„Wir stoßen an unsere Grenzen“, sagt Dr. Sabine Sander von der Kleintierpraxis in Soest. Eine offizielle Notdienst-Regelung für den Kreis gebe es gar nicht mehr. Stattdessen teilen sich die Soester Kleintierpraxis, die Tierarztpraxis Ense, die Tierärztliche Gemeinschaftspraxis in Möhnesee und die Praxis von Dr. Ulrike Kühn in Soest die Notdienst-Zeiten auf. Behandelt werden dabei vor allem die Patienten der vier Praxen, hin und wieder werde aber auch mal ein Tierhalter einer anderen Praxis behandelt.
Dr. Franz Lappe ist Fachtierarzt für Schweine und Leiter der Kreisstelle Soest der Tierärztekammer Westfalen-Lippe. Er hat im Anzeiger-Gespräch erklärt, wie sich die Situation derzeit darstellt: „Der tierärztliche Notdienst umfasst sowohl die Versorgung der Nutztiere als auch der Hobbytiere. Zu der letzteren Gruppe zählen Pferde und Kleintiere. Bezogen auf die Nutztiere wird die Notversorgung meist durch die einzelnen, in der Regel darauf spezialisierten, Praxen an 365 Tagen rund um die Uhr gewährleistet. Aufgrund ihrer fachlichen Qualifikation erkennen Landwirte schnell, ob es ein Notfall ist, zu dem umgehend der Tierarzt erscheinen muss. Bei den Hobbytieren besteht seitens der Tierhalter dieses Wissen oft nicht, weshalb der Tierarzt häufig auch wegen Bagatellen im Notdienst gerufen wird. Tierärzte, die den Hobbytierbereich versorgen, werden daher im Notdienst viel häufiger kontaktiert als der Nutztierpraktiker. Im Kreis Soest vertreten sich einzelne Kleintierpraxen gegenseitig im Notdienst und ermöglichen zumindest eine Grundversorgung rund um die Uhr über das gesamte Jahr.“
Das Problem: Nicht alle praktizierenden Tierarztpraxen leisten Notdienste. „NRW ist das einzige Bundesland, in dem es keine zwingende Verpflichtung gibt, am Notdienst mitzuwirken“, erklärt Sabine Sander. Alle übrigen 15 – von insgesamt 17 – Landestierärztekammern – haben gesetzlich verankert, dass Tierärzte nachts sowie an Feiertagen und Wochenenden einen Notdienst sicherstellen müssen.
„Als Kreisstellenleiter würde ich mir wünschen, dass sich alle Tierarztpraxen am Notdienst beteiligen. Es wäre schön, wenn jeder Kollege einen Beitrag in einem ihm möglichen Umfang leisten würde“, appelliert Franz Lappe. Die Anzahl der Praxen im Kreisgebiet sei dafür ausreichend. Allerdings versteht auch Lappe, warum sich viele Praxen gegen einen Notdienst wehren. Einerseits muss angestellten Tierärzten ein Zeitausgleich gewehrt werden, sodass diese Kräfte in der regulären Arbeitszeit mit höherem Arbeitsaufkommen fehlen. Andererseits könne ein Notdienst auch „wirtschaftlich ein Desaster“ für eine Praxis werden, wenn kaum Patienten kommen – trotz der höheren Notdienstgebühren.
Tierärztin Ulrike Kühn kennt die Probleme aus dem Notdienst genau. Sie betreibt ihre Praxis alleine, leistet trotzdem Extraschichten. „Wir tun, was wir können“, sagt sie. Mit Besorgnis betrachtet Kühn die Entwicklung, dass immer mehr Kliniken ihren Status aufgeben: zum 1. August auch die Tierklinik in Ahlen. „Ein Grund für diesen Rückgang dürfte sein, dass die tierärztlichen Kliniken für Kleintiere verpflichtet sind, ständig dienstbereit und besetzt zu sein. Es wird jedoch zunehmend schwieriger, das notwendige Personal für die Abdeckung der Notdienstzeiten zu finden“, sagt Dr. Mechthild Lütke Kleimann, Hauptgeschäftsführerin der Tierärztekammer Westfalen-Lippe.
Da Kühn und ihre Mitstreiterinnen im Notdienst alleine tätig sind, können schwierige Eingriffe gar nicht durchgeführt werden. „Dann müssen wir unsere Patienten an die Kliniken verweisen und jetzt sind die nächsten in Recklinghausen und Bielefeld“, sagt Kühn.
Und wie beim Menschen gibt es auch bei Tieren Notfälle, in denen jede Minute zählt. „Eine Fahrzeit von mehr als einer Stunde kann in einem wirklichen Notfall, zum Beispiel einer Blutung oder Magendrehung, kritisch sein“, sagt Franz Lappe.
„Es muss das Ziel sein, die etwa 95 Prozent ,Notfälle‘, die keinen Klinikbesuch erfordern, in den Praxen vor Ort herauszufiltern und zu versorgen. Die Kliniken werden sonst unter der hohen Arbeitslast zusammenbrechen und aus Verzweiflung ihren Klinikstatus aufgeben und nicht mehr 24 Stunden am Tag bereit sein.“
Da die wirtschaftlichen und gesetzlichen Hürden hoch seien, stelle eine Notdienstpflicht alleine keine Lösung dar. Vielmehr müsse der Beruf des Tiermediziners wieder attraktiver werden. Mit der neuen Tierarztgebührenordnung (siehe Kasten) ist die Bundesregierung dabei bereits einen ersten Schritt gegangen.
Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) hat eine neue Tierarztgebührenordnung beschlossen. Diese tritt im Oktober in Kraft – seit 1999 ist es die erste Neuauflage. Die zurzeit erhobenen Preise führen zu einer schlechten Bezahlung und machen den Job unattraktiv, so die Meinung vieler Tierärzte. Die neue Gebührenordnung bedeutet für die Veterinärmediziner mehr Geld – und für Tierhalter und Landwirte höhere Ausgaben. So hatte sich der Deutsche Bauernverband (DBV) gegen die Gebührenerhöhung ausgesprochen. Als Grund führte der DBV die „aktuellen Kostenexplosionen in der Landwirtschaft“ an. Nichtsdestotrotz wurde die Erhöhung mehrheitlich beschlossen. So kostet künftig eine allgemeine Untersuchung mit Beratung bei Hunden beispielsweise rund 10 Euro mehr, bei Katzen sogar 12 Euro und bei Schweinen und Rindern rund 8 Euro. Tierschützer fürchten, dass das Wohl der Tiere unter der Neuerung leiden könnte.