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Soester Rat ruft Klimanotstand nicht aus

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Von: Jürgen Vogt

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So hoch wie die Arme der Demonstranten wünschten eben die sich die Priorität für den Klimaschutz der Stadt. 150 Menschen hatten sich auf den Weg gemacht, um die Lokalpolitiker in den Ratssaal zu begleiten. © dahm

Soest - Der Soester Stadtrat hat den Klimanotstand für die Stadt nicht ausgerufen. Nach einer intensiven und mehrstündigen Debatte votierten die Lokalpolitiker in einer geheimen Abstimmung knapp für einen gemeinsamen Vorschlag von CDU, FDP, BG und Junges Soest. Darin ist von einem „Klimapakt für Soest“ die Rede.

So etwas hat es im altehrwürdige Ratssaal der Stadt noch nicht gegeben: 150 Demonstranten geleiteten die Ratsmitglieder mit Forderungen nach einer „höchsten Priorität“ beim Klimaschutz in den Saal, schenkten den Lokalpolitikern kleine Bäumchen und verschafften sich laut skandierend sogar während der Sitzung Gehör.

Auch das heizte die Debatte um die Ausrufung des Klimanotstandes und die damit verbundenen Maßnahmen kräftig an: Gut zweieinhalb Stunden lang flogen Argumente für und gegen eine neue Ausrichtung in Sachen Klima durch den Saal, ehe über gleich fünf Anträge abgestimmt wurde: auf Antrag der Grünen geheim. Und als am Ende ein Gemeinschaftsantrag von CDU, FDP, BG und Junges Soest mit 24 gegen 22 Stimmen bei drei Enthaltungen den Zuschlag bekam, verließen die Grünen aus Protest den Saal.

Es war eine fastsdicke Überraschung, dass der Rat den Klimanotstand für die Stadt nun doch nicht offiziell ausruft. Denn nach der Sitzung des Umwelt-Ausschusses am letzten Donnerstag galt das eigentlich als ausgemacht. Insbesondere die CDU will in Soest nicht alles dem Klimaschutz unterordnen. Fraktionsvorsitzender Rolf Meiberg räumte ein, dass die Entwicklung des Klimas global eine Katastrophe sei. „Aber was ist hier in Soest“, fragt er. Man wolle in seiner Fraktion nicht den Klimanotstand ausrufen und dann alle künftige Maßnahmen dem Klimaschutz „mit höchster Priorität“ unterordnen. „Wir müssen hier im Rat doch handlungsfähig bleiben“, mahnt er mit Blick auf neue Baugebiete oder die Kirmes. Dann rief er auf zu einem gemeinsamen Bündnis mit konkreten Maßnahmen. Sandra Wulf (SPD) hielt dagegen, zählte Ereignisse wie die Überflutungen im letzten Jahr in Soest auf, an denen man sehen könne, dass auch Soest ganz konkret von der „Klima-Katastrophe“ betroffen sei. Winfried Hagenkötter (Linke) sprach sich ebenfalls für die Ausrufung des Klimanotstandes aus, seine Fraktion wolle sämtlichen Anträgen zustimmen, die in diese Richtung gehen. Anne Richter (Grüne) kommentierte Rolf Meiberg, sagte: „Der Klimawandel ist hier in Soest angekommen, auch wenn Herr Meiberg das leugnen will.“ Man müsse dem Klima die „höchste Priorität“ einräumen. „Wer das nicht einsieht, der ist auf dem Holzweg.

„Maßlos enttäuscht“ zeigte sich Walter Raubaum (SO-Partei), weil er sich nicht habe vorstellen können, dass der Klimanotstand nun doch nicht ausgerufen werde. Von einem „Rückschritt in die Steinzeit“ sprach Benno Wollny (SPD), weil der neue Gemeinschafts-Antrag „total weichgespült“ sei und noch weit hinter die Verwaltungs-Vorlage zurückgehe. Willi Fischer (SO) stellte fest, dass mit der Diskussion „der Rat faktisch gespalten wird“,und forderte die CDU auf, noch einmal ihre Haltung zu überdenken.

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Ein Bäumchen für den Bürgermeister: Eckhard Ruthemeyer griff beherzt zu – und lobte das Bürger-Engagement.

Bürgermeister Eckhard Ruthemeyer mahnte angesichts der unterschiedlichen Standpunkte einen Kompromiss an, „damit wir nicht so sind wie das britische Parlament, wo am Ende alle Anträge abgelehnt werden und wir mit leeren Händen dastehen.“ Leere Hände gab es nicht. Im nun gültigen Beschluss heißt es: „Klimaschutz besitzt (...) in der städtischen Politik einen hohen Stellenwert und ist – wenn möglich – bei Entscheidungen zu berücksichtigen.“ Zudem werden „schrittweise wirksame Erweiterungen“ des bestehenden Klimakonzepts festgeschrieben.

KOMMENTAR VON JÜRGEN VOGTScherben, Scherben und ein kleines Bäumchen

Scherben, nichts als Scherben: Sangen noch vor wenigen Tagen sämtliche Parteien das schöne Lied von der Gemeinsamkeit im Kampf gegen die Klima-Krise, geht nun ein tiefer Riss durch den Stadtrat. Die einen fordern eine Ausrichtung hin zum Klimaschutz mit „höchster Priorität“, die anderen wollen das Wort „Notstand“ nicht in den Mund nehmen und das Thema lieber einreihen neben andere Faktoren wie Soziales und Wirtschaft. Damit liegt auch das Vertrauen vieler Bürger in die Politik in Scherben. Anna-Maria Schuermann forderte in ihrem Redebeitrag zum Bürgerantrag, den Klimaschutz künftig automatisch vorrangig mitzudenken, „weil wir an einem Punkt sind, an dem wir um unsere Existenz fürchten müssen.“ Die Zeit ist knapp. Und wer lieber mit dem Finger auf andere zeigt, macht es sich zu leicht. Denn nur wenn es gelingt, in Soest und dann überall im Land und auf dem Planeten schnell ein neues Bewusstsein zu schaffen, kann die Wende noch gelingen. Die Soester Klima-Aktivisten verschenkten kleine Bäumchen an die Entscheidungsträger. Daran hängt ein Zettel mit der Aufschrift: „Das Ausrufen des Klimanotstandes ist erst der Anfang – ein kleines Pflänzchen, das wir mit Mut, Rat und Tat zu einem kraftvollen Baum heranziehen müssen.“ Soest hat noch nicht mal dieses Pflänzchen in die Erde gebracht. Das ist traurig. Nun braucht es starke Visionen: Wie schön wäre es, wenn wir unseren Enkeln im Jahr 2050 erzählen könnten, dass es trotz der Scherben im Jahr 2019 doch noch gelang, ein Bündnis zu schmieden. Oder um im Bild des Baumes zu bleiben: Wie schön wäre es, wenn wir im Schatten des Baumes zurückblicken könnten auf eine Zeit, in der alle erwachten, aufstanden und alte Überzeugungen wie Unkraut herausrissen – auf das ein neuer Baum blühen möge. Selbst die, von denen es kaum einer geglaubt hätte.

Dieser Antrag wurde angenommen:Gemeinsamer Änderungsantrag der Fraktionen CDU, BG und FDP zum Beschlussvorschlag des Tagesordnungspunktes 3 - 'Anregungen und Beschwerden gem. § 24 GO NRW - Klimapakt für Soest / Globaler Klimanotstand' - der Sitzung des Rates der Stadt Soest am 10.07.2019Beschlussvorschlag:
1. Der Rat der Stadt Soest stellt fest, dass der globale, durch Menschen verursachte Klimawandel verstärkt auch die Stadt Soest betrifft. Die langjährige, erfolgreiche städtische Klimapolitik muss deshalb fortgesetzt und weiter entwickelt werden. Klimaschutz besitzt damit auch weiterhin in der städtischen Politik einen hohen Stellenwert und ist – wenn möglich – bei Entscheidungen zu berücksichtigen.
2. Der Rat der Stadt Soest unterstützt ausdrücklich das Engagement der Bürgerinnen und Bürger aller Generationen, die sich in Stadt und Region für den Klimaschutz einsetzen und lädt sie zum Dialog ein, um am verantwortungsbewussten Arbeiten im Zusammenhang des Klimaschutzes in und für Soest und am Klimapakt teilzuhaben.
3. Der Rat beauftragt die Verwaltung regelmäßig – mindestens alle 12 Monate und soweit die erforderliche Datenbasis verfügbar ist – über die Auswirkungen und Folgen der CO2- Emissionen sowie die Maßnahmen zur Verringerung der Treibhausgasemissionen in Soest zu berichten. Der Rat beschließt schrittweise wirksame Erweiterungen des bestehenden Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepts wie in der Verwaltungsvorlage aufgeführt.
4. Der Rat der Stadt Soest fordert die Bundesregierung und die Landesregierung in einer Resolution (siehe Anlage zur Verwaltungsvorlage) auf, ihre Anstrengungen in allen Sektoren deutlich stärker am Klimaschutz zu orientieren, um der globalen Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden.

Stellungname von Bündnis 90/Die Grünen zum Klimanotstand 

Ein schwarzer Tag für Soest

Eine historische Chance ist vertan! Nach langem Ringen und zahlreichen Abstimmungen über verschiedene Anträge hätte es voraussichtlich eine klare Mehrheit im Rat für einen Kompromissantrag geben können! Die Vorlage der Verwaltung war gestern in einer eigens dafür unterbrochenen Ratssitzung und einer Beratung aller Fraktionsvorsitzenden mit dem Bürgermeister noch mit einer Änderung versehen worden, um allen Ratsmitgliedern die Möglichkeit der Zustimmung zu geben!

Doch dazu kam es nicht! Eine knappe Mehrheit (2 Stimmen) aus CDU, FDP und BG erreicht, dass kein Klimanotstand in Soest ausgerufen wird. Eine knappe Mehrheit, die so gerade die Hälfte der Stimmen darstellt!Hat diese Politikverbindung aus CDU, BG und FDP nicht wahrgenommen, dass Bürgerinitiativen auf die Straße gehen, dass sie eine Botschaft haben? Bürgerinnen und Bürger jeder Altersklasse demonstrieren seit Monaten für mehr Klimaschutz! Die Europawahlen haben gezeigt, die Klimakatastrophe bewegt die Menschen im gesamten Land.Die Bundesregierung und die EU schaffen es nicht, sich auf eine konsequente Klimapolitik zu verständigen – und jetzt zeigt sich in Soest, dass das auf kommunaler Ebene auch nicht zu erreichen ist. Spaltet das Thema Umwelt/Klima auch nach Jahrzehnten immer noch die Gesellschaft?Nein sagen wir! Und wir werden zusammen mit den Bürgerinnen und Bürger gegen die dramatische Klimakrise auf die Straße gehen, denn alle haben verstanden, dass die Klimakrise nicht mehr geleugnet werden kann.CDU, FDP und BG haben es verpasst, der Kompromissbereitschaft der Befürworter eines strengen Klimaschutzes die Hand zu reichen. Die CDU verweigerte sich in der Sitzungsunterbrechung einem möglichen Kompromiss gegenüber gänzlich – keine Gesprächsbereitschaft! Ist das Demonstration der Macht von Mehrheitsverhältnissen, die entstanden sind, weil einerseits ein SPD´ler die Seiten zur CDU wechselte und sein Mandat mitnahm und andererseits das Junge Soest nach dem Abschied von Herrn Hove unter das Dach der BG geschlüpft ist? Was ist von einem Dialogangebot der CDU zu halten, wenn sie gleichzeitig erklärt, dass der Klimaschutz mitnichten die höchste Priorität hat. Unter solchen Voraussetzungen kann ein Dialog nicht stattfinden, werden die Bürgerinnen und Bürger nicht ernst genommen! Wir Grünen haben für diese Verweigerungshaltung von CDU, BG und FDP kein Verständnis. Ob die Bürger und Bürgerinnen dies verstehen? Sicher nicht! Ob die Bürger und Bürgerinnen dies zukünftig honorieren – wir hoffen nicht!Um eine Klimakatastrophe abzuwenden muss schnell gehandelt werde – überall – lokal und überregional. Wir leben auch in Soest nicht auf einer Insel. Und die Hitzephasen, die heftigen Stürme, die fehlenden Niederschläge und die Starkregenereignisse und der leere Möhnesee sprechen eine andere Sprache – wollen wir warten, bis sich nichts mehr ändern lässt??Das Ergebnis der Abstimmung zum Klimanotstand veranlasste die grüne Fraktion aus Protest gegen diese Entscheidung den Ratssaal zu verlassen, um zu demonstrieren, wie wichtig uns der Klimaschutz ist. Wir solidarisieren uns mit den Bürgerinitiativen, mit Fridays for future, parents for future, scientists for future usw. Auch wir sind Teil dieser Bewegung. Dafür wollten wir ein Zeichen setzen. Zudem waren wir nach den zahlreichen Gesprächen der vergangenen Tage und nach dem stetigen Werben für eine klare unterstützende Mehrheit im Rat, das uns viel abgefordert hat, auch mit einem Schuss Enttäuschung und Frustration versehen. Aus Grüner Sicht ist es wichtig: Der Klimanotstand ist noch lange nicht von der Tagesordnung. Die Bürgerinitiative wird nicht aufhören – und wir auch nicht! Anne Richter, FraktionvorsitzendeJutta Maybaum, Karin Liedmann, Susanne Dankwartals Mitglieder der Ratsfraktion

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