In Soest gehen immer weniger Katholiken zur Beichte

In Soest gehen nur noch wenige zur Beichte.
Soest – „Sünde“ kommt von „sondern“. Das Wort meint sich absondern, sich entfremden. Im Sinne der katholischen Kirche beschreibt es die Entfernung von Gott, aber auch von sich selbst.
Einst waren die Kirchen gerade vor Ostern voll von Sündern, also jenen, die sich entfernt haben. Und die einen Weg zurück suchten durch die Beichte. Seine Sünden zu gestehen, das war mal eine Pflicht für jeden guten Katholiken. Heute ist die Beichte aus der Mode gekommen, nur die wenigsten empfinden sie gar als eine Pflicht, nicht mal mehr als eine lästige.
„Die Beichte ist ein Sakrament, das viel seltener eingefordert wird“, bestätigt Propst Dietmar Röttger. Einmal in der Woche, immer samstags, bietet er noch eine Beichtgelegenheit. Der Ort dafür ist der Patrokli-Dom, aber längst schon nicht mehr der Beichtstuhl, den gibt es gar nicht mehr. Wenn es noch zum Beichtgespräch kommt, dann ist die Atmosphäre offen, Auge in Auge in aller Regel.
Doch es kommen nur noch wenige. Dieses eine Angebot am Samstagmorgen, es reiche aus für die Mitglieder der Soester Gemeinden, sagt Röttger. Ganz genau möchte er die Zahl dann doch nicht nennen. Jetzt, zu Ostern, sei sie noch ein bisschen größer, aber es wird deutlich: Viele kommen nicht. Der Kirchenmann bedauert das. „Die Beichte ist das Sakrament der Vergebung und der Versöhnung“, sagt er, „und damit passt sie zu Ostern, zur Auferstehung und zur Erinnerung daran, dass neues Leben beginnen kann.“ Mit der Beichte gehe etwas verloren, sagt Röttger, und das habe für die Kirche eine große Tragik, denn: „Versöhnung und Vergebung gehört zum Wesen Jesu. Diese Botschaft müssen wir bewahren.“
Vergeben, versöhnen, vergessen? Für viele Menschen ist das nicht so einfach, schon gar nicht das Vergessen. Und auch Vergebung und Versöhnung hätten menschliche Grenzen. „Zur Versöhnung braucht es zwei, egal, ob es ein Ehepaar oder zwei Staaten sind. Vergebung geht auch einseitig. Ich kann sogar posthum vergeben. Vergebung heißt, frei zu werden, damit das, was der andere mir angetan hat, nicht mehr mein Leben belastet.“ Beichten heiße, „ich halte es Gott hin, da hat es seinen Ort und damit lasse ich es für mich los“.
Dabei sieht er das Wesen der Beichte in den zurückliegenden Jahrhunderten und Jahrzehnten zu Recht „beargwöhnt“, wie er es nennt. Denn in der Vergangenheit hätten viele die befreiende Kraft der „Feier der Vergebung und Versöhnung“, die das Sakrament der Beichte sei, nicht erfahren können. Schuld daran war der Pflichtcharakter, einerseits. Andererseits aber auch die geradezu inquisitorische Nachfragepraxis manch eines Geistlichen, vor allem in Dingen der Sexualität. Das war peinlich, belastend. Röttger beschreibt es gar als „geistlichen Missbrauch“. Die Kirche habe so Macht über Menschen ausgeübt, „das muss man hinter sich lassen“. Schuld und Sünde, dann Buße: Kirche erschien in diesem Zusammenhang als strenge Instanz, als Bestrafer, vielleicht mehr denn als Vergeber.

Im guten Sinne sind – und waren – Beichtväter aber doch vielmehr geistliche Begleiter, „die man sich heute vielleicht als Personal Coach einkauft“. So betrachtet entspräche also die Beichte ganz dem Zeitgeist. Allerdings, meint Propst Dietmar Röttger, habe sich eben auch der gewandelt. Schuld habe heute eine ganz andere Bedeutung. „Wir ent-schuldigen uns andauernd.“ Alles nicht so schlimm, zu beichten lohnt es sich schon gar nicht, oder?
Was vielfach fehle, sei die Reflektion und damit verbunden auch das Eingestehen der eigenen Unvollkommenheit. „Wir leben in einer Welt der Perfektion. Welches Selfie von mir verschicke ich? Doch immer das, auf dem ich möglichst perfekt erscheine, meist noch mit einem entsprechenden Filter versehen. Wage ich noch selbst den Blick auf meine Wirklichkeit?“ Wer sich auf eine Beichte vorbereitet, tut doch idealerweise genau das.
Schuld hat aber auch ganz unterschiedliche Dimensionen. Da ist der Streit mit den Geschwistern, den das Kommunionkind beichtet – die Erstbeichte ist übrigens noch immer fester Bestandteil der Kommunionvorbereitung. Die Beichte könnte aber auch viel Schlimmeres hervorbringen. Immer ist der Priester verpflichtet, über das zu schweigen, was er hört. Er dürfte nicht die Polizei informieren, nicht das Jugendamt oder die betrogene Ehefrau. Ist das nicht wahnsinnig viel Verantwortung? „Das kommt nicht so häufig vor, wie man es sich vielleicht vorstellt“, sagt Dietmar Röttger. Er könne aus seiner 30-jährigen Erfahrung im Beichtstuhl sagen, dass ihm nie etwas zu Ohren kam, was den Charakter eines Geständnisses hatte. In Australien habe es den Versuch gegeben, das Beichtgeheimnis per Gesetz aufzuheben. „Das darf nicht sein“, sagt der Propst, „die Beichte muss einen Raum schaffen, wo Dinge geschützt ausgesprochen werden.“
Das auch regelmäßig zu tun, das habe doch etwas für sich gehabt, meint Dietmar Röttger. Rituale seien schließlich auch dazu da, regelmäßig an wichtige Dinge zu erinnern. Er ganz persönlich jedenfalls halte daran fest, auch an der Beichte. Und das ganz ohne sich verpflichtet zu fühlen.