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Kampf gegen Schönheitsideale: Künstliche Geschlechtsteile sollen Jugendlichen helfen

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Von: Daniel Schröder

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Verschiedene Formen und Größen: Durch die Modelle soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es nicht „das“ Schönheitsideal gibt.
Verschiedene Formen und Größen: Durch die Modelle soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass es nicht „das“ Schönheitsideal gibt. © Daniel Schröder

Durch eine Spende hat die Aids-Hilfe im Kreis Soest künstliche Penisse und Vulven beschafft. Was die Geschlechtsteile besonders macht und wie sie Jugendlichen zukünftig helfen sollen.

Soest – Dank einer Spende des Börde-Berufskollegs hat die Aids-Hilfe im Kreis Soest künstlerische Modelle verschiedener Penisse, Vulven und auch Intergeschlechter angeschafft. Was die Modelle besonders macht? Sie wurden aus Abdrücken echter Geschlechtsteile gefertigt. Mit den Modellen will die Aids-Hilfe Aufklärung und Selbstfindung – unter anderem – von Jugendlichen zeitgemäß gestalten.

Es gibt nicht „den“ Penis oder „die“ Vulva, betonen Tobias Schneider und Linda Frankenberg von der Aids-Hilfe im Kreis Soest. Eine Aussage, die nicht zu leugnen ist. Doch gerade durch Social Media würden noch immer ganz bestimmte „Schönheitsideale“ definiert. Das sorge vor allem bei Jugendlichen oftmals für Verunsicherung und kann große Folgen haben. „Vermeintliche Schönheitsideale werden oftmals durch Operationen beschönigt“, erklärt Tobias Schneider. Die Kunststoff-Modelle, die im Gegensatz zu Social Media und den restlichen Weiten des Internets die Realität abbilden, sollen die Geschlechter-Vielfalt im wahrsten Sinne des Wortes greifbar machen.

Schüler des Börde Berufskollegs übergaben die Modelle in bunten Säckchen offiziell an die Aids-Hilfe Kreis Soest.
Schüler des Börde Berufskollegs übergaben die Modelle in bunten Säckchen offiziell an die Aids-Hilfe Kreis Soest. © Peter Dahm

Möglich wurde die Anschaffung durch eine Spende von Schülerinnen und Schülern des Börde-Berufskolleges. Der Philosophiekurs hatte sich traditionell zum Welt-Aids-Tages wieder zahlreiche Projekte überlegt, die Sexualität, sexuell übertragbare Krankheiten, sexuelle Identitäten und Co. in den Fokus rückten. Dabei wurden auch Spenden gesammelt oder durch den Kuchenverkauf generiert. Die Einnahmen gingen wiederum an die Aids-Hilfe.

Schülerin Marie berichtete bei der Spendenübergabe im Soester Rathaus: „Unsere Generation beschäftigt sich sehr intensiv mit diesen Themen, sie müssen viel präsenter vermittelt werden. Viele Menschen machen sich über gewisse Dinge lustig – das geht aus unserer Sicht gar nicht. Deshalb wollten wir aufklären.“ Eine große Hilfe für den Gesprächseinstieg sei ein Glücksrad gewesen, auf dem viele Fragen notiert waren. Wer das Rad drehte, sollte herausfinden, ob er die jeweilige Frage beantworten kann. Und so entstanden intensive Gespräche, in denen weitere Fragen geklärt wurden.

Schulleiterin: Es wird noch mit Unterrichtsmaterial unterrichtet, „das fachlich nicht korrekt ist“

Für einen ähnlichen Effekt sollen auch die Kunst-Penisse und -Vulven sorgen. Die naturgetreuen Modelle würden es zudem ermöglichen, einen genaueren Blick auf die jeweiligen Geschlechtsorgane zu werfen. „Dadurch kann mit Mythen, beispielsweise dem Mythos des Jungfernhäutchens, aufgeräumt werden. Gleichzeitig kann sich jeder mit dem eigenen Geschlecht auseinandersetzen“, schildert Schneider. In Schulen würde Sexualkunde noch immer mit Unterrichtsmaterial unterrichtet, „das fachlich nicht korrekt ist“, ergänzt Berufskollegs-Schulleiterin Dr. Rita Brand. Durch die farbenfrohe Darstellung sollen Berührungsängste und Scham fallen. Auch hier spielt Vielfalt ganz offensichtlich eine große Rolle – sind die Geschlechtsteile doch in Regenbogenfarben lackiert.

„Nicht in jeder Kultur wird offen mit dem Körper und der Sexualität umgegangen“

Am Börde-Berufskolleg spiele die Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität eine ganz besonders wichtige Rolle, erklärt Schulleiterin Rita Brand. „Bei uns gibt es 2400 junge Menschen aus 53 Nationen. Der Migrationshintergrund bei uns liegt bei 32,9 Prozent. Nicht in jeder Kultur wird offen mit dem Körper und der Sexualität umgegangen. Viele Schüler haben keine Möglichkeit, derartige Fragen im familiären Bereich zu stellen. Das Börde-Berufskolleg sieht sich hier als Türöffner, um das Thema niederschwellig anzusprechen. Die Schüler sollen wissen: Ihr seid nicht allein mit euren Fragen.“

Urologe sollte für Männer zur Selbstverständlichkeit werden

Der Aids-Hilfe sind noch viele weitere Punkte wichtig: So sei es schon für junge Frauen eine Selbstverständlichkeit, zum Frauenarzt zu gehen. „Bei jungen Männern ist das überhaupt nicht normal“, untermauert Linda Frankenberg. Zudem gebe es auch in „unserem“ Kulturkreis noch viele Tabuthemen – beispielsweise die sexuelle Vielfalt.

HIV: „Gefahr geht von denen aus, die nicht von sich wissen, dass sie positiv sind“

Bei all dem Themenreichtum sei Aids weiterhin ein wichtiges Thema, vor allem die noch immer stattfindende Stigmatisierung von HIV-positiven Menschen in vielen Lebensbereichen. Tobias Schneider betont: „Das Problem sind nicht die HIV-Positiven. Gefahr geht von denen aus, die nicht von sich wissen, dass die positiv sind. Das kann ein Mensch aus dem Drogenbereich oder der Sexarbeit sein, genauso die Geschäftsführerin, die nach der Afrika-Geschäftsreise nicht davon ausgeht, dass ihre Grippe auf HIV zurückzuführen ist. Wie viele Menschen lassen sich zudem testen, wenn sie den Geschlechtspartner wechseln?“

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