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Vergewaltigung in Soest: Warum war Abdelkader B. nach drei abgelehnten Asylanträgen noch hier?

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Von: Daniel Schröder

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Abdelkader B. wurde vom Landgericht Arnsberg zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Schon 2020 hätte er eigentlich in sein Heimatland abgeschoben werden müssen.
Abdelkader B. wurde vom Landgericht Arnsberg zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Schon 2020 hätte er eigentlich in sein Heimatland abgeschoben werden müssen. © schröder

Abdelkader B. sitzt im Gefängnis. Er hat in Soest eine Frau vergewaltigt, wurde dafür zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Doch warum kam der Algerier überhaupt nach Soest, wenn sein Asylantrag doch schon in Frankreich abgelehnt worden war?

Soest – Abdelkader B., 1993 geboren, wuchs in Algerien mit vier jüngeren Geschwistern auf. Zwölf Jahre lang habe er die Schule besucht, einen mit dem deutschen Abitur vergleichbaren Abschluss gemacht. Vier Jahre lang will er Humanmedizin studiert haben, ehe er seiner Heimat 2020 den Rücken kehrte, um in Europa Geld zu verdienen. Er reiste nach Frankreich. Französisch spielt in Algerien eine wichtige Rolle als Bildungs- und Handelssprache, das flächenmäßig größte Land Afrikas gilt als das Land mit den meisten französischsprechenden Menschen außerhalb Frankreichs.

Abdelkader B. stellte in Frankreich einen Antrag auf Asyl – ohne Erfolg. Er reiste in die Schweiz, auch dort wird unter anderem Französisch gesprochen. Doch auch im französischen Nachbarland hatte der Asylantrag keine Aussicht auf Erfolg und wurde abgelehnt. Über Frankreich ging es für B. schließlich nach Deutschland. Im Mai 2022 landete er in Dortmund (NRW). Vor dem Landgericht erinnerte er sich daran, von dort nach Bochum geschickt worden zu sein.

Nach Vergewaltigung in Soest: Warum musste er nicht sofort zurück?

Diese Schilderung kann Christoph Söbbeler als Sprecher der Bezirksregierung Arnsberg bestätigen: „Schutzsuchende in Deutschland werden zunächst in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Bochum (LEA) registriert und im Anschluss in einer Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) untergebracht, in denen es Außenstellen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gibt.“

Abdelkader B. wurde in der Erstaufnahmeeinrichtung in Unna-Massen untergebracht. Dort stellte er seinen Asylantrag. Söbbeler erklärt weiter: „Es folgt zwecks Unterbringung und Versorgung der Transfer in eine Zentralen Unterbringungseinrichtung (ZUE).“ Im Juni 2022 kam B. in die ZUE Soest. Vom Kreis Unna gab es irgendwann den abermals negativen Bescheid zum Asylantrag des Algeriers. Wann genau das war, kann Max Rolke als Sprecher des Kreises Unna „aus Datenschutzgründen“ nicht sagen. Fest steht: Eigentlich hätte B. schon 2020 nach seinem abgelehnten Asylantrag von den französischen Behörden nach Algerien abgeschoben werden müssen.

Nach Vergewaltigung in Soest: Drei abgelehnte Asylanträge

Doch warum wurde B. nicht umgehend nach der Ablehnung des dritten Asylantrages von den deutschen Behörden abgeschoben? „Grundsätzlich spielen vor der Aufenthaltsbeendigung einige Faktoren eine Rolle, auf die die durchführenden Behörden zum Teil keinen Einfluss haben. Dies sind zum Beispiel: Identität nicht geklärt, fehlende gültige Reisedokumente, fehlendes Einvernehmen der Justiz bei Straftätern, Reiseunfähigkeit aufgrund von Krankheit oder soziale oder familiäre Bindungen unter Beachtung von Artikel 6 des Grundgesetzes“, so Rolke.

Die Erstaufnahmeeinrichtung in Unna und die ZUE Soest sind Einrichtungen des Landes NRW, das von der Bezirksregierung Arnsberg vertreten wird. Aber: „Für Abschiebungen aus den Landesunterbringungseinrichtungen sind die Zentralen Ausländerbehörden zuständig, im vorliegenden Fall für die ZUE Soest die Zentrale Ausländerbehörde Unna“, erläutert Söbbeler.

Nach Vergewaltigung in Soest: Abschiebung stand schon zweimal an

„Auch abzuschiebende Personen werden zunächst untergebracht, sodass hierin kein Widerspruch liegt. Im vorliegenden Fall befand sich Herr B. seit dem 30. Oktober 2022 im Übrigen nicht mehr in der ZUE Soest, sondern bereits in Untersuchungshaft.“ An jenem 30. Oktober überwältigte der 30-Jährige eine Soesterin nach einer Kneipennacht und vergewaltigte sie auf offener Straße.

Während die Bezirksregierungen für die Aufnahmeeinrichtungen zuständig ist, die jeweiligen Landkreise sich allerdings um die Durchführung von Abschiebungen kümmern muss, wird die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines Asylantrages beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gefällt.

Nach Vergewaltigung in Soest: Keine konkrete Aussage

Auch das BAMF verweist auf „datenschutzrechtliche Gründe“, aus denen es zum Fall Abdelkader B. keine konkreten Aussagen treffen kann, ohne dass dieser das Bundesamt von der Schweigepflicht entbindet.

Doch BAMF-Sprecher Stefan von Borstel erklärt: „In der EU gilt das Prinzip, dass ein Asylantrag nur von einem Staat bearbeitet wird. Reist die betroffene Person nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einen sicheren Drittstaat weiter und stellt dort einen weiteren Antrag, gilt dies als unzulässiger Zweitantrag. Als sichere Drittstaaten bestimmt das Asylgesetz die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie Norwegen und die Schweiz.“ Heißt im Klartext: Abdelkader B. hätte gar nicht erst nach Deutschland kommen dürfen und hätte bereits aus Frankreich und – als das nicht geschehen ist – später aus der Schweiz abgeschoben werden müssen.

Nach Vergewaltigung in Soest: B. will zurück nach Algerien

Der BAMF-Sprecher erläutert: „Ein weiteres Asylverfahren kann nur dann durchgeführt werden, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Verfahrens zuständig ist und die entsprechenden Voraussetzungen, die sogenannten Wiederaufgreifensgründe, vorliegen. Hierzu zählen beispielsweise eine erhebliche Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland oder aber es liegen neue Beweise vor, die bei einer Rückkehr der betroffenen Person in ihr Herkunftsland zu ihrer Gefährdung führen könnten. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, erfolgt die weitere Bearbeitung wie bei einem Erstantrag.“

Diese Gründe haben bei Abdelkader B. nicht vorgelegen, denn: Im Zuge des Gerichtsverfahrens und der unausweichlich bevorstehenden Haftstrafe beteuerte er mehrfach, dass er sich ohnehin dazu entschlossen habe, „wieder nach Algerien zurückkehren“ zu wollen. „Weil mein Vater gestorben ist“, sagte er gegenüber Richter Petja Pagel.

Nach Vergewaltigung in Soest: BAMF hat keine Daten zur Fallzahl

Wie viele solcher Fälle es in der Bundesrepublik gibt, ist unklar: „Dem Bundesamt liegt keine valide Erhebung zur Anzahl der Personen vor, die in Deutschland Asyl beantragen und vorher bereits in einem anderen EU-Staat abgelehnt worden waren“, erklärt BAMF-Sprecher von Borstel. Klar ist: Nachdem der Vergewaltiger seine Strafe in Deutschland verbüßt hat, wird er wohl nach Algerien ausgewiesen. Der Soesterin, die am 30. Oktober 2022 zu seinem Opfer wurde, bringt das nichts mehr.

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