Es kommt aus Zeiten, an die sich Dr. Joachim Steinbrink noch sehr gut erinnern kann. 1976 ließ er sich in Soest mit einer Praxis nieder – heute, mit 78, ist er zwar seit 15 Jahren im Ruhestand und fand damals noch einen Nachfolger. Doch seit 1985 ist er der Vorsitzende der Bezirksstelle der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KZVWL) für den Kreis Soest. „Damals galt Zahnlosigkeit noch als Krankheit, Prothesen gehörten zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen. Das sorgte für einen ungeheuren Boom, für eine Hochzeit der Zahnmedizin, da hatte man so viel zu tun, dass mancher Patient lange auf seinen Zahnersatz warten musste. „Damals habe ich an das Labor in Münster Monatsrechnungen in einer Höhe ausgestellt, wie ich sie 30 Jahre später nur pro Jahr erreichte.“
Mit den Einnahmen von einst ließen sich heute die Ausgaben vielleicht noch kompensieren. Wer sich als Zahnarzt selbstständig macht, auch, wenn er eine Praxis übernimmt, hat lange an den hohen Investitionen abzustottern – und die Technik entwickelt sich ständig weiter. „Davor fürchten sich viele“, meint Steinbrink, „da lassen sie sich lieber anstellen“. Was natürlich zum Bumerang werden kann, wenn es irgendwann keine Arbeitgeber mehr gibt.
Die KZVWL beschwichtigt jedoch: „Allgemein nehmen wir in Westfalen-Lippe die Tendenz wahr, dass es regional durchaus mal eine abnehmende Anzahl von Praxen geben kann, die derzeit allerdings kompensiert wird durch mehr Behandler und Personal in den verbliebenen Praxen“, so Pressesprecherin Christine Dedeck. Sprich: Es arbeiten immer mehr Ärzte in immer weniger Praxen. Die hätten aber weniger zu tun als früher, was auf eine sich ständig verbessernde Mundgesundheit durch zahnärztliche Präventionsmaßnahmen zurückzuführen sei.
Was ebenfalls nicht nur viel Geld, sondern auch Zeit kostet, ist die Verwaltung – wer sich nur der Zahnheilkunde verschreiben will, wolle sich damit nicht herumplagen, „denn dieses ganze Drumherum mit Materialeinkauf und Tarifverträgen, das schreckt eher ab“, meint Steinbrink.
Es gibt Zwischenlösungen, aber die sind auch nicht optimal. Die Verwaltung an Subunternehmer auszulagern kann auch derbe ins Geld gehen. Oder man verkauft die Praxis an gewinnorientierte Großkonzerne und lagert so die Verwaltung aus – aber dann habe die Praxis vor Ort nicht einmal mehr Einfluss auf die Urlaubspläne. So bleibt doch nur, Gemeinschaftspraxen zu bilden. Oder hoffen, dass man zum Ruhestand für seine Patienten andere Praxen findet.
Steinbrink setzt darauf, dass die Interessenverbände der Zahnärzte ihren Kontakt zu den Ärzten aber auch den kommunalen Behörden in den intensivieren, um das Problem in den Griff zu bekommen. Genau daran arbeite man bei der KZVWL, betont Christine Dedeck: „Wir haben ein Modellprojekt initiiert, um frühzeitig mögliche negative Entwicklungen in der zahnärztlichen Versorgung zu antizipieren und gegebenenfalls gemeinsam entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Im Kreis Soest haben wir bereits erste Gespräche in Rüthen und Wickede geführt.“
Grund, Alarm zu schlagen, sehe sie nicht: „Der Kreis Soest verfügt derzeit über 114 Zahnarztpraxen und kieferorthopädische Praxen mit 208 zugelassenen Zahnärzten und Kieferorthopäden. Wir sehen anhand unserer Zahlen im Jahresvergleich, dass die Versorgung dort auf einem konstanten Niveau ist.
Der Altersdurchschnitt bei den Selbstständigen liegt bei 53 Jahren“, so Dedeck weiter. „Damit die Versorgung langfristig in ganz Westfalen-Lippe gesichert ist, hat die KZVWL ein ganzes Maßnahmenpaket speziell für junge Zahnärzte entwickelt, um dem entgegenzuwirken. So gibt es bei uns zum Beispiel ein Patenschaftsprogramm, in dem sich Neugründer bis zu drei Jahre lang von einem erfahrenen Paten begleiten lassen können. Wir regen an, das Praktikum in ländlichen oder strukturschwachen Regionen zu absolvieren und so die Arbeit dort kennenzulernen. Viele der Absolventen können sich anschließend eine Zukunft auf dem Land vorstellen.“
Von der Politik fordert die KZVWL „stabile Rahmenbedingungen, um die Niederlassungsbereitschaft zu erhöhen. Auch Praxen spüren den enormen Kostendruck durch Inflation, Energiekosten und Materialengpässe. Kostendämpfungsgesetze wie das aktuell geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sorgen für Unsicherheit. Während Personal- und Betriebskosten steigen, wird von der Bundesgesetzgebung eine Sparmaßnahme übergestülpt, die letztendlich zu Leistungskürzungen in der Versorgung, im speziellen zum Beispiel bei der Parodontitistherapie, führen wird.“