“

Das letzte Wort an dieser Stelle haben die Geflüchteten Menschen selbst – in universeller Sprache haben es alle im HT bereits deutlich gegenüber Helfern, Spendern, Vermietern, Verwaltungsangestellten und „Deutschland“ im Ganzen zum Ausdruck gebracht: „Danke!“

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