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Waschen, schneiden, Meere retten: Alte Haare aus Soest im Einsatz auf dem Badesee

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Von: Gabi Bender

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Team von „Jungeblut & friends“
Das Team von „Jungeblut & friends“ hat fleißig gesammelt. Der aktuelle Karton für das Projekt „Hair help the Oceans“ ist schon gut gefüllt. © Gabi Bender

Fettige, ölige Haare rangieren auf der Beliebtheitsskala weit unten, dabei können Haare, die sich mit Öl vollgesogen haben, sogar gut für die Umwelt sein.

Soest – Warum sie trotzdem nicht zum neuen Modetrend taugen, liegt daran, dass ihre Eigenschaft, Fette zu absorbieren, der Natur erst zugutekommt, wenn die Haare abgeschnitten sind.

Daher hat Lisa Jungeblut vom Salon Jungeblut & friends in der Nöttenstraße beschlossen, die in ihrem Salon anfallenden Haarreste vom Unternehmen „Hair help the Oceans“ abholen zu lassen. „Für unsere Kunden ändert sich nichts, denn wir fegen die abgeschnittenen Haare so wie immer zusammen und schieben sie durch eine Klappe, durch die sie mittels eines Fallrohrs in einen Sack gelangen“, erzählt die Friseurmeisterin. So kommen monatlich rund drei bis vier Säcke zusammen. „Diese Säcke kippen wir in einen Karton, schauen noch mal durch, dass auch kein Plastik dazwischengeraten ist, und lassen sie dann einmal im Monat abholen.“

Aus Haaren werden Matten

Beim Unternehmen „Hair help the Oceans“, das sich für die Reinigung von Meeren und Flüssen einsetzt, wird das Haar gereinigt und unter anderem zu Haarmatten gepresst oder zu Haarschläuchen weiterverarbeitet. „Die Haarschläuche setzen wir beispielsweise ein, um zu verhindern, dass sich Öle und Fette, die im Wasser herumschwimmen, weiter ausbreiten können“, erklärt Emidio Gaudioso. Der Friseurmeister, der in Bückeburg einen Friseursalon betreibt, hat sich dabei vom Franzosen Thierry Gras (siehe Kasten) inspirieren lassen.

Bisher kamen die Haare, die die Mitarbeiter nicht nur aus Soest und Umgebung erhalten, sondern aus ganz Deutschland, der Schweiz, Luxemburg, Österreich und den Niederlanden geliefert bekommen, unter anderem auf dem Mittellandkanal zum Einsatz. „Motorboote werden dort in einer Art Schüttelverfahren betankt, bei dem in der Regel Öl ins Wasser gelangt“, erzählt der Firmengründer. „Um das zu verhindern, haben wir unsere Haarmatten mit Schwimmern ummantelt, damit sie an der Wasseroberfläche bleiben und dort das Öl aufnehmen können, bevor es ins Wasser gelangt.“

Einsatz auf dem Badesee

en wurden die Haare bereits genutzt. Auf dem Helenensee in Rinteln hat das Team von „Hair help the Oceans“ beispielsweise in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr Haarschläuche ausgelegt, um den Badebereich abzutrennen und die Öle und Fette von Sonnencremes und -ölen direkt zu absorbieren. Denn die UV-Partikel liegen wie ein Film auf dem Wasser und verhindern dadurch, dass Plankton wachsen kann.

Wissenschaftlich begleitet werden sie dabei von den Mitarbeitern des Fachbereichs Wasser, Umwelt, Bau und Sicherheit der Hochschule Magdeburg-Stendal. „Die Ergebnisse der bisher gemachten Tests können sich sehen lassen“, sagt Gaudioso. „Sie zeigen eindrucksvoll, dass wir auf dem richtigen Weg sind.“

Weitere Partnersalons im Kreis

Mit dem Friseurteam von Jungeblut & friends, das als Erstes im Kreis Soest seine Haarreste für das Bückeburger Projekt abholen ließ, haben sich mittlerweile auch weitere Salons auf den Weg gemacht. So sind auf der Webseite des Unternehmens auch Friseur Schenkel in Lippetal und „La biosthetique Haargenau“ in Möhnesee als Partnersalons gelistet.

Und das kann sich auch zur Neukundengewinnung lohnen. „Vor einigen Wochen hatte ich eine Kundin, die uns beim Salonfinder auf der Website von Hair help the Oceans entdeckt hatte“, berichtet Lisa Jungeblut.

Bis zum Siebenfachen des eigenen Gewichts

Um bei dem Projekt mitmachen zu können, zahlen die Saloninhaber rund einen Euro pro Arbeitstag. „Das ist für mich völlig in Ordnung, denn die Idee, die abgeschnittenen Haare auf diese Weise zu nutzen, finden wir super“, sagt Lisa Jungeblut. „Mein Mann hatte das bei einer Kollegin in Detmold mitbekommen und wir waren sofort begeistert.“

Der Ideengeber

Der Friseurmeister Thierry Gras aus einer Gemeinde an der Côte d’Azur experimentierte, wie man die Unmenge von abgeschnittenen Haaren nutzen könne, und fand schließlich eine Lösung. Er füllte die Haare in alte Nylonstrümpfe, band diese zu Rollen und setzte sie als Filter in verschmutzte Gewässer ein.

Dann gründete er die „Coiffeurs Justes“, eine Vereinigung von mehr als 3200 „fairen Friseuren“, so die Übersetzung, die abgeschnittene Haare sammeln, um mit ihnen das Mittelmeer sauber zu halten. Im Sommer 2020 kamen die Haarfilter auch vor Mauritius zum Einsatz, als dort ein Frachter auf Grund lief und 1.200 Tonnen Öl verlor.

Und dem Projekt werden sich künftig wohl noch mehr Salons anschließen. „Ich habe im Frühjahr erstmals davon gehört, als die Arbeit des Unternehmens bei einer Verbandstagung vorgestellt wurde“, berichtet Norbert Bitter. „Dass das Prinzip funktioniert, kann ich mir gut vorstellen, denn ein Haar kann bis zum Siebenfachen seines eigenen Gewichts aufnehmen“, erklärt der Obermeister der Friseur-Innung Soest-Lippstadt. Die in seinem Salon abgeschnittenen Haare hat Norbert Bitter schon früher immer mal wieder weitergegeben. „Regelmäßig fragen Hobbygärtner oder Jäger bei mir nach Haaren, denn diese halten durch ihren Geruch unter anderem Rehwild, Wildschweine und Maulwürfe ab.“

Wer sich im Salon von Susanne Herboth in Hamm die Haare schneiden lässt, trägt mit seiner abgeschnittenen überschüssigen Haarpracht auch zur Rettung der Meere bei.

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