1. Soester Anzeiger
  2. Lokales
  3. Warstein

Journalist Christoph Reuter berichtet in Warstein über Afghanistan- und Ukraine-Krieg

Erstellt:

Von: Alexander Lange

Kommentare

Im Europa-Gymnasium beantwortete Christoph Reuter die Schülerfragen.
Im Europa-Gymnasium beantwortete Christoph Reuter die Schülerfragen. © Lange, Alexander

Journalist Christoph Reuter ist in den Kriegsgebieten in Afghanistan und in der Ukraine unterwegs. Im Museum Haus Kupferhammer und im Europa-Gymnasium berichtete er von dem Erlebten.

Warstein – Zwei Jahrzehnte hat Afghanistan die Welt in Atem gehalten. Die Hoffnung auf Eindämmung des Terrors und Entwicklung des Landes zu einer Demokratie ist seit dem überstürzten Abzug des westlichen Militärs 2021 vorbei. Die Taliban haben alle Macht in der Hand und kontrollieren das gesamte Land. Und sie schotten es völlig ab. Ausländische Journalisten haben derzeit fast keine Möglichkeiten, ins Land zu kommen. Spiegel-Auslandskorrespondent Christoph Reuter hatte nach der Machtübernahme der Taliban die Gelegenheit, in einem viermonatigen Zeitfenster das gesamte Land zu bereisen, was viele Jahre lang wegen der unsicheren Lage nicht mehr möglich gewesen war. Über seine Erlebnisse und Eindrücke vom „Roadtrip Afghanistan“ hat er ein Buch mit dem Titel „Wir waren glücklich hier“ geschrieben, das er derzeit auf einer Lesereise vorstellt. Dass die Premiere ausgerechnet in Warstein stattfand (bevor große Städte wie Karlsruhe, Berlin, Leipzig, Erfurt oder Wilhelmshaven an der Reihe sind), hatte mit persönlichen Kontakten aber vor allem auch mit seiner positiven Erfahrung aus einer Lesung 2016 zu tun. „Der Saal ist voll, ich hatte diese Hoffnung“, sagte Reuter, nachdem Bernhard Enste ihn mit ebenso freundlichen wie launigen Worten begrüßt hatte und besonders herausstellte, dass der mehrfach preisgekrönte Gast im November 2022 mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis, einem der anerkanntesten Preise für authentische journalistische Arbeit ausgezeichnet worden ist.

Wie brisant die Lage für ihn wurde mit einem Visum, das noch die „alte Republik Afghanistan“ ausgestellt hatte, das schildert Reuter bereits im Vorwort seines Buches. „Eine Begegnung mit den Taliban bedeutet wahlweise Lebensgefahr oder Entführung“, schilderte er. Dabei seien die Taliban in den ersten Tagen der Machtergreifung freundlich gewesen, hätten geglaubt, die Journalisten dafür instrumentalisieren zu können, der Welt ein positives Bild von den Veränderungen im Land zu zeigen. Er schilderte Szenen, in denen junge Kämpfer ihn fragen, ob sie seine Taschen tragen dürfen. Doch mit Zunahme kritischer Berichte war dies bald vorbei. Reuter schildert Begegnungen mit brüllenden Turban-Geistlichen, Taliban mit gezückter Kalaschnikow und nervösen Kindersoldaten mit entsicherten Gewehren. Filme mussten gelöscht werden. Oder „Wir werden euch töten“ hieß die Alternative. Reuter: „Knapp drei Tage im Islamischen Emirat Afghanistan und wir hatten die Spannbreite des neuen Willkommens für Ausländer durchmessen, vom lächelnden Kofferträger bis knapp vor das Erschießungskommando.“

Fotos einer kleinen Demonstration auf den Straßen

Sehr kritisch sieht Reuter die Perspektive für Mädchen und Frauen – und zeigte Fotos einer kleinen Demonstration auf den Straßen und einer organisierten Gegen-Demo mit komplett verschleierten Frauen in einem Hörsaal. Seine Begeisterung für Land und Leute brachte der Spiegel-Reporter in seinen Fotos zum Ausdruck, die er per Beamer an die Leinwand warf und die im Mittelteil des Buches abgedruckt werden.

In Afghanistan haben die Taliban das Sagen. Christoph Reuter las aus seinem Buch und zeigte Fotos per Beamer. Paul Köhler dankte dem Spielgel-Journalisten herzlich.
In Afghanistan haben die Taliban das Sagen. Christoph Reuter las aus seinem Buch und zeigte Fotos per Beamer. Paul Köhler dankte dem Spielgel-Journalisten herzlich. © Großelohmann, Reinhold

Groß war das Interesse der Zuhörer am anschließenden Frageblock, in dem es einmal mehr um Frauenrechte und die Rolle des Westens ging. Ein Gast mit afghanischen Wurzeln verwies darauf, dass trotz des Machtgehabes der Taliban derzeit wenigstens keine Bomben mehr fielen und Anschläge passierten und damit etwas mehr Sicherheit herrsche. Reuter bemühte das Bild von einem Schlauchboot auf hoher See, bei dem ein Taliban den Stöpsel gezogen hat und nun voller Stolz hochhält. Das Land habe zu Dreiviertel am Tropf der westlichen Mächte gehangen, und wie es nun weiter geht, das sei völlig offen. „Afghanistan ist im Moment wie ein schwarzes Loch. Als ob es von der Landkarte verschwunden wäre.“

Am Montagabend im Haus Kupferhammer, am Dienstagmorgen im Forum des Europa-Gymnasiums: Die Fragen, denen sich Christoph Reuter dort stellte, stammten aus dem Sozialwissenschaftskurs von Lehrerin Heike Wolf. Einiges drehte sich um die Reportereinsätze in Afghanistan, vieles aber auch um die Einschätzung der Lage in der Ukraine und den persönlichen Werdegang Reuters. Als Kriegsreporter bezeichne sich der studierte Islamwissenschaftler dabei nicht, sagte er. Wie er trotzdem das Gesehene und Erlebte verarbeite? „Es nimmt mich weniger mit, ich bin vielleicht schmerzfreier“, sagte er. Solch eine Arbeit sei nichts für jedermann, dabei achte er auch auf die Konstellation seines Teams vor Ort, erklärte er den Schülerinnen und Schülern. Ebenso, wann er Schutzkleidung trage und wann nicht. Waffen trage er aber nie, das sei zu gefährlich, das provoziere Konflikte. Doch ein Familien- und Privatleben gebe es auch neben dem teils gefährlichen Berufsalltag: „Und es ist wichtig, dass man Menschen hat, die einem nah sind.“

Ukraine- und Afghanistan-Krieg nicht zu vergleichen

Ein Vergleich zwischen Afghanistan- und Ukraine-Krieg sei schwierig, die Kriege seien „ganz anders“. Die Ukraine habe eine gewählte Regierung, freie Medien, eine florierende Industrie, dann kam der Krieg. „Wenn die Russen sich aus der Ukraine zurückzögen, wäre dort wieder Ruhe.“ Das sei in Afghanistan anders. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges habe er auch niemals gerechnet, „das war ein absoluter Bruch“.

In Afghanistan haben die Taliban das Sagen. Christoph Reuter las aus seinem Buch und zeigte Fotos per Beamer. Paul Köhler dankte dem Spielgel-Journalisten herzlich.
In Afghanistan haben die Taliban das Sagen. Christoph Reuter las aus seinem Buch und zeigte Fotos per Beamer. Paul Köhler dankte dem Spielgel-Journalisten herzlich. © Reinhold Großelohmann

Wie man diesen Krieg lösen könne? Indem die Ukraine mit Waffen und Munition aus Europa unterstützt würde: „Dann merken die russischen Eliten, dass sie nicht gewinnen können. Und dann kann es ernsthafte Verhandlungen geben.“ Denn nach einem russischen Sieg sehe es nicht aus, so Reuter. Auch wenn Russland beziehungsweise in erster Linie Putin gedacht hätte, die Ukraine innerhalb von drei oder vier Tagen eingenommen zu haben.

„Soll die Ukraine Mitglied der EU werden?“ lautete eine weitere Frage des Sozialwissenschaftskurses. „Ja“, sagte Reuter, mit dem Zusatz, kein Experte für Europa-Recht zu sein: „Aber die Ukraine hat gezeigt, dass sie Teil von Europa ist.“ Warum in Europa am Bespiel „Ukrainer und Syrer“ so unterschiedlich mit Flüchtlingen umgegangen werde, war eine weitere Frage. „Das ist unfair, aber es ist die Gesellschaft“, sagte Reuter. Aus Syrien oder auch Afghanistan seien vor allem Männer gekommen, aus der Ukraine vor allem Frauen mit Kindern: „Eine andere Ausgangslage, andere Leute. Aber auch ich finde es schade, dass Leute so unterschiedlich behandelt werden.“

Im Europa-Gymnasium wurden Reuter Fragen zum Ukraine-Krieg gestellt.
Im Europa-Gymnasium wurden Reuter Fragen zum Ukraine-Krieg gestellt. © Lange, Alexander

Die Erfahrungen, die er als Kriegsreporter in der Ukraine gemacht habe, seien „unglaublich“. Auch unglaublich anders zu denen in Afghanistan. In der Ukraine könne man beispielsweise mit dem Auto an die Front fahren. Ob es in der Zeit, ob in Afghanistan oder auch der Ukraine, besondere Momente gegeben habe, lautete die Schlussfrage. „Nein“, intervenierte Reuter: „Nicht die Momente sind besonders, sondern die Rechercheergebnisse.“

Auch interessant

Kommentare