1. Soester Anzeiger
  2. Lokales
  3. Soest

Unfallverursacher kämpft mit dem Tod: Ein Rennen, das nur Verlierer hatte

Erstellt:

Von: Daniel Schröder

Kommentare

Christopher Beard mahnt, dass Rennen und Raserei auf öffentlichen Straßen nichts zu suchen haben.
Christopher Beard mahnt, dass Rennen und Raserei auf öffentlichen Straßen nichts zu suchen haben.  © Daniel Schröder

Ein Straßenrennen sorgt für einen schweren Verkehrsunfall mit vier Fahrzeugen. Christopher Beard ist mit dem ersten Einsatzfahrzeug vor Ort. Er ist an der Seite des 18-jährigen Unfallverursachers, der um sein Leben kämpft.

Kreis Soest – Christopher Beard ist als Notfallsanitäter oft einer der Ersten, der Unfallopfern an den Unglücksorten professionell helfen kann. Er ist seit sechs Jahren im Rettungsdienst tätig, wurde bei der Feuerwehr Lippstadt ausgebildet und arbeitet mittlerweile für den Rettungsdienst des Kreises Soest. Beim Präventions-Programm „Crash Kurs NRW“ erzählt er Schülern, welche Unfälle ihm besonders im Gedächtnis geblieben sind. Er will sie damit für die Gefahren sensibilisieren, die zu hohe Geschwindigkeit, Unaufmerksamkeit und Co. im Straßenverkehr verursachen. In einer fünfteiligen Serie erzählen wir die Geschichten der Einsatzkräfte. Ihre Erlebnisse sollen ungeschönt zeigen, welch schwerwiegende Folgen Leichtsinn auf der Straße nach sich ziehen kann. Teil 3.

Es ist der 11. März 2016, kurz vor 17 Uhr. Christopher Beard arbeitet seit kurzer Zeit beim Rettungsdienst, ist mit einem Arbeitskollegen im Krankentransportwagen unterwegs. Das Fahrzeug kommt hauptsächlich für Verlegungs- oder Entlassungs-Fahrten zum Einsatz. Nur in Ausnahmefällen rückt es zu Notfällen aus. Mental hat Beard sich schon auf den Feierabend eingestellt, als ein Funkruf der Rettungsleitstelle ihn aufhorchen lässt. Unweit von ihnen soll sich ein schwerer Verkehrsunfall zugetragen haben. Die Leitstelle schickt alle freien Kräfte – auch den Krankentransportwagen, in dem Christopher Beard sitzt.

Den Rettern ist sofort klar, dass hier hohe Geschwindigkeiten gewirkt haben müssen

„Wir waren auf einmal die ersten Einsatzkräfte vor Ort. Natürlich waren schon mehrere Ersthelfer da. Doch für uns Rettungskräfte ist es in gewisser Hinsicht etwas Besonderes, wenn man ersteintreffend ist.“ Die Situation ist unübersichtlich, vier Autos sind beteiligt, eines liegt auf dem Dach. Sofort ist den Rettern klar, dass hier hohe Geschwindigkeiten gewirkt haben müssen – und das innerorts.

Der Unfall hinterließ ein Bild der Verwüstung.
Der Unfall hinterließ ein Bild der Verwüstung. © Daniel Schröder

Die Retter geben eine schnelle Lagemeldung über Funk an die Leitstelle, versuchen, eine Spur von Ordnung ins Chaos zu bekommen. „In einer schwarzen Mercedes-A-Klasse saß eine Frau. Sie war in ihrem Auto eingeklemmt, offensichtlich war ihr Bein gebrochen. Doch sie hatte keine lebensbedrohlichen Verletzungen“, erinnert sich Beard.

So geht die Lage-Sichtung von Patient zu Patient. Beard und sein Kollege teilen sich auf, betreuen die beiden Schwerstverletzten. Es sind zwei junge Männer, einer von ihnen war in seinem überschlagenen Opel Corsa eingeklemmt. Ersthelfer haben ihn bereits aus dem Wrack gezogen, er liegt auf dem Gehweg. Christopher Beard eilt zu ihm, weicht nicht von seiner Seite. Verletzte werden nicht allein gelassen, wenn es denn möglich ist.

Die Erstversorgung gestaltet sich schwer, der Krankentransportwagen hat nicht alle nötigen Geräte an Bord, die in solch einer Situation gebraucht werden. Er ist eben kein Rettungswagen. „Wir waren mit unserem Latein schnell am Ende“, sagt Beard. Doch wenige Augenblicke später hören er und sein Kollege schon die Martinshörner der anderen Rettungskräfte. Rettungswagen, Notärzte, Feuerwehr und Polizei sind gleich da.

Unfallopfer spürt plötzlich „so ein komisches Gefühl“

Ein ganz bestimmter Moment lässt Christopher Beard nicht mehr los: „Als der junge Mann da so vor mir lag und wir uns unterhielten, sagte er plötzlich, dass er so ein komisches Gefühl in den Beinen habe, so ein Taubheitsgefühl. Als Einsatzkraft soll man nicht lügen. Ein solches Taubheitsgefühl ist ein schlechtes Zeichen, dafür braucht es kein Medizinstudium.“

Der 18-Jährige wird in ein künstliches Koma versetzt, ein Hubschrauber fliegt ihn in eine Spezialklinik nach Bielefeld. „Er hat diesen Unfall ganz knapp überlebt. Das hat mich überrascht. Es war alles andere als sicher, dass er es schafft.“ Christopher Beard erzählt, dass die Polizei durch ihre Ermittlungen herausfinden konnte, dass zwei junge Männer – unter ihnen der 18-jährige Corsa-Fahrer – sich ein Rennen geliefert hatten.

Der Notfallsanitäter sagt nachdenklich, aber voller Überzeugung: „Ich fahre selbst Motorrad. Rennen gehören auf Rennstrecken und nicht auf die Straße. Im Straßenverkehr sollte man stets überlegen, ob man sich gegenseitig stadteinwärts überholen sollte, ob sich das lohnt. Ich denke nicht.“

„Retter berichten“
Teil 1: Tödlicher Tritt aufs Gaspedal: Jessica und Thomas verloren durch einen Raser ihr Leben
Teil 2: Er flog an Menschengruppe vorbei: Junger Motorradfahrer überschreitet Grenze einmal zu oft

Die Serie

„Crash Kurs NRW“ ist eine Zusammenarbeit zwischen Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Notfallseelsorge, Verkehrsunfallopfern und deren Angehörigen. Ziel ist es, den jungen Teilnehmern zu verdeutlichen, welch hohe Gefahr im Straßenverkehr von Raserei, Alkohol und Drogen am Steuer, Leichtsinn, überhöhter Geschwindigkeit, fehlenden Gurten und Ablenkung durch das Handy am Steuer ausgeht. In fünf Serien-Teilen erzählen wir die Geschichten von Einsatzkräften und einer Unfall-Beteiligten.

Auch interessant

Kommentare