Soester Experte berät Firmen, wie sie den Brexit meistern können

Bis zum 31. Dezember 2020 dauerte die Übergangsphase, die die langfristigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der EU nach dem bereits Anfang 2020 erfolgten Austritts des Landes aus der EU regelte. Damit ist Großbritannien auch nicht mehr Teil des europäischen Binnenmarktes, was unter anderem weitreichende Folgen für den Handel hat.
Kreis Soest – Marcus Hellmann hat als Senior-Berater am Soester Standort des international operierenden Zollabfertigungs-Dienstleisters KGH bei den Vorbereitungen auf den Brexit unterstützt. Wie es jetzt nach dem Vertragsabschluss mit der Umsetzung bei den Kunden klappt, darüber sprach er mit Achim Kienbaum.

Hand aufs Herz: Haben Sie die fast 1500 Seiten des Vertrages zwischen der EU und Großbritannien, die die Details des Austritts regeln, alle gelesen?
Bisher habe ich nur Auszüge daraus gelesen, die für die Beratung von Kunden relevant sind. Die haben natürlich konkrete Fragen und erwarten Antworten von mir. Dabei ist aber zu beachten, dass es sich bislang nur um einen vorläufigen Vertrag handelt.
Bis zum Vertragsabschluss in allerletzter Sekunde war unklar, was der Brexit für Bürger und Unternehmen bedeuten würde. Das machte natürlich auch die Beratung von Firmen in Fragen von Ein- und Ausfuhr schwierig bis unmöglich. Und jetzt?
Na ja, eine Beratung war schon möglich. Unsere Empfehlung an die Kunden war immer, dass sie vom Schlimmsten ausgehen und auf das Beste hoffen sollten. Wer sich auf den Brexit vorbereitet hat, der ist jetzt im Vorteil. Aber wer den Kopf schlicht in den Sand gesteckt und gehofft hat, dass sich gar nichts ändern würde, der hat jetzt ein Problem. Es war immer klar, dass sich diese Hoffnung nicht erfüllen würde, weil das bedeutet hätte, dass Großbritannien in der EU geblieben wäre. Die Briten haben aber nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie austreten würden. Viele Unternehmen haben das einfach ignoriert.
Was hat sich für Sie und Ihre Mitarbeiter seit dem Brexit geändert?
Wir haben nicht mehr Kunden als vorher, aber der Unterstützungsbedarf bei ganz konkreten Fragen und bei den Zollformalitäten für die Kunden, die wir schon länger betreuen, der hat deutlich zugenommen.
Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Eine Firma, die schon seit vielen Jahren Waren nach Großbritannien schickt und dort auch eine eigene Niederlassung hat, ist plötzlich erstaunt, dass ihre Waren dort teurer geworden sind, weil sie dafür Zollgebühren entrichten müssen. Dass das bei einem Brexit auf sie zukommen könnte, wurde ihnen zwar seit fünf Jahren mindestens 100 Mal erklärt, aber niemand hat zugehört oder wollte zuhören. Viele Briten haben sich da etwas vorgemacht nach dem Motto: Macht was Ihr wollt, Hauptsache alles bleibt, wie es ist. Aber das geht halt nicht.
Welche Probleme sind derzeit die drängendsten für Ihre Kunden im Umgang mit Geschäftspartnern auf der Insel?
Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass das Abkommen vorerst nur bis zum 28. Februar gilt. Niemand weiß mit Sicherheit, ob es so bleibt, wie es ist oder ob es noch Änderungen in einigen Teilen geben wird. Bevor das nicht klar ist, macht es auch keinen Sinn, die kompletten 1500 Seiten durchzuackern. Nach dem 28. Februar wird es voraussichtlich keine Vertragsversion geben, in der mögliche Änderungen kenntlich gemacht werden. Sie können sich vorstellen wie mühsam es wäre herauszufinden, was sich geändert hat im Vergleich zum jetzigen Text und was nicht.
Viele Fragen von Kunden drehen sich um Details der Zollabwicklung. Großbritannien ist jetzt ein Drittland, für das wie für jedes andere auch gilt, dass bei der Ein- oder Ausfuhr von Waren Zollformalitäten erledigt werden müssen.
Das ist vergleichbar mit der Schweiz, für die das ja schon lange gilt. Da hat sich das relativ gut eingespielt, leider auch einschließlich von Lkw-Staus an den Grenzen zu Stoßzeiten und ähnlichen unerfreulichen Begleiterscheinungen. Für Großbritannien ist das neu, war aber natürlich zu erwarten gewesen.
Üblicherweise gilt: Wo Verlierer sind, gibt es auch Gewinner. Wer sind die Brexit-Gewinner?
Gewinner sind sicher die Personen und Firmen, die Zollanmeldungen durchführen. Also Unternehmen wie das, für das ich arbeite. Sehr viele Firmen, gerade auch auf der Insel, haben keine Übung darin, wie man Zollanmeldungen durchführt. Dann brauchen sei einen Zollagenten, der das für sie erledigt. Bei KGH haben wir eine Sparte, die genau diese Dienstleistungen anbietet.
Und die sich vor Aufträgen kaum retten kann?
Diese Sparte ist tatsächlich enorm gewachsen in den vergangenen Monaten. Die Kollegen dort arbeiten mehr oder weniger rund um die Uhr. Und das gilt für die gesamte Branche. Alle suchen händeringend Zollagenten, aber der Markt für diese Fachkräfte ist leer gefegt.
Sie selber sind ein großer Fan der britischen Lebensart. Hat sich für Sie persönlich etwas an der Wertschätzung für die Briten und ihre Kultur geändert?
Nein überhaupt nicht. Ich mag das Land und die Briten nach wie vor sehr. Ein paar Verrückte gibt es überall, das ist hier in Deutschland ja nicht anders. Und das Themen eine Gesellschaft spalten können, kennen wir auch ganz gut. Großbritannien ist tief gespalten was den Brexit und seine Folgen angeht, und leider wird es lange dauern, bis dieser Bruch in der gesamten Kultur des Landes überwunden sein wird.
Ich persönlich werde erst einmal nicht mehr auf die Insel reisen, ganz unabhängig von Corona, weil ich einfach keine Lust habe, stundenlang an Grenzen zu stehen und mich mit diesem ganzen Unsinn beschäftigen zu müssen. Aber das wird besser werden, und dann ist die Insel wieder mein bevorzugtes Reiseziel.