Ein weiteres Problem sieht Gaby Leopold darin, „dass zwar immer mal wieder Ware kommt, aber man weiß nicht, wann. Morgens braucht ein Kunde Ibuprofen-Saft und ich muss ihm sagen, dass ich nicht weiß, wann ich wieder welchen bekomme. Und nachmittags kommen plötzlich 30 Flaschen, aber bis spätestens zum folgenden Morgen sind die schon wieder ausverkauft. Abends kommen dann Eltern mit ihren Rezepten zum Notdienst und wir stehen da mit leeren Händen.“
Laut einer aktuellen Mitteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte sei kein Lieferabriss die Ursache des Engpasses, sondern vornehmlich die hohe Zahl der Atemwegserkrankungen, sodass der Mehrbedarf derzeit nicht kompensiert werden könne. Allerdings habe ein großer Anbieter im Sommer die anstehende Winterbevorratung abgesagt, weshalb manche Apotheken ihrerseits begonnen hätten, sich großzügig einzudecken, was zu einer unregelmäßigen Verteilung geführt habe.
Die heimischen Apotheker sind daher verstärkt dazu übergegangen, die derzeit so begehrten fiebersenkenden Mittel nur noch auf Rezept herauszugeben, „an Kinder, die sie wirklich brauchen“, begründet Heidel die Entscheidung. „Die Leute haben in der Regel Verständnis dafür. Ich glaube, manche Familien dürften ganz viele Säfte daheim stehen haben, dadurch aber bekommen andere keine ab.“
Leopold ergänzt: „Sonst stehen wir vor verzweifelten Müttern, die die Medikamente wirklich dringend benötigen, und können ihnen dann nur noch empfehlen, mit ihren Kindern ins Krankenhaus zu gehen.“
Dabei stelle sich Heidel die Frage, ob es in allen Fällen gleich der Medikamente bedarf, ob nicht bei leichteren Erkrankungen auch die altbewährten Hausmittel ausreichten: „Früher gab es noch Wadenwickel, die haben wir unserer eigenen Tochter auch oft angelegt, statt ihr gleich Medikamente zu geben. Heute aber bekommt jedes Kind gleich Rezepte über Ibuprofen-Zäpfchen.“
Ich arbeite jetzt seit 40 Jahren in der Apotheke, und so eine Situation habe ich noch nicht erlebt. Es ist schon krass, was alles nicht da ist.
Die Preise heutzutage trügen zur Hamsterei bei, fährt Heidel fort: „Ein Zäpfchen kostet in Deutschland 1,20 Euro, in der Schweiz, wo zugegebenermaßen insgesamt alles deutlich teurer ist, 8,50 Euro. Da muss man sich überlegen, ob der Preis gerechtfertigt ist. Doch auf dem Markt ergibt sich dadurch ein gewisser Klopapier-Effekt.“ Geschickter wäre es, wenn man sich bereits rechtzeitig ein Fläschchen Saft beschafft hätte – auf Vorrat, „so wie man auch immer eine Packung Schmerztabletten im Haus haben sollte“.
Selber in die Herstellung zu gehen, das sei einfach nicht drin: Zum einen würden die Apotheker bei der Beschaffung der Inhaltsstoffe sehr schnell an ihre Grenzen stoßen, meint Heidel: „Auch, wenn alle Apotheken nur zehn Flaschen machen, sind die Vorräte bei den Herstellern ganz schnell aufgebraucht, denn in dem Maße wurde ja lange nicht abgefragt.“
Das gelte obendrein auch für die Verpackungen. Zum anderen, so Gaby Leopold, „haben wir auch nicht die Zeit oder die Kapazitäten, selber Zäpfchen zu gießen, zumal ja auch wir mit Krankheitsfällen zu kämpfen haben.“
Wovon die Apothekerin stark abrät, ist, kleinen Kindern stattdessen Tabletten für Erwachsene zu geben: „Bei Kindern ab neun Jahren kann man darüber reden, ob eine halbe Tablette Ibuprofen möglich ist, das entspräche der Dosierung der Säfte. Und die Säfte kann ich dann für Kleinkinder behalten. Ein sechs Monate altes Kind kann ja noch keine Tabletten schlucken.“
Damit geht sie konform mit dem Bundesinstitut, das in diesem Zusammenhang empfiehlt: „Die Abgabe einer festen oralen Darreichungsform sollte, unter Berücksichtigung des Alters der Patientin oder des Patienten und der Verfügbarkeit der Darreichungsform, geprüft werden. Hierzu wird auf die Dosierungstabellen in den einschlägigen Fachinformationen von ibuprofen- und paracetamolhaltigen Arzneimitteln verwiesen, in denen bei teilbaren Tabletten die Einnahme für Kinder ab vier Jahren (Paracetamol) bzw. ab sechs Jahren (Ibuprofen) angeführt wird. Die Darreichungsform Saft sollte an Kinder und Jugendliche ab 9 Jahren ausschließlich auf Rezept abgegeben werden, wenn die Einnahme fester Darreichungsformen nicht möglich ist.“
In kaum einer Apotheke in Deutschland ist noch Fiebersaft zu bekommen. Gerade für Kinder fehlen Medikamente. Bringen nun die Maßnahmen der Bundesregierung die Wende?