Rassismus in der Eurobahn: „Ich bin seit vielen Jahren in diesem Land, das macht mich sprachlos“

Wegen eines tätlichen Angriffs auf Polizisten und Beleidigung musste sich eine 50-Jährige am Dienstag vor dem Soester Amtsgericht verantworten. Warum sie in der Eurobahn erst rassistisch und dann gewalttätig geworden war, konnte die Lippstädterin sich selbst nicht erklären.
Soest – Alles begann am 9. Oktober 2022 mit einem feuchtfröhlichen Abend in Hamm. Endlich hatte die 50-Jährige mit der für sie so belastenden Coronazeit abgeschlossen. Mit ihrem Mann und vier Freunden wurde im türkischen Restaurant „Olive“ gut gegessen, flaschenweise Wein getrunken. Später wurden auch Schnäpse gekippt. In der „Marktschänke“ flossen Bier, Wein und Schnaps weiter, bis das Lippstädter Ehepaar aufbrechen musste, um den letzten Zug in die Heimat zu bekommen.
Die Erinnerung setzen in der Zelle wieder ein - in Unterhemd und Unterhose
Schon vom Weg zum Bahnhof wusste sie vor Gericht nicht mehr viel. Die Erinnerungen setzten erst in der Gewahrsamszelle der Soester Polizei wieder ein. „Ich stand auf einmal in Unterhose und Unterhemd in der Zelle. Ich wusste nicht wie mir geschah, hatte große Angst, ich wusste nicht, was ich getan habe.“
Daran konnten sich zwei Zeugen – ein Zugbegleiter der Eurobahn und ein Polizeibeamter – hingegen umso besser erinnern. Nach der Fahrscheinkontrolle habe die Frau die Kontrolleure plötzlich angeschrien, als „Scheiß Kanaken“ beschimpft. „In unserem Beruf braucht man ein dickes Fell, doch so eine rassistische Beleidigung? Ich bin seit so vielen Jahren in diesem Land. Dass man sich so etwas im Jahr 2023 noch anhören muss, macht mich sprachlos“, sagte der 33-Jährige sichtlich ergriffen. Die Zugbegleiter riefen die Polizei.
Erst will sie ihren Ausweis nicht rausrücken, dann eskaliert die Situation
Am Soester Bahnhof wollten die Beamten die Beleidigungs-Anzeige aufnehmen, brauchten dafür die Personalien der Lippstädterin. Doch die weigerte sich, den Ausweis herauszuholen und kramte ihr Handy hervor, sagte den Beamten, dass sie sie nun filmen werde, hielt ihnen laut Zeugenaussagen das Handy mit einem Meter Abstand ins Gesicht. Das wollten die Beamten verhindern, nahmen ihr das Handy weg. Daraufhin schlug die Frau nach den Beamten. Die brachten sie zu Boden, fixierten sie. Die Lippstädterin reagierte mit „diversen Beleidigungen“ und Tritten.
Bevor sie „zur Verhinderung weiterer Straftaten“ und zur Ausnüchterung in die Gewahrsamszelle kam, wurde sie von einer Beamtin bis auf Unterhose und Unterhemd entkleidet. „Um auszuschließen, dass sie gefährliche Gegenstände am Körper mitführt“, so der 26-jährige Beamte. Außerdem musste gewährleistet werden, dass sie sich selbst nichts antun kann – beispielsweise mit einem Gürtel oder einer Kordel.
Täterin mit posttraumatischer Belastungsstörung nach Nacht in der Zelle
Was sie konkret gemacht haben sollte, erfuhr die Frau erst über die Akteneinsicht über ihren Anwalt. „Ich kann nicht fassen, dass ich sowas gemacht habe, dass ich so außer mir war“, sagte sie am Dienstag. Die Nacht habe ihr nicht nur körperliche Blessuren – unter anderem Hämatome, Striemen am Ohr – sondern auch seelische beschert. Vor allem die Ungewissheit in der Zelle sei belastend gewesen – im Nachgang sei ihr eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert worden.
Opfer nimmt Bitte um Entschuldigung nicht an
Gegenüber dem Opfer ihrer Rassismus-Attacke bat sie unter Tränen um Entschuldigung: „Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Ich schäme mich zutiefst. Ich war total besoffen, weiß nicht, was der Auslöser war.“ Der Zugbegleiter reagierte auf die Bitte mit einer Gegenfrage: „Ich bin Deutscher, ich vermiete und vermittle Wohnungen, zahle vermutlich mehr Steuern als viele andere Menschen. Nachts arbeite ich in der Bahn, für Sicherheit und Ordnung. Und dann muss ich mir sowas von Ihnen anhören? Traurig.“ Das Verfahren wurde gegen eine Geldauflage von 2000 Euro eingestellt.