Die 31-Jährige hatte noch nie ihre eigenen Räume. In Hamburg hatte sie einen Arbeitsplatz in einem Gemeinschaftsatelier, das hier soll aber mehr sein: Hier will sie ihre Verlagsarbeit machen, Kurse geben für Erwachsene, aber auch für Kinder und Jugendliche, und sie will endlich wieder malen – für sich selbst, ganz ohne Auftrag.
„Kapazität ist ja das, was bei künstlerisch Tätigen untergeht“, erklärt Laura Hagemann. Geld, Zeit und Räumlichkeiten. „Sich diese Freiheit zu erarbeiten, ist bei der künstlerischen Arbeit die größte Herausforderung.“ Aber: „Das ist jetzt ein Rahmen, dass ich sage, das ist der Startschuss dafür, wieder frei malen zu können.“
Es soll aber auch der Startschuss sein für Begegnung, für Workshops, Netzwerken und dafür, Kultur für andere zugänglich zu machen. Im Rahmen ihrer Verlagsarbeit wurde Laura Hagemann schon öfter gebucht, um in Schulen und Institutionen Kurse zu geben und in Hamburg hat sie an einer privaten Kunstschule ebenfalls welche veranstaltet. „Kinder- und Jugendarbeit liegt mir sehr am Herzen“, betont sie. Eigene Räumlichkeiten zu haben war deshalb schon immer ihr langfristiger Wunsch, dass es so schnell klappt, kam aber überraschend und eher zufällig: „Ich habe die Vormieterin kennengelernt, die sich selbst vergrößert hat“, erzählt sie. Als die gehört hat, was Laura vor hat, meinte sie: Nimm doch einfach meinen Raum. „Da habe ich mir ein gutes Pflaster ausgesucht“, betont Hagemann. „Das Interesse hier ist super-groß.“
In Ostholstein ist sie ja auch nicht zufällig gelandet: Nach acht Jahren in Hamburg wollte sie raus aus der Großstadt und die Gegend dort mit der Seenplatte hat ihr wahnsinnig zugesagt. „Es ist ein wunderschönes Landschaftsgebiet.“ Die Mentalität hier passe, es bewegt sich viel und seitdem sie dort sichtbar ist, kommen total viele Menschen auf sie zu, sind offen und unterstützen sie, obwohl sie nicht einmal gefragt hat.
„Norddeutschland hat’s mir angetan“, sagt sie sowieso. „Und Hamburg ist meine Wahlheimat geworden.“ Hier hängt ganz viel Herz von Laura Hagemann, denn „hier habe ich mein Leben gefunden“. In ihrer Jugend in Belecke wurde sie nämlich eher belächelt, wenn sie gesagt hat, dass sie als Künstlerin arbeiten möchte. Den Beruf der Illustratorin kannte sie gar nicht und niemand in ihrem Umfeld hatte eine Idee. Erst wollte sie deshalb Kunst studieren an der Universität der Künste in Berlin. „Das ist die größte Nummer dafür“, erklärt sie. „Aber ich habe gemerkt, dass ich da überhaupt nicht hinpasse.“ Als sie das Illustrationsstudium an der HAW in Hamburg entdeckt hat, den einzigen eigenständigen Studiengang dafür an einer staatlichen Hochschule, war für sie klar: Das ist es. „Ich wollte genau dieses Studium. Da gab es keinen Plan B. Ich bin nach Hamburg gezogen, ohne dass ich wusste, ob ich angenommen werde.“ Das war im Herbst 2012, zum Sommersemester 2013 bekam sie den Platz. „Dieser Prozess hat mir hier eine Heimat gegeben, ich habe einen Beruf, eine Perspektive und Leute gefunden, die mir entsprechen, die auch eine Künstlermentalität und zu mir gepasst haben.“ Die Jahre waren turbulent, geprägt von Nebenjobs und dem Aufbau der Selbstständigkeit – und trotzdem wundervoll. Deshalb wollte sie auch in der Nähe bleiben, als es sie aufs Land zog. „Und jetzt fange ich an, hier mein Herz hinzuhängen.“ Schon damals, als sie noch nach Eutin pendelte und seit sie ihr Atelier hat, noch mehr. Hier versucht sie jetzt, die Tür ganz weit zu öffnen für Menschen und für Begegnung und ihr kleines Atelier mit Leben zu füllen.
Nächstes Jahr möchte sie zum Beispiel eine Stadtrallye für Kinder etablieren – und das möglichst inklusiv. Mit mindestens einem Platz, den sie kostenlos oder ganz günstig anbietet, damit Kinder dabei sein können, deren Eltern nicht über so viel Bildungs- oder finanzielles Kapital verfügen. „Das finde ich total wichtig“, betont sie. Deshalb würde sie das gerne noch viel mehr machen, „aber ich muss ja auch meinen Unterhalt verdienen“.
Sie weiß, wie es ist, wenig Geld zu haben: Ihr Studium hat sie selbst finanziert, teilweise mit drei Jobs gleichzeitig. Sie hat sich durchgeschlagen, um ihren Weg gehen zu können. „Das ist etwas, was mir heute noch nachhängt.“ Deshalb sucht sie auch immer nach Fördermitteln, um die Anzahl solcher Angebote auszubauen. „Idee, Leidenschaft und Motivation sind da, aber was den Künstlern fehlt, sind Geld und Sicherheit.“ Schließlich seien Kultur und Bildung das, was Menschen unbedingt brauchen. „Musik, gute Geschichten und kultureller Input trägt uns durch Sorgezeiten durch.“ Kinder- und Jugendarbeit sei extrem wichtig, schließlich ist das „der Grundstein dafür, wie unsere Gesellschaft mal aussieht. Jetzt schon ist die Zahl von Depressionen und Suizid von Kindern und Jugendlichen so viel höher geworden. Wenn wir die jetzt untergehen lassen, geht das später auch unter“.
Sie will das zurückgeben, was ihr als Kind und Jugendliche so sehr geholfen hat: „Ich hatte in der Grundschule in Belecke und später am Gymnasium in Rüthen eine Handvoll Lehrer, Lehrerinnen und Eltern von Freunden, die mich so dermaßen geprägt haben. Mit so kleinen Dingen, bis heute. Einfach ein: Du kannst das, mach das, du hast ein Talent. Das waren kleine Dinge, die für mich die Welt bedeutet haben.“ Das ist für sie bis heute, auch wenn sie nur noch selten hier ist, untrennbar mit Warstein verbunden. „Das ist gerade eine Phase, in der ich mich im positiven Sinne rückbesinne in diese Zeit“, erklärt sie. So oft denkt sie an Gudrun Sczesny und Christiane Wege, die ihre Grundschulzeit so positiv geprägt haben, und Britta Wiegand-Claes und Stephan Wiedemann, die sie auf dem Gymnasium unterstützt haben. „Frau Wiegand-Claes hat sich total eingesetzt, dass ich Kunst im Abi nehmen konnte und Herr Wiedemann hat Kunst und Gesellschaft unterrichtet, ein sehr besonderes Fach, das fand ich ganz toll. Und er hat mich sehr unterstützt, hatte ein Riesen-Interesse an der Arbeit, die ich mache, und hat mir nach der Schule am FSG einen Kellerraum für ein großes Projekt zur Verfügung gestellt. Für mich hat das ganz, ganz viel bedeutet.“ Es waren aber auch andere Lehrer, „die mir gezeigt haben, dass auch starke Meinungen erwünscht sind, die Persönlichkeit gefördert und eine starke Meinung sehr bestärkt haben“.
Zuspruch war für Laura Hagemann nämlich nicht selbstverständlich: „Ich wusste damals schon, dass ich mich auf was einlasse. Ich bin nie naiv gewesen, ich wusste schon: Das wird ein harter Weg. Das war schlimm für mich, dass das keiner gesehen hat.“ Mal war es Sorge, mal aber auch abschätzig. Und viele von denen haben heute, wenn sie sehen, dass sie es geschafft hat, eine romantisierende Haltung à la „Boah, das ist ja mega cool!“ Aber: „Es ist auch jeden Tag ein Kampf. Allein schon der persönliche Weg, der psychologische, ist jeden Tag ein Kampf.“ Deshalb ist ihr Plädoyer: „Macht das nicht nur, wenn’s klappt. Wertschätzt auch Wege und Persönlichkeiten, bevor man sieht, dass das klappt.“
Geklappt hat es bei ihr aber wirklich: Sie arbeitet recht viel mit dem Carlsen-Verlag zusammen, hat schon mit dem „künstlerisch sehr anspruchsvollen“ Nord-Süd-Verlag in Zürich zusammengearbeitet, einem Bilderbuchverlag, bei dem auch Lars, der kleine Eisbär und der Regenbogenfisch erschienen sind und der Ableger auch in New York bringt. Ein größeres Projekt erscheint demnächst im Fischer-Verlag und für Thienemann-Esslinger hat sie Michael Endes Buch „Der Lindwurm und der Schmetterling“ neu illustriert. Dabei hat sie mit ihrem Freund Flo, der unter dem Pseudonym Florian Fuchs publiziert und illustriert, zusammengearbeitet. Das haben die beiden schon mehrere Male getan, erzählt Laura Hagemann. Und: Nächstes Jahr würde sie gerne auch mal im Warsteiner Stadtgebiet ausstellen. „Wenn jemand Bock hat und ‘ne Idee oder einen Raum, würde ich nochmal zurückkehren. Das fänd ich cool.“